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SUSANNENS GEHEIMNIS/DIE NACHT DES NEURASTHENIKERS/ANGÉLIQUE
(Ermanno Wolf-Ferarri, Nino Rota, Jacques Ibert)
Besuch am
9. Februar 2018
(Premiere)
Als Devise dieses gelungenen, dreiteiligen Kurzopern-Abends gilt: Nur nicht alles ernst nehmen! Also deutet die Bühne von Manfred Kaderk in der Würzburger Opernschule der Hochschule für Musik in ihrem Theater in der Bibrastraße mit wenigen Kulissen witzig an, dass es hier lediglich um geistreiches Spiel und harmlosen Spaß bei Einaktern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht. Das trifft nur auf die Handlung zu, nicht aber auf die musikalische Qualität. Bei Ermanno Wolf-Ferraris Intermezzo Susannens Geheimnis aus dem Jahr 1909 reichen Fragezeichen vor hellen Wänden mit vielen Türen als Hinweis auf das Rätsel, wieso die junge Gräfin so penetrant nach Zigarettenrauch riecht. Der ältere misstrauische Ehemann vermutet einen Liebhaber. Jedoch stellt sich nach dramatischen Anschuldigungen, Liebesschwüren und Androhungen der Trennung heraus: Die Dame raucht heimlich. Nach ihrem Geständnis verfällt der versöhnte Ehemann ebenfalls der Nikotinsucht.
Bei Nino Rotas 1950 komponiertem Dramma buffo Die Nacht des Neurasthenikers werden die Zuschauer in ein Hotel in Mailand geführt, aber auch hier genügen drei Türrahmen, um drei benachbarte Zimmer mit Betten anzudeuten, die ein hypernervöser, übersensibler Mann angemietet hat. Im mittleren will er endlich einmal ungestört schlafen. Doch er hat nicht damit gerechnet, dass der Hotelier wegen Überbuchung zur Messezeit heimlich auch die Nachbarzimmer vergeben hat. Und so ist von Ruhe keine Spur, denn in einem nächtigt ein Kommandeur, im anderen ein Liebespaar. Der Überempfindliche bekommt natürlich ihre Geräusche mit und klingelt in seiner Empörung das ganze Hotelpersonal wach. Erst als der Morgenkaffee gebracht wird, herrscht Ruhe …
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Publikum | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Chat-Faktor | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Ganz anders die Farce von Jacques Ibert Angélique aus dem Jahr 1927. Hier gilt es, mittels Übertreibung eine Atmosphäre des surrealen Amüsements herzustellen. Der Zuschauer blickt in eine Straße mit Haus-Kuben; im Hintergrund fährt ein Schiffchen vor einem blauen Wolken-Himmel vorbei. In dieser Umgebung wohnt die sehr hübsche, aber überaus launische Dame Angélique; sie ist mit ihrem gutmütigen Mann Bonifaz völlig unzufrieden, schikaniert ihn dauernd. Auf Anraten seines Freundes Charlot und mit ihrer Einwilligung bietet er sie zum Verkauf an. Doch die Interessenten, ein Italiener, ein Engländer und ein Orientale haben schnell mehr als genug von ihr, schicken sie wieder heim. Da wünscht ihr Mann sie zum Teufel, doch selbst der bringt sie bald wieder zurück. Aber Bonifaz hat von ihr genug, möchte sich in seiner Verzweiflung erhängen. Endlich kommt Angélique zur Besinnung und schwört Besserung; Bonifaz bleibt skeptisch: Sie steht immer noch zum Verkauf. All das findet unter den Augen spießiger Nachbarinnen und ihrer Männer statt, die ab und zu als Pappkameraden aus den Fenstern schauen.
Durch die quirlige Personenführung in der lebendigen Inszenierung von Holger Klembt und die Kostüme von Anke Drewes, mit denen die grotesken Charaktere unterstrichen werden, gewinnt alles herrlich amüsante Züge, und die jungen Sängerinnen und Sänger werfen sich mit geradezu komödiantischer Lust in ihre Rollen, bewegen sich sicher mit viel Spaß darin. Dass die drei Kurzopern ganz unterschiedliche Anforderungen an das Orchester der Hochschule für Musik stellen, bekommt man im Lauf des dreistündigen Abends kaum mit. Denn Ulrich Pakusch führt seine Musiker gekonnt durch die Tücken der Partituren. Wolf-Ferraris Werk ist teilweise noch klassischen und romantischen Traditionen verhaftet; vor allem die vergnügte, pfiffige Ouvertüre zu Susannens Geheimnis lässt mit ihrer Frische aufhorchen, verrät vieles Kommende, so die dramatischen Turbulenzen der Paarbeziehung, die melodiöse Seligkeit im Liebesduett, die breit dahinfließende Versöhnung der beiden.
Eine überzeugende darstellerische Leistung und eine überraschende sängerische Vielseitigkeit bietet Jinho Seo als Graf Gil; der Bariton aus Südkorea verfügt dazu über eine kraftvolle, farbenreiche Stimme, die sowohl wütende Stärke wie auch lyrisches Schwelgen ausdrücken kann. Seine Partnerin Anna-Lena Müller zeigt als Susanne eine sehr elegante, hübsche Erscheinung.
Dass Nino Rota viel Filmmusik komponiert hat, belegt Die Nacht des Neurasthenikers an vielen Stellen, etwa im Zitat des Blues aus La dolce vita: Doch auch Spuren von Musicals, Walzer, Jazz und anderen Musikrichtungen findet man, und bei der Beschwörung der Stille erinnert man sich an bekannte Opern. Stringent wird die Nervosität der handelnden Personen durch Halbtonschritte und die Schlag auf Schlag folgenden Veränderungen bei nur wenigen ruhigen Momenten in der Musik. Lukas Eder, groß gewachsener Sänger, verkörpert wunderbar den Neurastheniker; seine nur mühsam kontrollierte Beherrschung kann er gut ausdrücken, wenn er sich im Bett wälzt, Schäfchen zählt, das Telefon zertrümmert, immer mehr ausrastet, mit der Pistole herumfuchtelt; dazu passt bestens sein kräftiger, etwas trockener, energisch aufgeladener Bariton. Sein ungewollter Zimmer-Nachbar, der Kommandeur, wird von Heesu Kim sehr korrekt mit etwas trocken klingender Stimme gezeichnet. Dagegen brilliert das Liebespaar im anderen Zimmer, aktiv auf dem Bett, die erotisch reizvoll sich bewegende Hongyü Xing und ihr Partner Stefan Schneider, beim Liebesgeflüster, vor allem sie mit glockenhell süßem Sopran, er mit angenehmem Tenor. Das Hotelpersonal, angeführt vom Portier, Jakob Mack, ist bei dieser Alptraumnacht nicht zu beneiden, wenn es ständig herausgeklingelt wird, und erst als die Gäste geflohen und der Kaffee serviert wird, kehrt Ruhe ein; aber da ist es zu spät zum Schlafen.
Foto © Andreas Herold
Wieder anders geht es zu bei Angélique; hier wird auch viel gesprochen. Die Musik von Jacques Ibert lässt bisweilen eine melodische Linie vermissen, vermittelt dafür aber viel Hintergründiges an Stimmungen. So erinnert der Auftritt des Italieners ein wenig an Rossini, und wie sich Angélique mit artistischen Koloraturen auf dem Balkon anpreist, scheint geradezu eine ironische Parodie auf dessen Arien; als der Scheich auftaucht, vermeint man Anklänge an Jazz oder arabisch-orientalische Musik zu vernehmen. Als Angélique markiert Bettina Maria Bauer ein kokettes, etwas biestiges, aber durchaus charmantes weibliches Wesen, und dazu passt ihr schlanker, heller, höhensicherer Sopran. Ihr geplagter, armer Mann Bonifaz wird verkörpert durch Lukas Eder; sein Freund Charlot bringt ihn erst auf den Gedanken, sein „Leid“ zu verkaufen; Elias Wolf gibt ihn sympathisch schlitzohrig, und sein schöner, runder Bassbariton unterstreicht diesen liebenswerten Charakter gut. Die Kauf-Kandidaten, der Italiener, Heesu Kim, der Engländer, Stefan Schneider, und der exotische Araber, Jakob Mack, gefallen durch Spielfreude und stimmliche Sicherheit, während die tütteligen Klatschbasen Melanie Dreher und Lena Elisabeth Vogler, ausgerüstet mit Haushaltsgeräten und hell-spitzen Stimmen, wiederholt ihre neidische Missgunst verraten.
Nach dem nur halb versöhnlichen Ende aller dieser musikalischen Komödien feiert das Premierenpublikum im leider nicht ganz vollbesetzten Haus alle Beteiligten mit frenetischem Beifall. Es lohnt sich, solche relativ unbekannten Werke kennen zu lernen, vor allem wenn sie mit so viel Spaß präsentiert werden.
Renate Freyeisen