O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Sinfoniekonzert mit Klangeinbußen

COMMEDIA DELL’ARTE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
12. Dezember 2021
(Premiere)

 

Historische Stadthalle, Wuppertal

Als die Stadt Wuppertal am 3. Juli letzten Jahres die Pressemittelung herausgab, dass sie Patrick Hahn zu ihrem neuen Generalmusikdirektor ab der Spielzeit 2021/22 ernannt hat, sprach sich die Entscheidung wie ein Lauffeuer herum, schlug hohe Wellen, war in aller Munde. Denn der österreichische Senkrechtstarter, der bereits Weltklasseorchester wie die Wiener und Münchner Philharmoniker oder die Dresdner Philharmonie dirigierte, suchte sich das Sinfonieorchester Wuppertal aus, um mit 26 Jahren der jüngste Musikchef eines großen Klangkörpers zu werden. Rund ein halbes Jahr zuvor, am 19. und 20. Januar, stand er erstmalig als Gast vor dem städtischen Orchester und begeisterte unter anderem mit einer grandiosen Aufführung der Fünften Sinfonie Ludwig van Beethovens. Seine handwerklichen und musikalischen Fähigkeiten überzeugten ausnahmslos. Erst anschließend bewarb er sich als Nachfolger der damaligen Generalmusikdirektorin Julia Jones.

Nun wünschen sich die Wuppertaler Musikfreunde, dass er mit seinen Sinfoniekonzerten und Opernaufführungen viel Positves bewirkt, sodass der musikalische Ruf der Stadt überregional noch strahlender leuchtet. Eine ständige Präsenz neben üblichen Gastdirigaten ist jedoch fraglich, da er viel um die Ohren hat. Der gebürtige Grazer hat nämlich zwei weitere zeitintensive Funktionen übernommen. Zum einen ist er Erster Gastdirigent und künstlerischer Berater beim Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra. Zum anderen hat er die neueingerichtete Position eines Ersten Gastdirigenten beim Münchner Rundfunkorchester übernommen.

Thomas Braus – Foto © O-Ton

Dessen ungeachtet braucht es generell eine gewisse Zeit, bis sich durch eine kontinuierliche Zusammenarbeit Dirigent und Orchestermusiker gut verstehen, um harmonisch Musik zu gestalten. An solch einem Verständnis füreinander mangelte es streckenweise bei seinem Antrittskonzert am 1. September im Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal. Es haperte an einem ausgewogenen Orchesterklangbild bei den Vier letzten Liedern und der Alpensinfonie von Richard Strauss. Gerade die Blechbläser und Schlagzeuger standen hier zu sehr im Vordergrund. Außerdem kamen Anton Weberns Sechs Stücke für Orchester op. 6 abschnittsweise mit einem orchestralen Pomp daher, obwohl laut Partitur kammermusikalische und eben keine wuchtigen Töne gefragt sind.

Nun sind über drei Monate verstrichen. Die Zeit schien aber nicht ganz für ein optimales musikalisches Einvernehmen auszureichen. Denn Hahns jüngster Auftritt mit dem Orchester, das vierte städtische Sinfoniekonzert dieser Spielzeit mit der Überschrift Commedia dell‘arte, macht am selben Ort nicht wunschlos glücklich. Gerade bei Astor Piazzollas Suite aus der Oper Maria de Buenos Aires und seinem kurzen Stück Chin Chin fehlt es gerade bei lauten Abschnitten an dynamischen Feinabstufungen. Oft werden die Streicher von den anderen Gruppen übertönt. Obwohl Hahn manchmal mit der linken Hand um Mäßigung bittet, ist die Solistin explizit im Forte nicht leicht hörbar. Davon unbeeindruckt begeistert Lucienne Renaudin Vary mit einem exzellenten Trompetenspiel. Wunderbar gestaltet sie musikalische Linien sehr emotional, die Hand in Hand gehen mit hochvirtuosem Können. Zu Recht wird sie mit stehenden Ovationen gefeiert. Dafür bedankt sie sich mit dem traumhaft schön vorgetragenen Lux aeterna von Lili Boulanger, dieses Mal von den Musikern sensibler begleitet.

Lucienne Renaudin Vary – Foto © O-Ton

Die siebensätzige Musique pour les souper du Roi Ubu für Bläser, Schlagzeuger, Tasteninstrumente und Combo von Bernd Alois Zimmermann ist zwar an manchen Stellen auch nicht immer leicht durchhörbar. Dennoch kann die große Vielfalt an musikalischer Parodie und die gehörige Portion Schalk im Nacken des Komponisten klar vermittelt werden. Die gnadenlosen Verfremdungen bekannter Werke wie Zitate aus Johann Sebastian Bachs erstem Brandenburgischen Konzert, Richard Wagners Meistersinger und Ludwig van Beethovens 18. Klaviersonate oder der Rhythmus aus Modest Mussorgsky Promenade wie der Tristan-Akkord werden unterhaltsam gespielt. Noch unterhaltsamer ist Thomas Braus, Intendant des Schauspiels Wuppertal. Mit seinen Auftritten zwischen den Sätzen, in das Auditorium mit einem Fahrrad kommend und aus ihm mit einem Dreirad verschwindend, verkörpert er den vulgär sprechenden französischen Schriftsteller Alfred Jarry und die exzessiven Protagonisten mit ihren Perversionen und Brutalitäten aus seinem Theaterstück König Ubu ungemein packend, kurzweilig und erheiternd.

Am ausgewogensten erklingt Igor Strawinskys einaktiges Ballett Pulcinella für kleines Orchester und drei Gesangssolisten. Die reizvollen kleinen 19 Nummern mit ihren Bezügen zu Triosonaten und Arien des barocken Komponisten Giovanni Battista Pergolesi erklingen sehr geschmackvoll und wesentlich differenzierter als die Werke zuvor. Außerdem wird aufmerksam auf die Gesangssolisten geachtet, die so ihre Soli, das Duo und die beiden Trios unverkrampft gestalten. Iris Marie Sojer, Mitglied des Wuppertaler Opernensembles, überzeugt trotz einer kleinen Blässe im unteren Stimmregister mit einem klaren Sopran. Auch die stark schwingende Tenorstimme von Adam Temple-Smith ist durchsetzungsfähig. Und Yisae Choi vom Opernstudio NRW kann mit einem tragfähigen, klaren Bassbariton beeindrucken.

Aufgrund des langanhaltenden Schlussapplauses lassen sich Hahn und das Sinfonieorchester Wuppertal nicht zweimal bitten. Schmissig und mit festem Zugriff intonieren sie als Zugabe das auch Polka genannte Allegretto aus dem sehr selten aufgeführten Ballett Das goldene Zeitalter op. 22 aus der Feder von Dmitri Schostakowitsch.

Hartmut Sassenhausen