O-Ton

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Foto © Andreas Herold

Aktuelle Aufführungen

Verwirrspiel im Liebesgarten

IL MATRIMONIO SEGRETO
(Domenico Cimarosa)

Besuch am
9. Juli 2021
(Premiere)

 

Theater in der Bibrastraße der Hochschule für Musik Würzburg

Domenico Cimarosas Opera buffa Il matrimonio segreto bezaubert im Theater in der Bibrastraße der Würzburger Hochschule für Musik durch eine leichtfüßige, amüsante Premiere und begeistert durch die erstaunlichen sängerischen Qualitäten der äußerst spielfreudigen Studenten der Opernschule. Sie scheinen die Verwirrungen um vollzogene und geplante Hochzeiten voll zu genießen, haben ihren Spaß an den letztlich harmlosen Konflikten und Reibereien in einem bürgerlichen Haushalt, die sich am Ende zu aller Zufriedenheit lösen.

In Cimarosas Melodramma giocoso von 1792 nach dem Libretto von Abbate Giovanni Bertati geht es, im Gegensatz zum Figaro des wenige Wochen zuvor gestorbenen Mozart nicht um gesellschaftliche Stände-Kritik, nicht um eine Adels-Satire wie in der englischen Vorlage. Die Streitigkeiten innerhalb der Familie eines reichen Kaufmanns, Geronimo, haben eher mit dem Ehrgeiz des Vaters zu tun, seine beiden Töchter möglichst „gut“ zu verheiraten. Leider hat die Jüngste, Carolina, schon heimlich aus Liebe seinen armen Buchhalter Paolino geheiratet; der sieht einen Ausweg aus seinem Dilemma mit seinem Arbeitgeber darin, dass er seinen Freund, den mittellosen Grafen Robinson, zwecks möglicher Ehe mit der älteren Tochter Elisetta einlädt. Der kommt bereitwillig, vom Vater akzeptiert, angelockt von der Aussicht auf eine reiche Mitgift, und von Elisetta, die sich schon als Gräfin sieht, sehnlichst erwartet, verliebt sich aber sofort in die Falsche, in Carolina. Auch Tante Fidalma möchte nicht leer ausgehen, hat ein Auge auf Paolino geworfen und will mit ihm in den Hafen der Ehe einfahren. Was tun? Das ganze Durcheinander entwirrt letztlich der Conte als Mann von Welt und mit Herz: Er verzichtet auf Carolina aus Liebe zu ihr und nimmt doch die ungeliebte Elisetta zur Frau. Alle, letztlich auch Fidalma, sind zufrieden, können sich auf Hochzeitsfeste voller Musik freuen.

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Dass der neapolitanische Komponist Domenico Cimarosa, der von 1749 bis 1801 lebte und ein Schüler von Piccini war, mit seiner netten, melodienseligen, sanft sentimentalen Buffo-Oper einen wirklich einmaligen Erfolg nach der Premiere am 2. Februar 1792 in Wien feiern konnte, denn die Oper musste auf Geheiß Kaiser Leopold II. zur Gänze wiederholt werden, liegt wohl am unverfänglichen Sujet und an der eingängigen, süffigen Musik. Die hat es aber in sich, fordert sängerisch einiges und weist schon voraus auf Rossini.

Schon bei der Ouvertüre muss Robin Engelen, der das Projektorchester sehr umsichtig leitet, öfter lächeln, betont aber auch gelegentliche dramatische Aufwallungen; insgesamt dominiert hier Liebliches, Schwungvolles, Witziges. Das führt hinein in die Gartenidylle der Familie von Geronimo; Blumen, Gräser, gaukelnde Schmetterlinge, Insekten sind zu sehen auf dem sich ständig verändernden Bühnenbild von Sibylle Pfeiffer mit den Projektionen von Katrin Nicklas. Je nach Stimmungslage zeigen die Stoffbahnen auch Rosen für Liebe oder rosa Wölkchen für Zukunftsträume oder Gewitter bei Auseinandersetzungen. In einem eigentlich freundlichen Umfeld wohnen Geronimo, der Gärtner und seine beiden Töchter, personifizierte zarte oder stolze Blüten, sowie ihre Tante Fidalma, schon voll erblüht; Gärtnergehilfe Paolino scheint dank der fantasievollen Kostüme von Moritz Haakh ein Zwitter zwischen Grashüpfer und jungem Mann, und dass der sehnlichst erwartete Graf Robinson sich dank seines Äußeren als Biene – mit Gastgeschenk Honig – entpuppt, ist ein besonderer Gag. Erst am Schluss, in der nächtlichen Szene, als sich alle Geheimnisse enthüllen und verziehen werden, sind die Akteure ins Menschlich-Allzumenschliche zurückgekehrt: Mit dem gestreiften Schlafanzug von Geronimo korrespondieren die ebenso gemusterten Kulissen-Vorhänge, und alle Beteiligten tragen nun gewöhnliche Nacht-Kleidung.

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Die köstliche Inszenierung von Katharina Thoma sprüht nur so vor Einfällen. Ständig sind die Akteure in Bewegung; mit einfachsten Mitteln verstärkt die Regisseurin ihre Ideen. Wenn sich Tante Fidalma Mut antrinkt, bedient sie sich aus einer Flasche mit Blumendünger, Geronimo wehrt sich gegen den Grafen in einer Aufmachung als Imker, und ihre Auseinandersetzung fechten sie per Bienen-Stachel und mittels Spritz-Düse aus; den Traum von einer Flucht aus der Abhängigkeit von Geronimo „realisieren“ Paolino und Carolina mit einem aus einem Blumenkübel selbstgebastelten Flugzeug. Schirme helfen bei der Abwehr von Missverständnissen oder Regen. Daneben werden die Charaktere der einzelnen Personen auch im Auftreten deutlich. Geronimo wirkt väterlich-besorgt, und dass er schlecht hört, vieles nicht versteht, wird mit Großbuchstaben auf den Übertiteln unterstrichen. Dass Elisetta stolz ist, sich hochtrabend benimmt, verdeutlicht schon ihr glattes Äußeres; Carolina dagegen verkörpert mit ihrer rundum bodenständigen, mädchenhaft hübschen Erscheinung die Naive, Liebenswerte, von allen Konflikten ständig hin- und hergerissen. Sie ist die eigentliche Heldin der Geschichte. Auch sängerisch gebührt dieser Carolina von Hyunmin Kim die Palme, denn ihr voller, farbenreicher, höhen- und tiefensicherer Sopran meistert die Partie mühelos, kann auch in der Arie Perdonate, signor mio mit Witz und Temperament überzeugen. Megan Henry passt mit ihren manchmal etwas grellen Höhen und mit ihrem kräftig hellen Sopran bestens in die Rolle der eifersüchtigen, ehrgeizigen Elisetta, während Nina Schumertl mit ihrem sicher gestaltenden Mezzo als Fidalma vor allem in ihrer Sehnsuchtsarie nach einem Ehemann È vero che in casa ihr komisches Talent auslebt. Aber auch die Männer in dieser Aufführung sind eine Klasse für sich: Gustavo Müller stellt äußerst glaubhaft den gutmütigen, aber bestimmten Geronimo dar, mit angenehm festem, nicht allzu dunklem Bass, hat offensichtlich viel Spaß auch bei seiner mehrdeutigen Arie Udite, tutti udite! – er selbst hört ja schlecht. Stefan Schneider als Paolino wirkt äußerst sympathisch und singt mit schön timbriertem Tenor unangestrengt, voller Ausdruck. Der Graf, Conte Robinson, wird von Dong Won Seo sehr agil und umtriebig gezeichnet, zäh in seinen Wünschen, und seine Zungenfertigkeit im geschwinden Parlando oder auch die lyrischen Qualitäten seiner flexiblen Stimme sind zu bewundern. Schön anzuhören sind die harmonisch ausgewogen klingenden Ensembles und die Final-Sextette, bei Cimarosa zur Steigerung der menschlichen Affekte eingesetzt.

Nach dem freudigen Ende sind auch die wegen Corona reduzierten Zuschauer restlos begeistert von dieser unterhaltsamen komischen Oper und den Leistungen aller Mitwirkenden und rufen diese immer wieder mit stehenden Ovationen zum Schlussapplaus auf die Bühne.

Renate Freyeisen