O-Ton

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Foto © Andreas Herold

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Semele von heute

SEMELE
(Georg Friedrich Händel)

Besuch am
14. Juni 2024
(Premiere)

 

Hochschule für Musik Würzburg, Theater in der Bibrastraße

Alte Oper, neu gedacht, in ihren Aussagen über menschliche, allzu menschliche Sehnsüchte und Wünsche hochaktuell, begeistert das Publikum bei Georg Friedrich Händels Semele HWV 58 im Theater in der Bibrastraße der Würzburger Hochschule für Musik. Händel hatte 1744 das ein Jahr zuvor komponierte dramatische Oratorium, eigentlich eine weltliche Oper über einen mythologischen Stoff nach Ovids Metamorphosen, konzertant aufgeführt. Es schließt mit der Erkenntnis, dass Menschen, wenn sie gegen ihre Natur leben wollen, orientierungslos umherirren, also eigentlich untergehen. Nur in der Antike können sie trotz des irdischen Untergangs in den Götterhimmel wie ein Phönix aus der Asche aufsteigen.

Die Inszenierung von Katharina Thoma und ihrem Team enthält durchaus witzige und zeitkritische Momente. Da blickt eine junge Frau, Semele, in Junos Zauberspiegel, singt Myself I shall adore und äußerst damit, dass sie sich endlich anbetungswürdig finden will; die Regisseurin überträgt den Wunsch auf die Selfies junger Leute mit ihren ständigen Selbstbespiegelungen und der daraus resultierenden Sehnsucht, bewundert zu werden wie ihre Vorbilder in den sozialen Netzwerken, also perfekt, attraktiv, begehrt und „geliked“ zu werden von vielen Followern. Semele, die von ihrem Vater verheiratet werden soll mit dem ihr gleichgültigen Prinzen Athamas und mit ihrem Status und ihrem Aussehen unzufrieden ist, träumt von einem Supermann und der Liebe zu ihm, zu Jupiter und damit von ihrem Aufstieg in die Götterwelt, egal, ob das Objekt ihrer Begierde verheiratet oder unerreichbar ist.

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Die Inszenierung setzt die alte Geschichte äußerst stringent um in die heutigen neuen Verhältnisse. Ausstatter Devin Mc Donough lässt die „reale“ Handlung vor einem überdimensionalen Display spielen; auf dem werden dann die Traumvorstellungen der Semele sichtbar, nämlich ihr Wunschbild als Frau: schlank, sexy, mit langem Blondhaar, toll geschminkt, in hohen Stiefeln und in einer Art rosa Babydoll, sich genüsslich auf einer Couch räkelnd als Influencerin; in Wirklichkeit aber ist sie dunkelhaarig mit etwas kompakter Figur. Aus Semele macht nun Regisseurin Thoma zwei Gestalten, die auch unterschiedlich singen, die eher zurückhaltend abwartende Semele 1 und die strahlende, selbstsichere Semele 2, ein geschickter Schachzug. Hinter dem Display unterstreichen noch Videos die Szenen, etwa durch Weihrauch, eine Unmenge von Emojis, psychodelische Kreise, Blitze und so weiter. Auch Gott Jupiter erscheint da mal auf dem Display, tritt aber auch „echt“ auf in Lederjacke, schwarzem Muskel-Shirt, mit Lockenkopf und Bart, mutiert so leicht zu Apoll. Jupiters eifersüchtige Gattin Juno ist ein Pracht-Weib, anfangs beim Sonnenbaden am Strand, gertenschlank im Badeanzug im Leoparden-Look, dann bei ihrer Rache an Semele schick schwarz verhüllt, und sie vermag listig Somnus, den Gott des Schlafes, aus seiner Lethargie aufzuschrecken; denn der ist ein Computer-Nerd, schlampig, mit gelben Socken in den Sandalen, mit langer Mähne, ernährt sich aus Pizzakartons, ständig übermüdet vom stundenlangen Computerzocken, wobei er sich auf dem Bildschirm verliebt hat in das künstliche Manga-Mädchen Pasithea, und die Dienerin Junos, Iris, muss sich widerstrebend in dieses Geschöpf verwandeln, denn sonst hätte Somnus Juno nicht geholfen, Semele durch die Liebe zu Jupiter zu vernichten. Denn Semeles Wunsch, Jupiter in seiner „echten“ göttlichen Gestalt zu erblicken, bedeutet ihren Untergang.

Als das geschieht, verlöscht Semeles Wunschbild auf dem Display, desillusioniert kehrt sie zu ihrer Familie zurück, nur ihre Schwester Ino kann sich freuen, denn sie bekommt vielleicht den von Semele verschmähten Athamas. Dass sie in ihn verliebt ist, zeigt sich schon am Anfang bei der köstlichen Hochzeitsszene während der Ouvertüre: Semele1 wirft, weiß gekleidet, Brautkranz und Geschenke von sich, ihr Bräutigam ist fassungslos, auch die Eheringe will sie nicht, die Ino bringt, aber mit ihnen hinfällt, und die alle mühsam suchen. Die Hochzeitsgesellschaft, der Chor, in heutiger Alltagskleidung, ist entsetzt, und Ino tröstet den von ihrer Schwester Verschmähten, den sie heimlich liebt. Am Schluss, nach allen Verwicklungen, Enttäuschungen und der bitteren Erkenntnis der Semele, dass sie einer Fantasie-Vorstellung aufgesessen war, preisen alle das Glück, dass man glücklich zum Alltag zurückkehren könne, und man huldigt Bacchus.

Foto © Andreas Herold

Was an dieser frischen, äußerst lebendigen, in sich logischen Inszenierung noch begeistert, ist die geschickte, temporeiche Personenführung bis in die kleinsten Gesten hinein. Aber auch musikalisch kann die Aufführung mehr als überzeugen. Semele 1, die koreanische Sopranistin Yisae Park, gefällt sehr mit ihrer ruhig geführten, sanft gestaltenden, schön timbrierten Stimme, ihr Wunschbild Semele 2, Mechtild Söffler, verkörpert mit strahlend klarem, kraftvollem Sopran, locker angegangenen Verzierungen und großen Höhen sowie aufreizenden Bewegungen und auffordernden Blicken ein Girlie der Extraklasse. Als Jupiter und Apollo eignet sich Adnan Barami vor allem vom Äußeren her bestens, und sein etwas flach geführter Tenor kann den obersten Gott und Frauenschwarm ganz gut vermitteln. Dass seine Frau Juno über seine Eskapaden nicht amüsiert ist, scheint klar, denn Isabel Grübl ist sowohl darstellerisch ein Vollblutweib wie auch mit ihrem sicheren, in Tiefe wie Höhe dunkel getönten Mezzosopran sängerisch ein Ereignis. Ihr zur Seite steht Iris, Magdalena Michalko, mit kraftvollem, fülligem, glänzendem Sopran. Lorenz Schober gefällt als Pfarrer bei der Hochzeit, vor allem aber als computersüchtiger Somnus mit einem eher hellen Bass. Ino wird von der Mezzosopranistin Adèle Sterck Filion als besorgte Schwester Semeles gut verkörpert, und Juho Stén imponiert als Vater Cadmus mit seinem profunden, kräftigen Bass. Dass Semele Athamas ablehnt als Mann, ist vielleicht auch von Händel in der Ursprungsbesetzung angedeutet gewesen, denn er gab die Rolle 1744 einem Countertenor. Youngfeng Kuang schlägt sich in dieser äußerst schwierigen Partie recht ordentlich. Mit dem ausgewogen klingenden Chor und dem transparent und pointiert aufspielenden Barockorchester der Hochschule unter der inspirierenden Leitung von Andreas Hotz kann man mehr als zufrieden sein.

Der langanhaltende Beifall im voll besetzten Haus mit vielen Bravos zeugt von der Begeisterung für die außergewöhnliche Leistung.

Renate Freyeisen