O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Traumfrauen

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
(Jacques Offenbach)

Besuch am
2. Oktober 2022
(Premiere)

 

Theaterfabrik Blaue Halle des Mainfranken-Theaters Würzburg

Der Dichter scheitert in Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen an der Erfüllung seines Traums von der großen Liebe als Ausweg aus irdischen Beschwernissen. In drei Episoden um die gescheiterte Liebe zu drei verschiedenen Frauen wird deutlich, dass der Poet nur Phantombildern von Geliebten nacheifert: Die erste, unwirklich schön und perfekt, erweist sich als Puppe, also als Konstruktion einer Frau, die zweite als nur dem eigenen künstlerischen Erfolg, nicht dem familiären Glück verhaftete Person und die dritte als nur auf Reichtum und Macht versessene Frau, die über Leichen geht. Einzig die Muse bleibt dem Dichter treu und verschafft ihm dank seines Genies eine Zukunft.

Im Mainfranken-Theater Würzburg feiert die Oper mit ihren fantastischen, irritierenden Erzählsträngen und ihrer wunderbar mitreißenden Musik eine lang bejubelte Premiere. Dabei haftet diesem letzten Werk Offenbachs, dem Meister der Operette im Zweiten Kaiserreich in Frankreich, eher Tragisches an. Offenbach starb noch während der ersten Proben zu seinem lang ersehnten Werk nach dem Libretto von Jules Barbier, das an drei Erzählungen von E. T. A. Hoffmann erinnert; es existierte nur ein Klavierauszug, und so entstehen in der Folge immer wieder eigenmächtige „Bearbeitungen“. Auch die Premiere 1881 hat sich verzögert, und bei der Wiener Erstaufführung bricht ein Brand aus mit vielen Toten und Verletzten. Erst Gustav Mahler wagt 1901 eine Wiederaufnahme dieser „Unglücksoper“.

Heute aber wird sie häufig gespielt, nicht nur wegen ihres melodischen Reichtums, sondern auch wegen des Bezugs auf die Ausdruckswelten des Genres, beim Olympia-Akt auf die Opéra comique in Frankreich, beim Giulietta-Akt auf die romantische Tradition der italienischen Oper und beim Antonia-Akt auf die deutsche Opernsphäre mit ihrer schlicht-dramatischen Wirkung. In der Aufführungspraxis werden gerne die letzten zwei Akte vertauscht, oft auch Vor- und Nachspiel weggelassen. In Würzburg orientiert man sich an der kritischen Ausgabe von Michael Kaye und Jean-Christoph Keck. Hier werden die dichterischen Illusionen zerstört durch die ausbeuterische Art der Giulietta am Schluss; nur der Verweis der Muse auf seine Poesie kann Hoffmann vor der endgültigen Depression retten. In anderen Versionen, wenn etwa die angebetete Stella am Arm des dämonischen Lindoro den glücklosen Dichter verlässt, ergeben sich pessimistischere Folgerungen.

Dagegen aber verheißt Offenbachs Musik reinsten Genuss mit ihrem ständig wechselnden Ausdruck zwischen Romantik, Drama, Witz oder illustrierender Charakterisierung. Die Handlung, fantastisch irreal, oft gegen alle Logik, wird von einem Vor- und Nachspiel in Lutters Weinstube eingefasst, wo der betrunkene Hoffmann in seine Albträume versinkt. Die Regie von Nicole Claudia Weber betont diese Verankerung im Wahrscheinlichen nicht, sondern zitiert sie nur, lässt die Oper ganz als Fantasiewelt wirken, und die Ausstattung von Aida Leonor Guardia unterstützt eine solche Auslegung mit Kostümen, die sich orientieren an der jeweiligen Atmosphäre der einzelnen Akte. So tritt der Männerchor in der Weinstube in Alltagskleidung auf; nur die Muse schlüpft aus ihrem Fantasie-Gewand und verwandelt sich so in den Freund des Dichters, Nicklausse. Im Olympia-Akt schreitet der Chor feierlich in Schwarz daher, und Hoffmann blickt durch ein riesiges Schlüsselloch ins Reich des grotesken Wissenschaftlers Spalanzani, einem Greis mit Schürze und verwuscheltem Haar, der sein Geschöpf, seine Puppe, in seltsam übertriebener weiblicher Aufmachung mit weißem Kopfputz der Gesellschaft vorführt. In diese perfekte Illusion verliebt sich Hoffmann, verführt durch die verklärende Brille des zwielichtigen Coppélius. Im Antonia-Akt ist die ganz auf Gesang fixierte unglückliche Tochter des grauen Rats Crespel, der sie bewacht wie sein Eigentum, eingesperrt in eine Art Höhle mit einem Boden aus Watte, und als Hoffmann mit ihr eine bürgerliche Existenz und Ehe aufbauen will, wird sie durch den teuflischen Arzt Miracle dazu gebracht, der Kunst den Vorrang zu geben; sie singt gegen das Verbot, verführt durch die Stimme ihrer Mutter aus dem Himmel, und stirbt, aber schon vorher ist das zu ahnen, angedeutet durch das schwarze Unterkleid unter ihrer roten Robe. Im Giulietta-Akt, bei dem sich unter durchsichtigen Tüchern allerlei herausgeputzte Gestalten bewegen, wird Hoffmann durch die gefühlskalte Kurtisane und den Halbweltherrscher Dapertutto zum Spiel, zum Verkauf seiner Seele im Spiegel und zum Mord an seinem Rivalen Schlémil verführt. Am Ende steht er ohne Liebe und als Schuldiger da. Wieder in der Realität, spürt Hoffmann, dass nur die Muse sein echter Freund ist.

Dass dieser eigentlich frustrierende „Liebesrausch“ des Dichters aber musikalisch begeistern kann, dafür sorgen das Philharmonische Orchester Würzburg unter Gábor Hontvári mit vielen Farb-Nuancen und oft kraftvollem Ausdruck, feinen Instrumental-Soli und auch ironischen Facetten, Chor und Extrachor, einstudiert von Sören Eckhoff, mit Spielfreude und klangschöner Gestaltung und natürlich die Sänger-Darsteller.

Als Hoffmann debütiert Uwe Stickert in dieser Rolle, in seiner äußeren Haltung eher passiv, von seinen Sehnsüchten getrieben, frustriert von seinem Scheitern in Liebesdingen, und sein heller, beweglicher Tenor schildert seine inneren Kämpfe mit lyrischen Qualitäten, imponierenden Höhen und erzählerischer Prägnanz etwa im Lied vom Kleinzack. Ihm zur Seite steht immer Nicklausse, also die Muse, und Marzia Marzo überzeugt nicht nur mit ihrem runden, strahlenden Mezzosopran und großer Ausdrucksbreite, sondern auch durch ihre lebendige Darstellung. Glanzvoller Höhepunkt des Opernabends aber ist die Olympia von Akiho Tsujii. Allein wie sie als weiblicher Automat dahertrippelt, mit ihrem Körper puppenhaftes Bewegen nachahmt, dabei noch umwerfend sicher singt, steigert die Wirkung ihrer grotesk faszinierenden Auftritte. Ihr flexibler Koloratursopran meistert mühelos alle Höchstschwierigkeiten bei Les oiseaux dans la charmille, brilliert mit glockenhellen Höhen, lockeren Verzierungen, belustigt auch durch parodistische Stockungen und witzige Wiederholungen. Silke Evers ist dagegen die „ernstere“ Antonia anvertraut. Sie begeistert mit ihrem leuchtenden, schön glänzenden, auch dramatischen Sopran und wunderbar anrührender Gestaltung. Anneka Ulmer bestärkt als unsichtbare Mutter mit ihrem Gesang aus dem „Himmel“ die Tochter zur Abkehr vom irdischen Leben. Als Giulietta muss Barbara Schöller vor allem darstellerische Präsenz beweisen. Alle dämonischen, Unglück bringenden Gestalten verkörpert Kosma Ranuer; sein etwas trockener Bassbariton und seine Auftritte, vor allem als Furcht einflößender Dr. Miracle, passen bestens zu einer unheimlichen Ausstrahlung. Die eher tolpatschigen, komischen Rollen wie Cochenille oder Frantz erfüllt Mathew Habib mit viel Spaß und abwechslungsreicher Stimmführung. Roberto Ortiz ist ein angenehm und sicher singender Spalanzani oder Nathanael, Igor Tsarkov mimt einen wachsamen Crespel, und Hinrich Horn überzeugt stimmlich in den kleinen Partien des Schlémil und Hermann.

Das Publikum in der gut gefüllten Blauen Halle ist nach dieser Spielplan-Premiere vor Begeisterung aus dem Häuschen und feiert alle Mitwirkenden mit langem Beifall und vielen Vorhängen.

Renate Freyeisen