O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Andreas Herold

Aktuelle Aufführungen

Wahre Liebe

SAVITRI/HEART SUTRA
(Gustav Holst, Christian Jost)

Besuch am
26. Juni 2020
(Premiere)

 

Hochschule für Musik Würzburg, Theater in der Bibrastraße

Was tun in Corona-Zeiten? Wie Opernaufführungen realisieren? Die Opernschule der Würzburger Hochschule für Musik kann immerhin ihr eigenes Theater in der Bibrastraße benutzen, ist nicht darauf angewiesen, dass sich die Aufführung durch Eintrittspreise trägt. Also konnte sie für die Produktion zum Abschluss des Sommersemesters planen, mit der sich Studierende für ihren weiteren Lebensweg qualifizieren. Dass es nun trotz unsicherer Aussichten geklappt hat, liegt an der Einhaltung der strikten Hygiene-Regeln: Anmeldung für den Besuch nur über Mail, Einlass einzeln, vorgeschriebene Wege, registrierte Sitzplätze in weitem Abstand, insgesamt 24, und während der ganzen Aufführung Maskenpflicht und keine Pause.

Die Lösung bei solcher Einschränkung: Hierfür wurden zwei Kammeropern von insgesamt 90 Minuten Dauer von Regisseurin Katharina Thoma ausgewählt, zwei Werke mit eher exotischen Schauplätzen, Savitri von Gustav Holst von 1916, das in Indien spielt und einen Stoff aus der indischen Mythologie aufnimmt, und Heart Sutra von Christian Jost von 2013 nach einer Kurzgeschichte der chinesischen Autorin Eileen Chang; hier, bei der modernen Version von Familienkonflikten in Shanghai, geht es um einen Lehrsatz des Buddhismus. Beide Opern eint der Hintergrund einer transzendenten, spirituellen Erfahrung, wobei das moderne Stück auf einer eher realistischen Basis beruht.

Foto © Andreas Herold

Savitri beginnt auf einer leeren, weißen Fläche mit einem Erdhügel vorne und einer spiegelnden Glaswand nach hinten; dort, im Dunkel, befindet sich auch der Chor, vier Damen als Waldgeister, die sich zu den Klängen des Klaviers, gespielt von Sera Park, bewegen, nach einer Choreografie von Anna Vita. Anders als vom Komponisten gewünscht, der eine umfangreiche Instrumentalisierung vorgesehen und sich eine Aufführung im Freien, im Wald, mit sichtbarem Orchester und Chor, vorgestellt hatte, wird hier auf der Bühne eine eher irreale, geheimnisvolle Atmosphäre geschaffen. Der Tod, eine Art düsterer Mönch, will den Holzfäller Satyavan zu sich holen, doch Savitri, die ihren Mann sehr liebt, gelingt es, durch Klugheit und Schmeichelei dem Tod ein letztes Versprechen zu entlocken: Sie wünscht sich für sich Leben; denn der Mensch brauche die Gemeinschaft, sonst sei er einsam und verlassen, für das Leben als Frau und Mutter aber brauche sie ihren Mann. So muss der personifizierte Tod ihr die Bitte gewähren; Satyavan erwacht, der Tod kehrt in sein Reich hinter den trennenden Glaswänden zurück. Somit wird Maya, Traum, Illusion durch Erkenntnis überwunden, die Fortdauer ewigen Lebens durch die Mutterschaft angezeigt, als Savitri mit einem Kind auf dem Arm vorüberschreitet. Megan Henry verkörpert diese Figur sehr charmant und selbstbewusst, und ihr kräftiger Sopran, manchmal nicht ganz intonationsrein, meistert die langen Gesangslinien sehr souverän. Stefan Schneider setzt seinen Tenor als Satyavan geschickt ein, und der Bass von Yao Liu überzeugt als Tod vor allem in seiner Ausstrahlung.

Bei Heart Sutra von Christian Jost spielt unter der Leitung von Anton Lee-Stein ein recht exotisch klingendes Instrumental-Ensemble von Violine, Kontrabass, Vibraphon, Marimbaphon und zwei Klavieren im Hintergrund der Bühne. Das vierteilige Werk beginnt mit einer Art Ouvertüre. Während deren Dauer mit langsamen, fast tastenden Klängen, wird von hinten eine Art Haus-Turm hereingefahren. Hier wohnt eine angeblich perfekte Familie. Xiao-han ist deren einzige Tochter, die nicht erwachsen werden, nicht ausziehen will. Sie träumt in grauer Hochhaus-Umgebung von Natur, einem gelben Blatt, verweigert sich der Realität, ist obsessiv auf ihren Vater fixiert und verachtet ihre duldsame Mutter. Als der Vater ein Verhältnis mit der schicken Ling-chin anfängt, will Xiao-han es nicht wahrhaben, will immer 20 bleiben, kann nicht akzeptieren, dass ihre Mutter alles still erträgt, denn der ist ihre Ehe wichtig. Aber die Tochter hängt ihren Illusionen nach; erst, als der Vater die Familie verlässt, der Freund sie schonungslos mit der Wahrheit konfrontiert, und die Mutter ihr vorwirft, sie sei schuld, dass die Ehe zerstört ist, kommt die Tochter zu sich: Sie bekennt ihre Fehler und begräbt ihre Träume, wird vielleicht erwachsen. Bilder wie die Treppen im Hochhaus, die bunten Blumen als Illusion für Glück, die Kleidung, mal modisch, mal bunt, am Schluss aber grau, der Koffer als Aufbruch in die Zukunft, die blaue Blüte als Symbol für unerfüllbare Träume illustrieren ebenso wie die sehr eindrucksvollen, mal romantischen, mal dramatischen Klänge den seelischen Hintergrund der Handlung. Ganz besonders anrührend, glaubhaft und überzeugend gestaltet Misun Kim die Hauptrolle der gar nicht so sympathischen Xiao-han; dazu verhilft neben der ausdrucksvollen Mimik und der großen Beweglichkeit vor allem die volle, schön timbrierte Stimme, die mit vielen differenzierten Farben und stets unangestrengt die wechselnden Gefühlsregungen zeigt. Stefanie Wagner als die Geliebte des Vaters – Stefan Schneider in einer stummen Rolle – zeichnet mit ihrem starken Sopran das Oberflächliche dieser Figur nach, während Seona Kim mit ihrer dunkel getönten Stimme bestens zur Rolle der bescheidenen, zurückhaltenden Mutter passt, und Jaesung Kim singt den Freund Gong Hai-li mit jugendlichem Schwung.

Der Beifall im sparsam besetzten Zuschauerraum fällt naturgemäß nicht allzu laut, aber herzlich und langanhaltend aus.

Renate Freyeisen