Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
A CHRISTMAS CAROL
(Henrik Albrecht)
Besuch am
4. Dezember 2022
(Einmalige Aufführung)
Sinfonieorchester Wuppertal, Historische Stadthalle Wuppertal
Es gibt Leute, mit denen man nach näherem Kennenlernen nichts mehr zu tun haben will. Das können unter anderem selbstherrliche, angeblich allwissende, also beratungsresistente Patriarchen sein, denen es einzig und allein um wirtschaftliche Erfolge geht. Die Menschen um sie herum interessieren nicht, auch wenn es ihnen dreckig geht. Sie zucken nicht einmal mit der Wimper, wenn sie die armen Schlucker über die Klinge springen lassen. So ein „fieser Möpp“ ist der Geldverleiher Ebenezer Scrooge. Die Schuldscheine stapeln sich auf seinem Tisch. Werden die nicht rechtzeitig eingelöst, sind die Leute fällig. Gerne macht er kurz vor Weihnachten reinen Tisch. Ihm ist es schnurzpiepegal, wenn pünktlich zum Fest der Feste Räumungsklagen verschickt werden. Hauptsache, seinen Konten geht es gut, die Kohle fließt. Dann ist er auch noch geizig bis zum Abwinken: Etwa spart er an den Heizkosten. Sein fleißiger Angestellter Bob Cratchit, den er unter dem Mindestlohn schuften lässt, bibbert am ganzen Körper vor Kälte. Dafür, dass ihn jeder in der Stadt meidet, hat er nur ein müdes Lächeln übrig. Ist doch klar: A Christmas Carol aus der Feder des englischen Schriftstellers Charles Dickens heißt die allseits bekannte Geschichte um diesen charakterlich widerwärtigen Typen, die überall zur Advents- und Weihnachtszeit erzählt wird und in der Flimmerkiste zu sehen ist.
Dieses Mal kann man auch in den Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal gehen, um sie im zweiten städtischen Familienkonzert dieser Spielzeit hautnah zu erleben. Das hat sich wohl herumgesprochen. Denn unzählige Kids, Mama und Papa im Schlepptau, bevölkern die gute Stube und verfolgen gebannt, wie aus dem bösen Mann schließlich doch noch ein feiner Kerl wird.
Wolfram Boelzle, Sascha von Zambelly und Hajo Förster (v.l.n.r.) – Foto © Lisa Kleiß
Wie ein Pascha fläzt sich Sascha von Zambelly auf einem schnieken Sessel vor dem Dirigenten. Sofort weiß jeder, dass er in die Rolle des Geizkragens geschlüpft ist. Außerdem kommen nur menschenverachtende Worte aus seinem Mund, bis er über Nacht den Weihnachtsgeistern begegnet ist, sich so vom Saulus zum Paulus bekehren ließ und schließlich nur Gutes tut. Mit einer intelligenten Brille auf der Nase steht neben ihm Wolfram Boelzle und erzählt die Geschichte richtig packend. Auf der anderen Seite spielt gekonnt Hajo Förster die anderen Personen. Sitzend ist er der frierende Cratchit, anschließend der verstorbene Partner von Scrooge, Jacob Marley. Dann kommt er in weißer Kutte, rotem Gewand und schwarz vermummt in den Gestalten der drei Geister daher.
Dahinter spielt das Sinfonieorchester Wuppertal unter dem umsichtigen Dirigat von Johannes Witt geschmackvolle Musik. Henrik Albrecht hat sie geschrieben und dadurch aus der Story eine fein ausgearbeitete, spannende Orchestererzählung gemacht. Meisterhaft, wie die Musik in Filmen, sind Klangbilder orchestriert, die das Geschehen und die reichhaltigen Gefühle untermalen oder hervorheben. Aus der Celesta kommen Töne, die an das Bimmeln von Weihnachtsglöckchen erinnern. Der Streicherapparat sorgt für schöne feierliche, helle, freudige Klänge. Fröhlich-hüpfend geht es bei den Holzbläsern zur Sache. Dröhnt dagegen unnachgiebig die Pauke, droht Unheil. Bärbeißige Blechblasinstrumente unterstützen dabei die Situation. Sie sorgen aber auch beim Happy End für großartige Klangpracht. Geschickt schleichen sich Fetzen bekannter Weihnachtslieder ein wie O Tannenbaum, Kling, Glöckchen, klingelingeling oder Stille Nacht. Fröhliche Weihnacht überall kommt immer wieder vor, aber verändert. Erklingt es in Dur, macht sich ausgelassene Stimmung breit. Traurig ist die Atmosphäre, wenn die Melodie in Moll gespielt wird.
Die Kinder vor der Bühne auf dem Boden und den Sitzen sind ganz bei der Sache. Zwei von ihnen sind sogar ganz stolz, die ganze Zeit im Orchester neben der Harfe und den Pauken zu sitzen, da sie Gewinner eines Preisausschreibens sind, das vorher stattgefunden hat. Zwischendurch dürfen sogar die Mädchen und Jungs mitmachen, die mit ihren Instrumenten gekommen sind. Mächtig legen sie sich bei Schneeflöckchen, Weißröckchen ins Zeug, tatkräftig vom Publikum unterstützt, das mitsingt. Dirigent Witt ist rundum zufrieden mit den ganz jungen Musikern. Wegen dieses Nachwuchses macht er sich keine Sorgen um die Zukunft von Orchestern.
Nach der Matinee sind alle auf der Bühne und im Zuschauerraum glücklich und zufrieden. Langanhaltend sind folglich die stehenden Ovationen.
Hartmut Sassenhausen