O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Blick in den Toscanasaal - Foto © Universität Würzburg

Aktuelle Aufführungen

Gründungsjubiläum

ZILCHER UND SCHÜLER
(Diverse Komponisten)

Besuch am
2. Juni 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Mozartfest Würzburg, Toscanasaal, Residenz Würzburg

Nur etwa 30 Leute dürfen beim Konzert Hermann Zilcher und seine Schüler im Toscanasaal der Würzburger Residenz zuhören. Das beeinträchtigt auch den Klang in dem im Stil der Neorenaissance ausgemalten hohen Raum. Die Leere bewirkt bei Klavier und Gesang eher kalten Nachhall. Aber damit muss man sich in Corona-Zeiten abfinden. Auch bei der Würdigung zum 100-jährigen Jubiläum des Würzburger Mozartfestes ist das ein Nachteil. Denn Hermann Zilcher, der von 1881 bis 1948 lebte, als Komponist, Pianist und Dirigent wirkte, hatte 1921 als neu berufener Direktor des Bayerischen Staatskonservatoriums in der endlich öffentlich zugänglichen Residenz, im prachtvollen Kaisersaal, ein Mozartkonzert mit seinen Studierenden aufgeführt und war von der Harmonie von Musik, Architektur und farbiger Malerei geradezu überwältigt. So initiierte er für 1922 eine Mozartwoche, die eigentliche Vorgängerin des heutigen Mozartfestes im heute zum Weltkulturerbe erhobenen Barockbau des Balthasar Neumann mit dem kongenialen riesigen Deckenfresko des Giovanni Battista Tiepolo. Mittlerweile hat sich das nun auf vier Wochen ausgedehnte Fest über die wunderbaren Säle und Räumlichkeiten der Residenz hinaus ins angrenzende Land erweitert, und auch viele andere Komponisten, auch lebende, wurden zum Vergleich und zum kreativen Kontrast ins Programm aufgenommen.

In diesem Sinn zu verstehen ist auch das Konzert mit Werken des Festivalgründers Zilcher, seinem verehrten Vorbild Mozart, seinem Klavierschüler Carl Orff, seinem Kompositionsschüler Norbert Glanzberg und dem Orff-Schüler Wilfried Hiller, von dem es eine Uraufführung zu hören gibt. Der Kosmos von musikalischen „Vätern“ und „Enkeln“ wird eingeleitet von bekannten Mozart-Liedern. Die bei Gesangswettbewerben beliebten – und gefürchteten – Werke galten zur Entstehungszeit als Gefälligkeitsstücke, oft für Freunde; sie vereinen Empfindung und Dramatik in vielen Abstufungen, weisen aber in manchem auch schon voraus auf Schuberts lyrische Monodien.

Lydia Teuscher – Foto © Shirley Suarez

Interpretiert werden die fünf Strophen-Lieder, während der Arbeit am Don Giovanni quasi „nebenher“ um 1790 entstanden, von der Sopranistin Lydia Teuscher, begleitet am Klavier von Amadeus Wiesensee. Die bühnenerprobte Sängerin verfügt über eine große, schön timbrierte, klare und höhensichere Stimme, führt aber die Gefühlsregungen eher vor als dass sie sie verinnerlicht, denn ein wenig gehen ihr die Färbungen ab. So markiert sie eher Emotionen, als dass sie die überzeugend durchlebt. Die Distanz zu den angesprochenen „romantischen“ Schwärmereien wie bei An Chloe KV 524 ist zu spüren, und so gelingen ihr am besten neckische und ironische, schalkhafte Wendungen wie im Schluss von Der Zauberer KV 472. Das Frische, dramatisch Betonte liegt ihr eher; bei der lyrisch begonnenen Abendempfindung KV 523 beginnt sie zwar fein, aber bei Steigerungen scheint sie allzu sehr verliebt in ihren strahlenden Sopranglanz. Bei Carl Orffs im Alter von 16 Jahren komponierten Toskanischen Volksliedern op. 17/2, von der Stimmung her eher melancholisch und leicht dramatisch, gelingt der Sängerin vor allem Wie pflegt ein ländlich‘ Mädchen, weil sie hier witzig das lautmalerische Gackern eines Hühnchens nachahmt.

Als Uraufführung sind die erst im März 2021 entstandenen Ausschnitte aus der Oper Camilles Schwester von Wilfried Hiller zu hören; Teuscher interpretiert mit viel Feingefühl die Dinge, die nicht hörbar sind als behutsames Spiel, als letztlich doch recht grelle Vision. Auf die komplette Oper muss man noch warten. Hermann Zilchers neoromantische Vier Lieder für hohe Singstimme und Klavier op. 12 mit den etwas kitschig wirkenden Texten von Detlev von Liliencron, dank der vorliegenden Ausdrucke mitzulesen, aber wegen der verwischten Artikulation der Sängerin nicht immer verständlich, reichen von heftigen, bildhaften Betonungen zu Träumerischem und steigern sich zu überstarkem Ausdruck des  Glücks; ihren eigentlichen Höhepunkt aber haben sie sängerisch im überzeugenden Lied Leuchtende Tage.

Amadeus Wiesensee – Foto © Sammy Hart

Den Schluss der Liedvorträge bilden Norbert Glanzbergs Chansons. Der hatte bei Zilcher gerade erst eine Karriere begonnen, hatte sich als Dirigent am Theater empfohlen, als er 1933 als Jude vor den Nazis nach Frankreich fliehen musste, sich im Untergrund als Schreiber von Chansons durchschlug, unter anderem auch für seine Freundin Edith Piaf. Nach dem Krieg blieb er bei diesem seinem erfolgreichen Metier, komponierte aber auch ernste Lieder und Klavierwerke. Teuscher gibt den drei Chansons französischen Esprit und natürliche Betonung, schön bei Jardin perdu, und sie wundert sich, dass das berühmte Padam, Padam so ein Kassenschlager werden konnte bei dem eigentlich traurigen Inhalt. Hier kann auch Amadeus Wiesensee am Klavier durch seinen differenzierten Anschlag zeigen, welch untergründige Gefühle zum Klingen kommen, während er bei den Mozartliedern manchmal mit seiner Brillanz und dramatischer Betonung allzu sehr dominiert, bei Hiller gelingt das überzeugend dadurch, dass hier der Kampf um Unsicherheit der Empfindungen und die Befreiung aus den Fesseln von ungelösten Knoten des allzu Offensichtlichen durch Träumen und Visionen stattfindet. Der Pianist aber profiliert sich solo in Mozarts d-moll-Fantasie KV 397, vielleicht 1782 in Wien entstanden, möglicherweise auch von anderer Hand geschrieben. Es beginnt in feierlichem Ernst und nachdenklich, noch etwas ohne innere Bindung. Das Adagio, zwischen düster-flüchtigen Gedanken und innerer Zerrissenheit, kulminiert in leidenschaftlichem Ausdruck, und die scheinbar fröhliche Coda klingt sanft aus. Bei Zilchers Klavierzyklus Klänge der Nacht op. 58 ist Ähnliches zu spüren; da hört man die Verwandtschaft zu Mozart. Auch hier zieht nach dem schreitenden Beginn Dunkles auf; fast heiter Neckisches zeigt sich im bewegten zweiten Satz, bevor der unruhig hüpfende Folgesatz zum Epilog stark akzentuiert anhebt, in sich gefasst, Freundlicheres wie zögerlich träumend Dem Morgen entgegen. Gerade das vermag Wiesensee überzeugend zu vermitteln. Langer Beifall beim begeisterten Publikum.

Renate Freyeisen