O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Zauberhafte Unlogik

DIE ZAUBERFLÖTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
27. November 2021
(Premiere)

 

Mainfrankentheater Würzburg, Blaue Halle

Märchen gehen meist gut aus, und seien sie noch so uneinheitlich in der Handlung wie im Libretto zur Zauberflöte. Warum Mozarts Oper so beliebt ist und wohl auf den Bühnen der Welt am meisten gespielt wird, liegt vor allem an der Musik. Sie lässt die Gedanken und Gefühle über alle unlogischen und unangenehm berührenden Seiten des „Plots“ hinweggleiten, verführt zur Übereinstimmung mit den jeweiligen Harmonisierungsversuchen der gegensätzlichen Anschauungen, um sie bald wieder zu verlassen zugunsten der nächsten Konfrontation mit widerstreitenden Weltsichten. Irgendwie zeigt die Oper den Versuch der Befreiung aus dem Gerüst von Maximen und Verhaltensnormen, das Scheitern an solchen Forderungen und die Bereitschaft zum Kompromiss. Da geht es um Mutterliebe, Hass, Rache, Erotik, Sex, Triebverzicht, Humanität, Gattenliebe, Religion, Vernunftglaube, Natürlichkeit, Gesellschaftsnormen, Witz und Ernst.

Im Mainfranken-Theater Würzburg legt Regisseur Andreas Wiedermann eine vor bildlichen Einfällen und symbolischen Verweisen überbordende, oft ausufernde Interpretation auf die Bühne der Blauen Halle, durch die Ausstattung von Aylin Kaip optisch immer wieder faszinierend, wenn auch bisweilen rätselhaft, abwechslungsreich vom Licht von Ingo Jooß akzentuiert.

Die verschiedenen, teilweise konträren Handlungsstränge werden immer wieder aufgefangen durch komödiantische Elemente, angesiedelt beim Vogelfänger. Alles findet statt in einer dreiteiligen, kreisförmigen, sich nach hinten zum Ring verengenden goldenen Architektur, die bisweilen den Blick freigibt auf ein fernes Himmelsblau, auf dem teilweise etwas unklare Video-Projektionen von Jürgen Bergbauer aufleuchten. Eine Art Fantasy-Illusions-Bühne also für ein über 200 Jahre altes Werk mit zauberhaften Elementen. Die Dialoge sind nun an die heutige Zeit angepasst durch Andreas Wiedermann und Berthold Warnecke. Was auch neu ist: Zur Ouvertüre erfährt das Publikum so etwas wie eine Vorgeschichte; unter einer entlaubten 1000-jährigen Eiche geschieht ein Mord an einem alten Mann und die Entführung eines jungen Mädchens, also ein Rückblick auf eine gewalttätige Epoche, die laut Bühnenbild überwunden ist, denn der Baum stürzt um. Ab dem zweiten Akt wachsen dürre, ab und zu leuchtende Büsche an den Seiten; im ersten Akt bezieht sich vieles noch auf die Vergangenheit.

Da tritt die sternflammende Königin der Nacht auf, hoheitsvoll mit der Mondsichel als Krone, in einem blauen, glänzenden Gewand, von einem flimmernden Strahlenkranz umrahmt. Ihre Dienerinnen sind die drei Damen mit einem hohen Schleierkopfputz über einem Sternenkranz. Ihre Gegenspieler sind Sarastro und die Schar seiner entpersönlichten Priester in dunklen, braunen Kutten, und auch wenn sie die Strahlen der Sonne besingen und ihr Oberpriester einen Goldkragen trägt – sie wirken seltsam steif und künstlich. Das Zwischenreich der Natur aber besetzt Papageno, eine Art Vogelmensch mit Schnabel und mit Witz, Schlagfertigkeit und sehr verständlichen Wünschen nach Essen, Gesprächspartnern sowie nach einer Frau an seiner Seite. Dann gibt es noch die unzivilisierten Wüstlinge, angeführt von Monostatos, und die drei Knaben, Verkünder allgemein menschlicher Weisheiten, die überraschend im zweiten Akt gealtert sind. Alles dreht sich um die Frage, ob und wie der Prinz Tamino die Prinzessin Pamina „kriegt“, unter welchen Voraussetzungen Liebe funktioniert und gesellschaftlich sanktioniert ist. Dafür müssen sich die beiden Prüfungen unterwerfen, auch einander entsagen und Proben bestehen, auferlegt von Sarastro und seinen Männern, die durch Maßzirkel, mit denen sie den Prinzen vermessen, als Freimaurer gekennzeichnet sind, den Idealen der Menschlichkeit nachzustreben gewillt sind, aber auch einer Art Mysterien-Religion anhängen, sichtbar durch spitze Dreiecke als hohe Kopfbedeckungen der drei Priester. Manche ihrer Rituale muten seltsam an, etwa wenn sie sich zur Begrüßung schlagen und sich dann voreinander verneigen. Von den Schrecknissen, in manchen Inszenierungen sichtbar, wie der Schlange am Anfang oder den Bedrohungen durch Feuer und Wasser am Ende ist wenig zu spüren. Über solche Verunsicherungen hilft der Klang der Zauberflöte hinweg. Am Schluss werden Tamino und Pamina erwartungsgemäß ein Paar, und Papageno findet seine Papagena. Am Ende gibt es keine Vernichtung der „Bösen“: Monostatos wird zwar verjagt, aber alle Gegner, auch die Königin und Sarastro, einigen sich in Harmonie. Frei gelassen aus dem Zwang zur Enthaltsamkeit verfolgen die enthemmten Sonnenpriester die lustvoll kreischenden Damen. Eine witzige Schlusspointe.

Das passt irgendwie zu Mozarts Musik. Sie vermischt alle Stile, wechselt fast unvermittelt die kompositorischen Mittel und bietet so einen breiten Kosmos von Aspekten menschlicher Gefühle. Dirigent Gábor Hontvári bewundert an der Zauberflöte „kaum fassbaren Reichtum an Vielfalt und Farben“. Genau das lässt das Philharmonische Orchester Würzburg miterleben, und vor allem die schalkhaften Momente sind immer wieder fein durchzuspüren, während sonst alles süffig klingt, und die Forte-Steigerungen recht knallig daherkommen. Die Chöre, geleitet von Sören Eckhoff, gefallen durch ihre klug abgestufte Ausgewogenheit.

Leider aber enttäuscht der Sarastro von Igor Tsarkov; sein Bass ist in den Tiefen kaum zu vernehmen, sein steifes Spiel und seine wenig beeindruckende stimmliche Gestaltung machen ihn zu einem blassen Hohepriester des Tempels. Wenigstens kann sein Sprecher, Kosma Ranuer, mit seinem klaren Bassbariton überzeugen. Die drei gestrengen Priester, David Hieronimi, Kenneth Beal und Herbert Brand, gefallen sängerisch ebenso wie die Geharnischten, Yong Bae Shin und Jakob Mack, darstellerisch erfüllen sie ihre Aufgabe ordentlich. Wesentlich mehr faszinieren die drei in Klangfärbung und Ausdrucksstärke harmonierenden Damen, Silke Evers, Marzia Marzo und Barbara Schöller; sie greifen im Dienst der Königin immer wieder ins Geschehen ein, bestechen durch unterhaltsam lebendige Darstellung. Gleiches gilt für die drei sehr agilen Knaben, Natalia Boldyrieva, Monika Eckhoff und Veronika Brandhofer, die anfangs schnell herumspringen müssen und dabei noch gut singen können, später dann mit Schicksals-Bällen spielen und irgendwie vergreisen. Sie bestärken vor allem Pamina. Aus einer primitiven Welt entsprungen scheint Monostatos, Mathew Habib, und er füllt diese Rolle mit großer Stimmstärke und geradezu abstoßendem Äußeren aus. Dass Prinz Tamino eher ein passiv von gesellschaftlichen Vorgaben gesteuerter, noch wenig gefestigter junger Mann ist, zeigt Roberto Ortiz in seiner Liebe zur angebeteten Pamina; immer mehr gerät er unter den Einfluss der Vorschriften Sarastros, und mit seinem hellen, etwas gaumigen, aber angenehm klingenden Tenor gefällt er im Verlauf der Aufführung immer mehr. Ihm überlegen aber ist die zierliche, hübsche Pamina, von Akiho Tsujii herrlich kokett, selbstbewusst verkörpert; ihr strahlender, runder Sopran begeistert mit viel Empfindung, etwa in den langen Linien bei Ach, ich fühl’s. Publikumsliebling ist der mit viel komödiantischer Verzweiflung spielende Papageno, bei Daniel Fiolkas Bariton bestens aufgehoben; dass er die wie er mit einem Federkleid geschmückte Papagena, Claire Swale, bekommt, freut nicht nur ihn. Eindeutiger Höhepunkt der Aufführung aber sind die Auftritte der Königin der Nacht, Judith Spießer, vom Münchner Gärtnerplatztheater „ausgeliehen“; eine Wucht sind ihre klaren, nie grellen Höhen und Spitzentöne, die unangestrengt dahinlaufenden Koloraturen und die „runde“ Stimmfülle sowie der Elan in der Gestaltung einer spektakulären Rache-Arie.

Das versöhnte das Publikum bei der Premiere in der coronabedingt nur zu einem Viertel besetzten Blauen Halle mit einigen Übertreibungen der sehr ambitionierten Inszenierung, und der lange, enthusiastische Beifall für alle Mitwirkenden zeigt, dass diese Zauberflöte auf jeden Fall bezaubert.    

Renate Freyeisen