O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Fetter Strip im Sauerland

BÄUMCHEN WECHSEL DICH
(Florian Battermann)

Besuch am
1. Dezember 2021
(Premiere am 20. November 2021)

 

Stößels Komödie Wuppertal im Breuer-Saal

Der Johann-Gregor-Breuer-Saal wurde in den 1960-er Jahren eröffnet und war bis 2018 ein beliebter Ort für Vereinsfeiern. Danach wurde er unattraktiv, weil der Lärmschutz nach 22 Uhr keine Veranstaltungen mehr duldete. Seither wartet ein ganzes Gebäude-Areal im Elberfelder Luisenviertel auf seine neue Vermarktung. Johann Gregor Breuer war Katholik und Sozialreformer, dessen Name nicht in der Versenkung verschwinden darf, wie die katholische Kirche betont, die bis März dieses Jahres Eigentümerin des Areals war. Im Juli kommenden Jahres sollen die Bauarbeiten der neuen Projektentwicklungsgruppe beginnen. Bis dahin steht der Breuer-Saal leer. Die vergangenen drei Jahre sind an dem Saal nicht spurlos vorübergegangen.

Stößels Komödie Wuppertal erinnert vor allem im Rückblick an eine mittelalterliche Schauspieltruppe, die von Marktplatz zu Marktplatz zieht, immer im Überlebenskampf. Schien es so, dass das Ensemble im Theater am Karlsplatz endlich eine Heimat gefunden hätte, schlugen die staatlichen Maßnahmen gegen die Pandemie zu. In dem Theater waren die Abstandsregeln aus wirtschaftlicher Sicht nicht zu erfüllen. Und so musste Kristof Stößel auch diese Spielstätte wieder aufgeben, obwohl es der Stadt ein Leichtes gewesen sein dürfte, für das Überleben der Komödie zu sorgen. Das zehrt an den Kräften. Nach dem Überraschungserfolg von Extrawurst im Wuppertaler Brauhaus fehlte zudem die Perspektive. Also bezog Stößels Komödie jetzt den Breuer-Saal, Räumlichkeiten, die vollkommen heruntergekommen waren. Egal. Das Ensemble putzte, malerte, kaufte eine neue Bestuhlung und brachte den Saal wieder auf Vordermann.

Jetzt erstrahlt der Breuer-Saal in neuem Glanz, im Glanz der Nostalgie. Allein die Räumlichkeiten, die schon jetzt dem Untergang geweiht zu sein scheinen, wirken großartig. In Berlin wäre eine solche Räumlichkeit, wie sie sich jetzt darstellt, längst Kult. In Wuppertal ist das Gebäude spätestens Mitte kommenden Jahres Geschichte. Aber bis dahin will Stößel noch einmal, wieder einmal, alle Reserven hineinstecken, um die Menschen zu unterhalten.

Denn zu Stößel kommt, wer unterhalten werden will. Hier wollen die Menschen für einen Abend das Trübsal des Arbeitsalltags vergessen, herzhaft lachen. Und dafür ist die Komödie ein Garant. Auch weil Stößel immer wieder auf Stoffe von Florian Battermann zugreift. Jetzt bringt er Bäumchen wechsel dich auf die Bühne. Eines der schwächsten Stücke des Autors, der bis dahin immer auf den schmalen Grat zwischen Komödie und Zote achtete. In Bäumchen wechsel dich wird spätestens jeder zweite Satz zur zweideutigen Eindeutigkeit. Und so ist die Geschichte auch angelegt. Ein Ehepaar, er selbstständiger Spielwarenfachverkäufer, sie seine Buchhälterin, bezieht ein Ferienhaus im Sauerland und lädt sowohl die beiden Kinder als auch die Eltern dorthin ein. Während sich die Eltern beharrlich durch Schneesturm und Eisregen kämpfen, sagen die Kinder am Heiligabend ab. Weil die Heizung nicht funktioniert, bestellt der Mann einen Notdienst. Was er übersieht: Sein Notdienst ist ein Stripper, der den Namen Notdienst im Firmenzeichen führt. Der Stripper, so stellt sich heraus, ist der Ex-Freund der Schwester der Ehefrau. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass der Ehemann extrem eifersüchtig ist, obwohl die Ehe längst vom Alltag überrollt ist.

Ilka Schäfer und Dirk Stasikowski – Foto © O-Ton

Schon nach 25 Minuten gibt es eine reguläre Pause. Stößel kennt sein Publikum. Diese Pause gehört für die Besucher, die häufig in kleinen Gruppen kommen, zum Stück wie die Schauspieler. Und die Räumlichkeiten geben das auch unproblematisch her. Der weitere Verlauf der Geschichte ist vorhersehbar. Allein die Schlusspointe wird noch einmal für einen Riesenlacher sorgen. Und so könnte man das Stück wirklich unbeachtet beiseitelegen. Wenn, ja, wenn die Darsteller nicht wären. In der Besetzung dieses Abends spielt Dirk Stasikowski den Ehemann, Ilka Schäfer die Ehefrau und Kristof Stößel den Stripper. Das Trio hat den Schalk im Nacken. Sich das Spiel der drei anzuschauen, ist herrlich. Schäfer spricht einfach mal zwischendurch mit dem Publikum, das so aus dem Gelächter kaum noch herauskommt. Stasikowski ist – wie so viele Männer – nicht unbeschadet durch den Lockdown gekommen. Er versucht aber, das durch einen weiten, weiten Norweger-Pullover zu kaschieren. Stößel geht mit der Gewichtszunahme an den falschen Stellen sehr offensiv um. Den Mut muss man auch mal haben! Der Kritiker, der das offen anspricht, sitzt übrigens, in schmälerndes Schwarz gekleidet, mit einem dicken Schal um den Hals im Publikum, um die Verdoppelung der Kinnpartie zu kaschieren. Es sind schwere Zeiten.

Ein wenig Erleichterung bringt die von der Festplatte eingespielte weihnachtliche Musik, die Martin Jansen in der Technik ebenso wie Einspieler auf den Punkt genau abstimmt. So kommt an diesem Abend tatsächlich so etwas wie eine vorweihnachtliche Stimmung auf. Das tut den Besuchern gut, die sich tagsüber mehr mit „Maßnahmenverschärfungen“ und deren Ankündigungen seitens der Regierung als mit Adventsstimmung und Weihnachtsvorbereitung herumschlagen müssen. Auch die Darsteller, die hochprofessionell Heiterkeit verbreiten, lassen das Publikum ihre Sorgen nicht spüren. Denn immer noch weiß keiner, wie lange und unter welchen Bedingungen noch gespielt werden darf. Das Ensemble von Stößel hat sich vorgenommen, bis zum bitteren Ende durchzuhalten. Und hofft trotzdem jeden Tag, dass dieses Ende noch möglichst weit weg ist. Denn bis zum 12. Januar steht das Stück auf dem Spielplan. Termine gibt es hier. Gute Laune gibt es dann im Breuer-Saal in Wuppertal.

Michael S. Zerban