Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
CINDERELLA
(Roger Rogers)
Besuch am
9. Dezember 2023
(Premiere)
Es war einmal eine junge Frau, die heißt Ella. Ihre Stiefmutter und ihren beiden Stiefschwestern sind richtig gemein zu ihr. Die böse Frau ihres verstorbenen Vaters, die ihre geliebten Andenken an ihn zerstört, interessiert nur Geld und in den Adelskreis aufgenommen zu werden. Sie wird Madame genannt und hat großen Spaß, ihre Mitmenschen lächerlich zu machen. Ella muss im Haushalt schwer schuften. Schlafen darf sie nur auf dem Boden neben einer Feuerstelle, wo sich Asche befindet. Deshalb trägt sie den verächtlichen Spitznamen Cinderella. Cinder ist nämlich das englische Wort für Asche. Sie ist einsam und träumt von einer schöneren und besseren Welt. Sie sieht nämlich auch, dass die Menschen im Land von der Upper Class, dem Adel, ausgebeutet werden. Nur Marie ist sehr nett zu ihr und hilft ihr als gute Fee. Prinz Chris, der bald König wird, beschäftigt sich nur mit sich selbst. Er überlässt die Regierungsgeschäfte seinem Berater Sebastian, der das Volk gnadenlos ausbeutet. Auf zwei Bällen verlieben sich Ella und Chris ineinander. Sie verschwindet jeweils Punkt Mitternacht. Chris ist verzweifelt, weil er nicht weiß, wer sie ist und sucht sie vergeblich. Schließlich liegen sie sich doch in den Armen, als sie sich zu erkennen gibt, indem sie beweist, dass der gläserne Schuh, den sie bei der letzten Tanzveranstaltung zurückließ, ihr gehört. Chris werden außerdem über die Ausbeutung seiner Bürger die Augen geöffnet, und er kümmert sich fortan um ihr Wohl. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Foto © Björn Hickmann
Diese Handlung vom Märchen Aschenputtel feierte vor zehn Jahren als Musical am Broadway in New York eine umjubelte Premiere. Sie fußt auf einem gleichnamigen Fernseh-Musical des Komponisten Richard Rogers und Librettisten Oscar Hammerstein II aus dem Jahr 1957, einer anschließend entstandenen Bühnenversion und zwei weiteren Fernsehproduktionen. Der Dramatiker und Drehbuchautor Douglas Carter Beane schrieb ein neues Buch. Danny Troob arrangierte die Musik neu. Diese aktuelle Fassung schwappte über den Großen Teich zunächst ans Prinzregententheater in München anno 2018. Im Dezember 2020 kam sie an der Staatsoperette Dresdner heraus. Nun wird sie in deutscher Sprache, geschaffen von Jens Luckwaldt, zum dritten Mal in Europa im Wuppertaler Opernhaus gezeigt. Außerdem beschreiten die Wuppertaler Bühnen mit dieser Produktion einen neuen Weg in Richtung Nachhaltigkeit. „Modular Stage Zero“ lautet der Begriff für ein wiederverwendbares modulares Baukastensystem, mit dem das Bühnenbild gestaltet ist. Dabei handelt es sich um hohe viereckige Klötze, die je nach Produktion anders ausstaffiert und bemalt werden können. Sie bewegen sich wie von Geisterhand hin und her und drehen sich um sich selbst. So entstehen ohne Umbaupausen neue Räume. Im vorliegenden Fall sind sie von Hana Ramujkic gestaltet. Sie lassen, ohne den Ablauf der Handlung zu stören, schnell ein Kinderzimmer mit Hochbett, einen Salon, einen Marktplatz oder Ballsaal entstehen.
Viel Bewegung ist in der munter-abwechslungsreichen Inszenierung von Christian Thausing auch bei den Darstellern mit im Spiel. Es gibt so gut wie keinen Stillstand. Großer Trubel herrscht auf dem Marktplatz und auf dem Ball vor, wo es energiegeladen richtig zur Sache geht und eine heiße Sohle aufs Parkett gelegt wird. Die Choreografie von Evamaria Mayer ist zwar nicht die aktuellste. Hinsichtlich Dynamik und Agilität, mit der sie die ausgezeichneten Tänzer vortrefflich in Szene setzt, lässt sie aber keine Wünsche offen. Auch der Jugendclub und der von Ulrich Zippelius erstklassig vorbereitete Chor der Wuppertaler Bühnen geben darstellerisch und stimmlich plausibel die Hofgesellschaft und die arme, ausgebeutete Bevölkerung ab.
Foto © Björn Hickmann
Ebenfalls sind die Solisten in ihren teils märchenhaften Kostümen von Devi Saha bestens disponiert. Susann Ketley ist die bemitleidenswerte pummelige Ella in Bluejeans und einem weiten weißen, knielangen Strickpulli, die auf den beiden Bällen in sehr körperbetonten, edlen Galagewändern zu einer Lady mutiert. Man nimmt der Protagonistin dank ihrer variablen und ausdrucksstarken Stimme wie ihren hohen schauspielerischen Qualitäten ihr bemitleidenswertes Dasein und ihr Engagement für soziale Gerechtigkeit voll ab. Diesem hohen Niveau steht gesanglich Jonas Hein als Chris in nichts nach. Nur wirkt sein Habitus etwas steif und nicht immer dem Adelsstand überzeugend angemessen. Erst in der Schluss-Szene ist er nachvollziehbar ein wahrer Regent, der nur Gutes durchsetzen will. Gekonnt schlüpft Stefanie Smailes in die Rolle der schnippischen, ihren Mitmenschen nur Übles wünschenden Madame, die wie eine Furie durch die Gegend hetzt, wenn ihr etwas nicht passt. Gundula Hintz beeindruckt als die gute Fee Marie, die sich rührend um Ella kümmert. Und Mark Bowman-Hester ist formvollendet der schlitzohrige Sebastian. Auch die weiteren Rollen – Gioia Heid und Edith Grossman als die Stiefschwestern Gabrielle und Charlotte, Dustin Smailes als Jean-Michel sowie Jason Lee als Graf Dingelstein – faszinieren mit beweglichen Stimmen und glaubhaften Charakteren.
Last but not least kommen feine Klänge aus dem Orchestergraben. Unter dem umsichtigen und für alle Sänger zuverlässigen Dirigat von Johannes Witt, Erster Kapellmeister des Hauses, sorgt das Sinfonieorchester Wuppertal für ausgewogen-eingängige, kultiviert schmissige wie anrührend-schlichte Musik.
Das Publikum spendet nicht nur ausgiebigen Zwischenapplaus, sondern zeigt sich zu guter Letzt ganz aus dem Häuschen. Keinen hält es mehr auf den Sitzen. Langanhaltender Jubel wie bei Rock- und Pop-Konzerten sind das Resultat für eine unterhaltsame Kurzweil, an der auch die Kids großen Gefallen haben.
Hartmut Sassenhausen