O-Ton

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Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Tanz-Fest

LOTTES BALLHAUS
(Dominique Dumais, Kevin O’Day)

Besuch am
6. November 2021
(Premiere)

 

Mainfrankentheater Würzburg, Blaue Halle

Tanzen bedeutet für viele eine gewisse Befreiung von Alltagsbeschwernis, sich in der Bewegung der Musik zu überlassen und vielleicht zu den Klängen einen Partner zu finden. Jahrhundertelang bedeutete der Tanz in Gesellschaft auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe nach den Regeln dieser Gemeinschaft, wie etwa beim Menuett. Der Walzer, der eigentlich auf walz – drehen – zurückweist, war Anfang des 19. Jahrhunderts eine Möglichkeit, dem vorgeschriebenen Tanz-Ritual zu entkommen; so war er in Oberösterreich Ende des 18. Jahrhunderts sogar kurzzeitig verboten. Beim und nach dem Wiener Kongress aber feierte er Triumphe. Heute gilt der schnelle Wiener Walzer im Dreivierteltakt für manche als ein wenig „verstaubt“, als konventionell, doch für festliche Anlässe wie Hochzeiten unabdingbar. Der langsame Walzer kam hinzu als Gesellschaftstanz. Walzer regten Komponisten weltweit zu Schöpfungen auch im Konzertbereich an, und bis heute taucht er vom Jazz bis zur Filmmusik auf. Und Vals gibt es auch im Tango Argentino.

Auf die verschiedenen Formen dieser Tanzrhythmen greifen Dominique Dumais und Kevin O’Day in ihrem zweiteiligen Ballettabend in der Blauen Halle des Mainfranken-Theaters Würzburg zurück. Er trägt den Titel Lottes Ballhaus und will etwas nostalgisch erinnern an den Ort, wo früher Leute zusammenkamen, um ausgelassen zu feiern und andere dabei kennenzulernen in paarweiser Bewegung, dabei Einsamkeit und Hemmungen zu überwinden, auch Geschlechterrollen zu hinterfragen, wenn man keinen andersgeschlechtlichen Partner fand und mit seinesgleichen tanzen musste. Natürlich war vieles nur ein Spiel; man umwarb einander, um sich wieder zu trennen, man beobachtete die anderen, wenn man sich ausruhte. Man konnte auch für kurze Zeit in eine andere Rolle schlüpfen, sich verführerisch gerieren oder wie ein Eroberer, neckisch mit dem Gegenüber spielen, etwa bei einer Art amüsanter „Reise nach Jerusalem“. Solche Assoziationen sollen die Ballett-Teile Walzer und Tango bei diesem nicht nur ästhetisch beeindruckenden Tanz-Abend wecken.

Auch musikalisch bietet er Interessantes: Das Philharmonische Orchester Würzburg unter der sehr aufmerksamen Leitung von Gábor Hontvári bringt die verschiedenen Stimmungen und Ausprägungen von Walzer-Kompositionen von Mozart bis Nino Rota und die energiegeladenen Tango-Melodien von Astor Piazzolla einfühlsam zur Geltung, mal sanft und melancholisch, mal mitreißend schwungvoll, dahinwirbelnd oder mit latenter Tristesse, stets bestens abgestimmt auf den Tanz auf der Bühne. Die weist optisch durch die verblassten Muster auf den Lamellen-Wänden auf schon Vergangenes hin, wirkt etwas schäbig, zumal einzelne Latten herausgebrochen werden können zu Fenstern, lässt aber auch Licht durch. Thomas Mika, verantwortlich für Kostüm- und Bühnenbild, hat für den Walzerteil fließende, halb durchsichtige, lange rosafarbene Röcke ausgewählt, die beim Tanzen fliegen, schweben, Flirrendes hervorrufen, so einen Gegensatz bilden zu den dunklen Anzügen der Männer, in die die Damen auch mal schlüpfen und umgekehrt. Die beherrscht manierierte Haltung beim Tango wird unterstrichen durch glänzende, elegante, lange „Tellerkleider“ in abgestuften Rottönen.

Der längere Walzerteil von Dominique Dumais beginnt, wenn einige Tänzer mit lustvollem Geschrei durchs Publikum auf die Bühne stürmen, und der eigentliche Tanz fängt an mit dem Wiener Walzer Künstlerleben von Johann Strauß Sohn in einem wilden Wirbel von Drehungen, Sprüngen und Hebungen. Die Choreografin sieht die entscheidende Kraft bei der Walzer-Bewegung in einer Art „Kipppunkt“ wie dem „Brechen einer Welle“. Zum Valse triste von Sibelius gibt es dann Paar-Bildungen, weiche, weite Bewegungen, Nachdenkliches. Zu den folgenden verschiedenen Kompositionen wechseln die Stimmungen im Tanz zwischen Witzig-Neckischem, exzessiven Bewegungen, auch Überraschendem wie einer puppenhaften Gestalt in Rot, die auch singt, oder sich immer wieder neu bildenden Formationen und Figuren, alles zum Teil in wahnwitzigem Tempo. Das Hin und Her steigert sich immer mehr, bis nur noch eine einzelne Gestalt im Lichtkegel sitzt, wie verloren, zurückverwiesen auf sich selbst nach diesem berauschendem Gemeinschaftserlebnis im Tanz.

Beim Tango-Teil von Kevin O’Day dominiert die Eroberung der Partner im Tanz, mit oft zögernder Annäherung, rhythmisch bestimmt wie in einer Art kraftvollem Kampf, auch in ausdrucksstarken Gruppierungen; immer wieder wird durch Solo-Nummern die Einsamkeit der Menschen betont und die Spannung zwischen geschmeidigen Bewegungen und einer wie von außen kontrollierter Stärke hervorgehoben.

Bewundernswert ist dabei die Leistung des dreizehnköpfigen Ballett-Ensembles, seine variable körperliche Ausdrucksfähigkeit bis in die Fingerspitzen bei oft atemberaubender Schnelligkeit.

Das Publikum in der fast voll besetzten Halle feiert alle Mitwirkenden mit langem, lauten Riesenbeifall.

Renate Freyeisen