O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Andreas Herold

Aktuelle Aufführungen

Variation des Orpheus-Mythos

ORPHEUS
(Georg Philipp Telemann)

Besuch am
10. Dezember 2021
(Premiere)

 

Theater in der Bibrastraße, Würzburg

Eine kurze Kammeroper für eine kleine Bühne hat Katharina Thoma mit der Opernschule im Würzburger Theater in der Bibrastraße aus Telemanns Oper Orpheus gemacht. Das bringt zwar Vorteile für die Studierenden der Hochschule für Musik Würzburg mit, entschärft aber die Handlung in Richtung Banalität. Georg Philipp Telemann hat den Stoff nach der französischen Vorlage von Michel du Boullay als ein musikalisches Drama mit deutschen, französischen und italienischen Texten 1726 geschaffen. Im Gegensatz zu Monteverdi oder Gluck steht hier eine weibliche Person im Mittelpunkt, die verwitwete Königin Orasia aus Thrakien, nicht das Schicksal; sie verliebt sich in den mythischen Sänger Orpheus, wird von Eifersucht verzehrt auf die junge Gattin Euridice des Orpheus und lässt sie umbringen. Als der seine Euridice aus der Unterwelt zurückholen will und dabei wohl aus Liebe scheitert, lässt Orasia in ihrer Leidenschaft nicht nach; von ihm abgewiesen, verwandelt sich ihre Liebe in Hass. Sie lässt ihn aus Rache durch die herbeigerufenen Bacchantinnen töten. Er aber ist nun mit Euridice in der Unterwelt glücklich vereint. Da will sich Orasia, weil sie verloren hat, selbst umbringen, doch ihr Gefolge fleht sie an, weiter zu leben.

In der Inszenierung von Thoma fehlen diese Bacchantinnen, vieles ist auch reduziert, und so läuft die Handlung irgendwie allzu schnell ab; auch das Augenmerk auf Die wunderbare Beständigkeit der Liebe, wie es im Untertitel heißt, geht dabei etwas verloren. Telemann hatte ein psychologisch raffiniertes Werk entworfen, mit großen Arien und Nummern im italienischen, deutschen und französischen Stil zum Ausdruck verschiedener Stimmungen. Durch die Striche und weitgehenden Verzicht auf da capo bei den Arien fehlt etwas die nachdrückliche Tiefe. Dass die Oper so selten aufgeführt wird, liegt nicht an der musikalischen Qualität, sondern wohl daran, dass das Werk erst vor mehreren Jahrzehnten wiederentdeckt wurde in der Musikbibliothek der Grafen Schönborn in Schloss Wiesentheid in Franken. Über die Uraufführung am Theater am Gänsemarkt in Hamburg ist auch wenig bekannt; sie erfolgte wohl aus innerbetrieblichen Gründen konzertant.

Foto © Andreas Herold

Im Würzburger Theater in der Bibrastraße liegt nun der Akzent einerseits auf einem eher lockeren Spiel der jungen Akteure, andererseits auf der aufs Wesentliche beschränkten musikalischen Seite. So wird das Tragische von Telemanns Oper stärker betont. Im Gegensatz zur lebensbejahenden Euridice wirkt Orpheus eher introvertiert, lebensmüde, verzweifelt; Orasia aber ist die eigentliche Hauptfigur mit ihrer inneren Zerrissenheit und ihren widerstreitenden Emotionen. Auf der Bühne von Thoma überwiegt, passend zum Inhalt, das Dunkle: Vor schwarzem Hintergrund ist das Barockorchester der Hochschule auf der Hinterbühne sichtbar positioniert; die Spielfläche vorne, meist leer, wird nur durch wenige Mittel kurzzeitig verwandelt, etwa in eine Art Gartenparty mit improvisiertem Zelt und Lichterkette, oder auch mit einem seltsamerweise weißen Vorhang, hinter dem Euridice aus der Unterwelt herausgeführt werden soll. Das Reich des teuflischen Pluto, der aus dem Boden samt seinem fünfköpfigen Gefolge hochsteigt, ist nur zu ahnen, wird angedeutet durch Rauch und die etwas schräge Aufmachung seiner Folterknechte, die an Orpheus herumzerren. Die Kostüme von Irina Bartels entsprechen im Grund heutigen Alltagskleidern; Orpheus erscheint in weißem Freizeitlook, sein Freund Eurimedes streift, über Shorts und Hoodie, als er Gefühle zu Orpheus entwickelt, ein Kleid über; die Nymphen, sehr irdische weibliche Wesen, tanzen in lockeren Gewändern, unter ihnen fällt die attraktive Euridice in rotem Kleid auf. Nur Orasia sticht durch ihre Eleganz, mal in grünem, mal in rotem Gewand hervor aus der übrigen Gesellschaft.

Dass Telemanns Orpheus eigentlich tragisch endet mit dem Tod des Liebespaars, der einzig möglichen Vereinigung der beiden, und mit der Katastrophe für Orasia, widerspricht den Erwartungen. Hier gibt es keine erlösende Errettung oder Verklärung durch die Götter.

Jakob Ewert, groß gewachsen, lebendig in der Darstellung, verkörpert einen jugendlichen, verliebten und dann unglücklichen Orpheus überzeugend und gestaltet mit seinem kräftigen Bariton vor allem die Klagen und die Sehnsucht nach dem Tod nachdrücklich; seine Euridice erhält durch den hellen, nicht allzu großen Sopran von Rebecca Suta mädchenhaft unschuldige Züge. Die Anführerin ihrer Freundinnen ist die Nymphe Cephisia, Mechthild Söffler; mit etwas schneidender Stimme plädiert sie für Freiheit in den Beziehungen; Eurimedes, Yuli Zhang, ein naiver Typ mit weichem Tenor, lässt sich von solcher Botschaft mitreißen. Als Gott Pluto tritt Yao Liu mit großem, etwas hartem Bassbariton seiner Position entsprechend auf, unterstützt wird er von Hofmarschall Ascalax, eigentlich eine Rolle für einen Countertenor, hier aber passend besetzt durch die angenehm singende Kea Niedoba. Herausragend aber ist Minkyung Kim als Orasia nicht nur in der äußeren Erscheinung und selbstbewussten Darstellung dieser von wechselnden Gefühlen zutiefst hin und hergerissenen Frau, sondern vor allem imponierend durch ihren dramatischen, vollen, nie grellen Sopran, der alle Höhen und technischen Finessen ihrer anspruchsvollen Partie, etwa in der Rachearie des dritten Akts mühelos meistert. Ihr zur Seite steht ihre treue Dienerin Ismene, Lilia-Fruz Bulhakova, bestens profiliert durch ihren angenehm klingenden, etwas dunkel gefärbten Sopran.

Leider ist Dirigent Jörg Straube erkrankt; so leitet Simon Fell das frisch aufspielende Barockorchester, das manchmal bei den Streichern etwas verstimmt und zum Klagelied des Orpheus leicht unkoordiniert klingt. Aber das kann sich bei den nächsten Aufführungen noch stabilisieren.

Im coronagemäß nur zu einem Viertel besetzten Opernhaus anerkennender Beifall.

Renate Freyeisen