O-Ton

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Foto © Dita Vollmond

Aktuelle Aufführungen

Zauber-Pasticcio

DER STEIN DER WEISEN
(Diverse Komponisten)

Besuch am
7. Juni 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Mozartfest, Kaisersaal der Residenz zu Würzburg

Den Stein der Weisen, mit dem man Gold und Anderes von Wert herbeizaubern kann, zu finden, war nicht nur zu Mozarts Zeit ein Sehnsuchts-Thema. Vor allem sein Librettist Emanuel Schikaneder, 1751-1812, Schauspieler, Sänger, Theaterdichter und -leiter, hätte so etwas dringend nötig gehabt, denn sein Theater-Unternehmen stand öfter als einmal vor dem Bankrott. Dabei war er durchaus erfolgreich, vor allem auch mit Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail und, lange Jahre ab 1791 mit Mozarts Zauberflöte, für die er auch das Textbuch schrieb und die heute als die meistgespielte Oper auf deutschen Bühnen gilt. Schikaneder leitete deren Uraufführung auf seinem Freihaus-Theater auf der Wieden in Wien, stattete sie üppig aus und stellte dafür auch seine bewährten Sänger zur Verfügung.

Dass ihm aber das Sujet einer Zauber-Oper schon ein Jahr zuvor bestens gelungen war, ist heute kaum mehr bekannt. Denn am 11. September 1790 hatte die heroisch-komische Oper in zwei Aufzügen Der Stein der Weisen oder: Die Zauberinsel Premiere. Warum sie heute vergessen ist, liegt wohl an der gänzlich unlogischen Handlung, die sich aus der reichlich verworrenen Märchenerzählung aus der Sammlung Dschinnistan von Christoph Martin Wieland speist, übrigens auch die Quelle für die Zauberflöte. Alles spielt in einem Arkadien mit Hirten, Zauberern, Feen und Alchimisten, typisch für das Rokoko, und hat natürlich den Gegensatz von Gut und Böse, von hohen und niederen Paaren, von seltsamen Prüfungen und schließlich die Lösung aller Konflikte durch überirdisches Eingreifen zum Gegenstand. Schikaneder kam mit seinem Stein der Weisen den Wünschen des Publikums entgegen, das in seinem Theater Unterhaltung, Zerstreuung und Überraschung etwa durch spektakuläre Bühnen-Effekte suchte. Damit wenigstens die Figuren und die dramatischen Verwicklungen einigermaßen verständlich bleiben, wählte Schikaneder die bewährte Form des Singspiels mit deutsch gesprochenen Texten und deutsch gesungenen Chören, Duetten und Arien aus, begleitet von seinem ausgezeichneten Orchester; auf seine guten sängerischen Interpreten, übrigens ebenfalls beteiligt an der Zauberflöte, konnte er zurückgreifen. Nur für die Musik benötigte Schikaneder bei aller Eile, um sich gegen die Konkurrenz aus anderen Wiener Theatern zu behaupten, Mithilfe. Dass er da bei seinem Freund Mozart nachfragte, der dann zumindest das Duett Nun, liebes Weibchen und einiges zum zweiten Finale beisteuerte, steht außer Zweifel. Möglicherweise hat Mozart auch die mit ihm befreundeten Komponisten, die musikalisch mitwirkten, beraten. So ist nun ein harmonisch klingendes Pasticcio entstanden, bei dem zwischen den einzelnen Nummern kaum Unterschiede zu bemerken sind, auch ein Zeugnis für den hoch entwickelten Standard des damaligen Musiklebens und den daran geschulten Erwartungen der Zuschauer. Von Schikaneder selbst stammt die Partie des „gehörnten“ Lubano. Johann Baptist Henneberg, 1768-1822, komponierte den Großteil der Musik, vor allem die Ouvertüren; er war der Kapellmeister des Freihaus-Theaters und sehr versiert. Der Tenor Benedikt Schack, 1758-1826, schon mehrfach bei Vertonungen der Libretti Schikaneders bewährt, sang die Partie des „guten“ Astromonte, der Bass Franz Xaver Gerl, 1764-1827, seinen bösen Bruder Eutifronte. Alle fünf Komponisten zusammen bewerkstelligten eine gelungene Vertonung des Librettos.

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Dass die Musik dieses einst erfolgreichen Singspiels auch heutzutage wieder erklingen kann, dass das Publikum sich nun eine gewisse Vorstellung davon verschaffen kann, dafür sorgt das Würzburger Mozartfest mit einer konzertanten Aufführung im Kaisersaal. Zwar ist die prachtvolle Atmosphäre der Würzburger Residenz nicht unbedingt der passende Rahmen für die eigentlich als Volksbelustigung gedachte Zauberinsel. Denn damals war das Theater an der Wieden ein Treffpunkt zur Unterhaltung des bürgerlichen Publikums, wo man im Parkett dichtgedrängt stand und wo es auch mal laut zuging. Für eine Einführung in die Entstehungsgeschichte der heute vergessenen Oper sorgt im Toskanasaal der Residenz vor dem Konzert ein kurzweilig witziger Dialog über die Motive und die Umstände der Genese durch Ulrich Konrad und Markus Maier; anhand von Bild-Beispielen vermitteln sie einen Einblick in die Theater-Vorstellungswelt des 18. Jahrhunderts in Wien, weisen auch hin auf Parallelen zu magisch-märchenhaften Zügen heute in Harry-Potter-Romanen oder Netflix-Serien.

Im voll besetzten Kaisersaal aber erlebt dann das Publikum eine anregende, konzertante Aufführung vom Stein der Weisen oder die Zauberinsel durch die Hofkapelle München unter der Leitung von Rüdiger Lotter. Schon die Ouvertüre macht durch effektvolle Kontraste neugierig, zeigt festlichen Schwung, auch heftig Dramatisches mit dunklen Pauken, insgesamt ein weiches Tonbild, gefällig melodische Linien. Die Introduktion, gewandt an die Mädchen und Jünglinge, bereitet in gewisser Weise vor auf ein späteres Thema, nämlich die Unterschiede in den Geschlechter-Rollen; hierbei appelliert der Tempelpriester Sadik an das richtige Verhalten und die Befolgung der Sitten; seine Partie lässt an die Wahrheitsliebe der Priester des Sarastro in der Zauberflöte denken; Joachim Höchbauer gestaltet die Rolle mit wohltimbriertem, gut tragendem Bariton, und der ausgezeichnete Chor der KlangVerwaltung antwortet ihm mit imponierender, ausgewogen klingender Stimmfülle auf die Frage nach dem Verbleib seiner Tochter Nadine. Sie ist irgendwie eine Parallelfigur zu Pamina. Dann aber erscheint, im Tempel nicht erwünscht, das naive Paar Lubano und Lubanara; auch die beiden sind vergleichbar mit den Natur-Gestalten von Papageno und Papagena. Den Lubano singt mit passend schlankem, beweglichen Bariton der junge Jonas Müller; er gestaltet seine Äußerungen mit spürbarer Lust und lebendigem Ausdruck an seiner komisch-heiteren Rolle und seiner Verwunderung über seine Verwandlung in einen Ehemann mit Geweih auf dem Kopf; seine Partnerin Lubanara wird mit leuchtend hellem Sopran von Elena Harsány gesungen, und sie zeigt nach der Verwandlung in eine Katze viel Spaß an ihren Miau-Miau-Melodien. Schade ist nur, dass alle Sänger immer wieder zu ihren teilweise kurzen Nummern auf das Orchester-Podest hinter ihre Notenständer kommen und dann von dort wieder verschwinden müssen, ohne wenigstens durch Gestik oder Kleidung ein bisschen in ihre Rollen schlüpfen zu können. Das schafft etwas Unruhe. Wenigstens Eutifronte, Sreten Manojlovic, verkörpert in seinen Auftritten und seiner sängerischen Ausstrahlung mit seinem reich bemittelten, großen Bass den bösen Geist, kann mit viel Impetus, eingeführt durch Donnergrollen, eine Art Rache-Arie gestalten. Vorher aber gibt es, eingeleitet durch Chorsoprane und die lieblichen Bläser, den Auftritt des wohlmeinenden Genius; Theresa Pilsl singt ihn mit hellem, melodieseligem, fein geführtem, höhensicherem Sopran; das neckische Geplänkel des Pares Lubano und Lubanara folgt darauf. Endlich erscheint auch die hehre, ersehnte Nadine, Leonor Amaral, und gestaltet ansprechend mit ihrem klaren Sopran ihre schöne Arie Ein Mädchen, die von Liebe heiß mit viel Delikatesse, schimmernden Höhen und silbrigen Verzierungen.

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Nach wilder Orchester-Einleitung kann endlich der gute Geist Astromonte, Michael Schade, seinen hell-starken Tenor einsetzen für ein Machtwort, und Nadir, Daniel Behle, zeigt in glänzenden Steigerungen seines schön timbrierten Tenors in vielen Ausdrucks-Facetten seine Empfindungen für Nadine. Melodiensatt, nach festlichem Chor-Beginn, nach einem Preislied auf einen mythischen Vogel, angedeutet durch die Flöte, nach einer Art Jäger-Chor auf den zum Hirsch verwandelten Lubano, nach der kraftvollen Aufforderung des Astromonte und der Verzweiflung über die Entführung der Nadine auf eine einsame Insel namens Liliput endet der erste Akt etwas heftig dramatisch. Auch wenn man nicht alles versteht an dieser Handlung – es kommt hier mehr auf die Musik an. Die beginnt im zweiten Akt theatralisch heftig, mit viel Schwung, einem nachdrücklichen, imponierenden Chor mit Anrufung des Astromonte und dem Kontrast zwischen dem brutal auftrumpfenden Eutifronte und dem lieblichen Genius. Das mehrstrophige Lied des Lubano Den Mädchen trauet nicht zu viel gefällt auch durch das tänzerische Orchester, bevor er dann im so genannten Katzenduett mit seiner Lubanara in melodisch schmeichelnden Linien seine Liebe bezeugt. An Nadir aber liegt es, in seiner Arie Ihr gütigen Götter ausdrucksvoll mit eindrucksvollen Steigerungen und locker fließenden Verzierungen für Nadines Freilassung zu bitten. Behle erhält dafür extra Beifall. Auch ein Geisterchor darf in diesem Singspiel nicht fehlen. Da wummern die Pauken und stimmgewaltige Männerstimmen imponieren. Zur lieblichen Oboe darf Nadine mit feinem Glanz und schönen Höhen ihre Liebe zu Nadir besingen, bevor das Finale anhebt, mit Miau eingeleitet, mit aufwühlender Dramatik und endlich dem Dank an Astromonte für die Befreiung der Nadine, mit Siegesfanfaren, Beschwörung der Freundschaft und einem schnellen, freudigen Ende.

Nach drei Stunden aufmerksamen Hörens hält sich das Publikum nicht mehr zurück und feiert begeistert und sehr lange jubelnd die Verzauberung durch die bisher unbekannte Zauberinsel.   

Renate Freyeisen