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LUCIA DI LAMMERMOOR
(Gaetano Donizetti)
Besuch am
25. März 2023
(Premiere)
Ein imponierendes Stück von Schauerromantik, in dem Liebe und Tod untrennbar miteinander verknüpft sind, ist Gaetano Donizettis tragische Oper Lucia di Lammermoor. Der Komponist und sein Librettist Salvatore Cammarano schrieben dieses Melodram nach dem Roman von Sir Walter Scott in relativ kurzer Zeit für das Teatro di San Carlo in Neapel, wo es nach einigen Anfangs-Schwierigkeiten und der erfolgreichen Uraufführung am 26. September 1835 seinen Siegeszug über die Bühnen der Welt antrat. Berühmt ist diese Oper vor allem durch die vierteilige Wahnsinns-Arie der Lucia. Ursprünglich wurde damals 1835 ihr Gesang durch den ätherischen, geheimnisvoll hellen, klagenden Ton der Glasharmonika, quasi aus der Himmelssphäre, effektvoll verstärkt, was Lucias Entfremdung von der irdischen Realität im Irrsinn und die Nähe zum Tod unterstreicht. Heute wird Lucias Ausbruch in den Wahn meist von einer Flöte begleitet. Die Oper erfüllt musikalisch alle Erwartungen an romantische Hör-Erlebnisse, etwa in den engelsgleichen Höhen der Lucia, den gefühlvollen, elegischen Klängen von berückender, auch schmerzlicher Süße, etwa im Liebes-Duett, von leidenschaftlichen Ausbrüchen bis hin zur Verklärung eines grausigen Endes.
In der Blauen Halle des Würzburger Mainfranken-Theaters wird die effektvolle Wirkung des Romantischen noch verstärkt durch die räumliche Enge in der Theaterfabrik. Denn das Philharmonische Orchester Würzburg kostet das Schwelgerische, den Schmelz der Musik mit Ruhe geradezu genüsslich und vollmundig unter der Leitung von Generalmusikdirektor Enrico Calesso aus. Dem widersprechen in gewisser Weise das recht kühle, karge Bühnenbild mit Plastik-Vorhängen und unten beleuchteten Röhren-Lamellen-Wänden des Ausstatters Pascal Seibicke und die Regie von Matthew Ferraro.
Foto © Nik Schölzel
Alles beginnt in einer Art Schlachthaus mit zwei Arbeitern in Schutzanzügen; hier wird auch die verhängnisvolle Liebe der blutjungen Lucia di Lammermoor zu Edgar von Ravenswood offenbar, aber in einer patriarchalischen Gesellschaft ohne Empathie und Mitgefühl, in der es nur um Machterhalt geht, hat die Liebe keine Chance. Da muss sich die Schwester von Lord Ashton für die Familie opfern, einen minderbemittelten, aber reichen Mann heiraten, um die Ashtons zu sanieren. Damit sie diesen Zwang akzeptiert, obwohl sie den Erzfeind ihres Bruders Enrico liebt, wird sie medizinisch einer Gehirnwäsche unterzogen, an Schläuche mit Infusionen angeschlossen durch seltsam kokette Krankenschwestern. Das kann nicht gut gehen. In der Hochzeitsnacht bringt sie den ihr fremden Mann um und wird wahnsinnig. Die Inszenierung aber führt die Handlung von Donizettis Erfolgsoper mit vielen Andeutungen ins Heute, etwa mit Hinweisen auf die Gegenwart, wenn der gefälschte Brief – hier wohl eine SMS – des angeblich treulosen Edgar auf einem Handy abgelesen wird. Der Chor, bei der Hochzeit in einer angedeuteten Kirche bunt gekleidet und irgendwie schräg aufgemacht, bleibt als Ganzes wie ein dichtgedrängter Zuschauer-Block relativ unbewegt, markiert höchstens einmal Neugierde. Ansonsten aber scheinen die dunklen Helfershelfer von Enrico ziemlich gleichmäßig geordnet und aufgereiht vor neutralem Hintergrund; das ähnelt manchmal einer konzertanten Aufführung, etwa am Ende des zweiten Akts. Auch wenn die Konflikte zwischen den verfeindeten Parteien heftig sind, wirken die Auseinandersetzungen nicht allzu bedrohlich, selbst beim Herumfuchteln mit Pistolen, und auch die Männer des Chors mit ihren von unter beleuchteten Masken versteckten Gesichtern verstärken einen solchen Eindruck eines theatralischen Aufmarsches nicht unbedingt.
Foto © Nik Schölzel
Lebendig wird es aber durch die Musik. Schon die Ouvertüre signalisiert Düsteres, Unheilvolles. Alles aber überglänzt eine stimmlich wie darstellerisch imponierende, glaubhafte Lucia. Die zierliche, zarte Akiho Tsujii ist anfangs ein verliebtes, junges Mädchen in großem Sommerkleid, wird dann unter dem Druck ihres Bruders zu einer tragischen Gestalt, dunkel gekleidet, ist kurzzeitig eine Schönheit bei der Hochzeitszeremonie in ihrem perlenbestickten weißen Kleid, bis sie dann, blutbesudelt, in ihrem Untergewand in den Irrsinn abgleitet. All diese Phasen ihres Untergangs aber verschönt sie mit ihrem Gesang, verausgabt sich bis zum Letzten, ohne die Anstrengung merken zu lassen. Im ersten Akt mit dem Liebesgeständnis an Edgar deutet sich schon eine Neigung zum Verrückten, zum Unheimlichen an, wenn sie Mondstrahl und Geistererscheinung besingt; aber hier schon beim Liebesbekenntnis oder bei der Auftritts-Cabaletta begeistert ihr heller, kraftvoller Sopran mit leicht schwebenden Verzierungen, himmlisch entrückten, freudigen Höhen, und im dritten Akt gestaltet sie ihre lange Wahnsinns-Arie mit variierten, melodischen Linien aus, mit reichen Koloraturen und feinst glänzenden, höchsten Höhen, lässt so ihr gesteigertes Liebes- und Todesbegehren spüren, Leidenschaft und schmerzliche Resignation sowie die Vision einer himmlischen Erlösung und stirbt an ihrem Wahn. Ihr geliebter Edgar wird in romantischem Sinne von einem hellen Tenor gesungen, von Roberto Ortiz, und in dieser Rolle ist er der tragische jugendliche Held, brennend vor Freiheitsdrang, Gerechtigkeit und Liebe, und er drückt diesen Wunsch kraftvoll aus auch mit gut bewältigten höchsten Tönen, strahlt dabei Innigkeit und Leidenschaft aus. Sein Gegenspieler Enrico ist programmgemäß als Böser mit einem Bariton besetzt. Hinrich Horn kann diesen machtbesessenen Bruder der Lucia bestens verkörpern und gibt ihm mit seiner männlich kernigen Stimme unversöhnliche Wut und Rachegefühle mit, schon in seiner Auftrittsarie.
Die übrigen Personen gefallen durch ihre gelungenen Gesangsprofile und überzeugende Rollen-Gestaltung. So ist Barbara Schöller eine glaubhaft mitfühlende Alisa, Mathew Habib ein etwas komischer Lord Arturo und nur kurzzeitig glücklicher Bräutigam, Young Bae Shin ein gestrenger Normanno. Einzig Sejong Chang, eingesprungen für den erkrankten Ihor Tsarkov, lässt mit seinem fundierten Bass als Raimondo, geistlicher Erzieher der Lucia, Verständnis für ihr tragisches Schicksal ahnen. Der Chor, bestens einstudiert von Sören Eckhoff, muss meist frontal aufgereiht als statische Masse agieren, singt aber schön differenziert. Am Schluss, als Edgar sich in seiner Verzweiflung das Leben nimmt und im Sterben Lucia als schöne, liebe Seele als himmlische Vision sieht, scheinen alle zu Tränen gerührt.
Auch das Publikum in der vollbesetzten Halle ist gepackt von diesem „romantischen“ Liebes-Geschehen und feiert alle Beteiligten mit begeistertem, langem Beifall und vielen Vorhängen.
Renate Freyeisen