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DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauß)
Besuch am
22. November 2024
(Premiere)
Ungeniert ran ans „große“ Repertoire – das wagt immer wieder das Opernstudio der Würzburger Hochschule für Musik in ihrem Theater in der Bibrastraße, diesmal mit der berühmten Fledermaus von Johann Strauß, dem „Gipfel der klassischen Operette“, von der Qualität her eigentlich eine komische Oper und deshalb auf renommierten Bühnen zu Hause, auch wegen der sängerischen Anforderungen. Doch auch im „Kleinen“ gelingt das Vorhaben prächtig, dank der Leitung von Regisseurin Katharina Thoma zusammen mit dem musikalischen Leiter Andreas Hotz und dem ganzen Team mit dem Bühnenbild von Devin McDonough und den Kostümen von Irina Bartels, vor allem aber dem spürbaren Spaß beim Agieren und nicht zuletzt dank erstaunlich ausgereifter Sangesleistungen des jungen Ensembles.
Schon bei der Ouvertüre lässt das Hochschulsinfonieorchester unter Paul Breyer keinen Zweifel daran, dass hier zupackende Lust, schwungvolle Walzerseligkeit, auch ein wenig Schwelgen in Gefühlen beim Musizieren vorherrschen; währenddessen gibt die pantomimische Szene vor dem Vorhang schon eine gewisse Vorahnung davon, wie sich der elegante Notar Dr. Falke an seinem Freund Gabriel von Eisenstein dafür rächen will, dass er einst von diesem als Fledermaus düpiert wurde – ein eigentlich kompliziertes Vorhaben. Danach aber läuft das Geschehen irgendwie in verrückter Weise ab. Der Vorhang öffnet sich, gewährt Einblicke ins Haus Eisenstein, in eine scheinbar heile Welt des gehobenen Bürgertums, und das Bühnenbild entlarvt alles als Illusion, als eine Art Theaterkulisse, unecht, schräg. Der Salon wirkt wie eine Guckkasten-Bühne mit künstlichen Raff-Vorhängen aus Papier an der Seite, mit falschen Stühlen, die klappernd umfallen, mit einem schiefen Tisch, auf den Gegenstände aus Pappe gestellt werden. Nur die Menschen hier sind echt: Eisenstein soll wegen Beleidigung einer Amtsperson ins Gefängnis; er wird vertreten von einem absolut unfähigen, stotternden Advokaten, dem unsicheren Dr. Blind, Maximilian Liman, ausgestattet mit ungeeigneten Attributen seines Amtes, alles aus Pappe.
Während Eisenstein sich mit dem ungeschickten Anwalt abgibt, wartet Eisensteins Gattin Rosalinde nur darauf, dass ihr Mann endlich die Strafe antritt und freie Bahn ist für ein Stelldichein mit ihrem Verehrer, dem Sänger Alfred, der schon erwartungsfroh ein Verführer-Ständchen aus der Ferne schmettert, und dem die holde Rosalinde sein Verlangen vorerst nicht stillen kann. Doch alles ändert sich zum Besten, als Dr. Falke seinem Freund eine Einladung zum Fest des Prinzen Orlowsky präsentiert und ihn gleich überreden kann, erst am nächsten Morgen ins Gefängnis einzurücken. Also nehmen die Eheleute tränenreich mit gespieltem Schmerz Abschied voneinander mit O je, o je, wie rührt mich dies.
Rentier Eisenstein wird von Wenzheng Tong glaubhaft als äußerlich auf Etikette bedachter Ehemann dargestellt, dem der häusliche Friede und die Treue seiner Ehefrau wichtig sind; wenn es aber für ihn um außereheliches Vergnügen geht, ist er mehr als aufgeschlossen; sein heller, wohlklingender Bariton aber bewältigt die zwei Seiten seiner Person mit nuancierter, überzeugender Gestaltung. Die Liebe zu seiner Frau Rosalinde besteht mittlerweile aus Routine; Magdalena Michalko als scheinbar brave, äußerlich etwas biedere Ehefrau verfügt für ihre Partie über einen schön gerundeten, vollen Sopran mit großer Ausdrucksbreite und unangestrengten Höhen; sie löst sich aber gern aus den ehelichen Schranken und zeigt dann, was in ihr an weiblicher Kraft und Ausstrahlung steckt. Auch das kesse Stubenmädchen Adele, Anastasia Fendel, begabt mit Durchblick und toller Stimme, möchte sich ab und zu ungestört vergnügen, so beim Ball bei Orlowsky, erhält aber vorerst keine Erlaubnis. All die Einladungen dazu sind eingefädelt von Dr. Falke, als einziger nie verkleidet, souverän überlegen gespielt und mit glänzend abgestuftem Bassbariton gesungen von Emil Greiter. Endlich, nach dem Weggang des Hausherrn, ist die Bahn frei für Alfred, der tolpatschig, allzu stürmisch hereinstürzt, sich dabei den Kopf anstößt. Das kann ihn kaum stören; Adnan Barami ist eben ein Draufgänger, locker, im bunten Hemd, mit Wuschelkopf, und er bezirzt mit hellem Tenor und der Aufforderung Trinke Liebchen, trinke schnell seine Rosalinde und beschwört sie, die Realität zu vergessen und sich ganz den sinnlichen Freuden mit ihm auf dem Sofa hinzugeben.
Doch schon naht eine Störung in Gestalt des düsteren Gefängnisdirektors Frank, Juho Stén, der Ehrenstein ins Gefängnis abholen will, mit kraftvoller Stimme zur Eile drängt, denn auch er will zum Fest des Prinzen. Alfred, im Morgenmantel des Hausherrn, wird als vermeintlicher Ehrenstein abgeführt. Und so ist der Weg frei für Rosalinde, sich auch auf das Fest in der Verkleidung einer ungarischen Gräfin zu begeben, und auch Adele kann sich nun dort als künftiger Theaterstar präsentieren. Das Fest beim russischen Oligarchen Orlowsky findet in einem Raum mit geschwungener Doppeltreppe statt, mit Glitzer-Vorhang im Hintergrund, und seine aufgekratzten Gäste wirken in ihren glitzernden, bunten, schrillen Kostümen wie aus einem Varieté entsprungen, dargestellt vom Chor, einstudiert von Julius Ebert, und tänzerisch wie sängerisch sehr variabel präsentiert. Isabel Grübl als eine Art Möchtegern-Prinz Orlowsky, mit schimmernd blauer Jacke über einem gestreiften Anzug und mit Glitzer-Kappe, gefällt sofort mit ihrem bestens geführten, warm und dunkel timbrierten, höhensicheren Mezzosopran mit Ich lade gern mir Gäste ein. In der recht schrägen Festgesellschaft zeigen sich lauter unechte Adlige, so Eisenstein von Adele als Herr Marquis wunderbar karikierend aufs Korn genommen oder Gefängnisdirektor Frank als Chevalier Chagrin mit Schwierigkeiten in Französisch. Höhepunkt aber ist der Auftritt der falschen ungarischen Gräfin, der maskierten Rosalinde, von der Eisenstein so bezaubert ist, dass sie ihm sein Verführ-Instrument bei Damen, eine Taschenuhr, abluchsen kann, und mit ihrem Csárdás Klänge der Heimat kann sie sogar einen prominenten Ungarn, nämlich Victor Orbán, hervorlocken, der ihr zum Dank eine ungarische Salami verleiht. Alles ist nur Spaß, nicht ernst gemeint, und wenn dann mit Champagner die allgemeine Verbrüderung gefeiert wird, aber nur auf dem Fest, beginnt der Ernst: Um sechs Uhr muss Eisenstein ins Gefängnis wie auch dessen Direktor.
Dort hat Frosch, der Gefängniswärter, dank des Slibowitz, alles im Griff, auch die Kaffeemaschine. Boris Wagner kostet die Rolle mit komödiantischer Spitzfindigkeit aus. Er verbietet dem falschen Eisenstein, also Alfred, das Singen, und so langsam geht ihm die Überbevölkerung seiner Wirkungsstätte auf die Nerven: Es trifft ein der verkaterte Frank, der sofort einschläft, der echte Eisenstein; mit Ida, der graziös zarten rosa Tänzerin, Victoria Lydia Sommerer, erscheint Adele, die hier eine grandiose Vorstellung ihres Talents liefert bei Spiel ich die Unschuld vom Lande , dabei alle Register ihres Darstellungskönnens zieht und imponiert mit ihrem kräftig-klaren, unangestrengten, in Höhe wie Ausdruck glänzenden Sopran – eine bravouröse Leistung. Am Ende klären sich alle Missverständnisse einigermaßen, und die Festgesellschaft samt Orlowsky kann im Gefängnis weiterfeiern.
Trotzdem – Ganz ohne Hintergründigkeit ist die Operette aller Operetten nicht: Sie zeigt die Flucht in Illusionen, in den schönen Schein, das Bestreben, gesellschaftliche Schranken zu überwinden, im Rausch, denn Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist. Die äußerst witzige, spritzige, unterhaltsame Aufführung ist eben laut Regisseurin Katharina Thoma „eine Walzertherapie … in kritischen Zeiten“.
Das ausverkaufte Haus bei der Premiere ist restlos begeistert.
Renate Freyeisen