O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Belcanto-Fest

DIE CAPULETS UND DIE MONTAGUES
(Vincenzo Bellini)

Besuch am
10. Oktober 2021
(Premiere)

 

Mainfrankentheater Würzburg, Blaue Halle

Romantisch ist hier nur die Musik, betörend melodisch, weich lyrisch, mit dramatischen Höhepunkten, aber die Handlung wirkt krass und grausam in Vincenzo Bellinis tragischer Oper I Capuleti e i Montecchi. Sie dreht sich um die bekannte, unglückliche Liebesgeschichte von Romeo und Julia, doch anders als bei Shakespeare hat Bellinis Librettist Felice Romani sich orientiert an einem ursprünglichen Stoff einer italienischen Novelle aus dem 16. Jahrhundert, und das Melodrama verschärft die Konflikte durch die Konzentration auf fünf Personen. Die vertreten erbittert verfeindete Kriegsparteien, die Guelfen, zu denen die Capulet-Familie und damit Julia zählt, und die Ghibellinen mit der Montecchi-Familie und Romeo. Der will in Verona einen Aufstand anzetteln und hält sich heimlich in der Stadt auf. Die beiden jungen Liebenden aber können wegen der unüberbrückbaren Gegensätze nicht zusammenkommen.

In der Blauen Halle des Mainfranken-Theaters Würzburg wird gerade dieser harte, kämpferische Zug der Oper betont durch die Regie von Mario Pavle del Monaco, unterstützt durch das Bühnenbild von Catharina Bornemann und die sehr heutigen, nüchternen Kostüme von Julia Katharina Berndt. Alle Personen bewegen sich in einem grauen, abweisenden Umfeld, anfangs in einem klobigen Haus mit spitz zulaufenden, schiefen Wänden und Fenstern und steiler Treppe mit Gestänge dahinter. Julia wird offenbar von ihrem Vater geschlagen, also misshandelt, wie man im Schattenriss sieht; trotzdem bleibt sie auf ihn fixiert und verteidigt die Ehre der Familie. Sie soll mit dem gewaltbereiten Parteigänger ihres Vaters, dem Macho Tebaldo, unter Zwang verheiratet werden, der sie qualvoll liebt und sich ihretwegen sogar geißelt. Doch der Zuschauer fragt sich dabei nach den Beweggründen solcher szenischen Exzesse. Julia jedenfalls will lieber sterben als ihre Liebe verraten. Nur Diener Lorenzo unterstützt sie, versucht, erfolglos zu vermitteln. Als Romeo, Julias große Liebe, in ihr Heim eindringt und sie zur gemeinsamen Flucht auffordert, kann sie sich nicht von ihrem „Zuhause“ trennen. So bleibt ihr als Ausweg nur, sich mit Gift in einen todesähnlichen Schlaf zu versetzen. Als Romeo sie auf dem Grab aufgebahrt sieht, nimmt er Gift. Julia aber erwacht, findet den sterbenden Geliebten an ihrer Seite und will auch nicht mehr leben; Tebaldo erschießt sie. Abruptes Ende.

Die Schwächen des Librettos, das oft einen heftigen Kontrast zu den lieblichen Klängen Bellinis bildet, kann die vor allem im ersten Teil etwas bemühte und schematische Bewegungsregie in der Leere des Bühnenraums nicht ganz ausgleichen. Aber die Musik lässt solche Widersprüche vergessen. Denn unter der Leitung von Enrico Calesso schwelgt das Philharmonische Orchester Würzburg geradezu in melodischem Reichtum, poetischer Süße, süffigen Klängen. Hervorragend sind die Bläser! Der breit auseinandergezogene   Orchestergraben allerdings lässt manches etwas „verwischt“ klingen; wegen der Enge des Raums werden die Chöre durch Einspielung übertragen, was eine besondere Fernwirkung erzielt.

Sängerisch aber entfaltet sich ein wahres Belcanto-Fest. Vater Capellio, Igor Tsarkov, wirkt stimmlich noch etwas steif, aber Hinrich Horn als Lorenzo gibt seiner Partie große Strahlkraft. Roberto Ortiz als Tebaldo verleiht seiner Rolle mit seinem hellen, manchmal etwas angestrengten Tenor den glaubhaften Anstrich vergeblicher Bemühungen um die Liebe. Was wichtig ist und heute oftmals geändert wird: Bellini ließ bei der Uraufführung 1830 in Venedig den Romeo von einem Mezzosopran singen, nämlich von der damals berühmten, vom Komponisten sehr verehrten Giuditta Grisi; deren Schwester Giulia verkörperte mit ihrem Sopran die Julia. In Würzburg sind die Partien mit denselben Stimmfarben besetzt. Das erweist sich als Triumph der Aufführung. Anna Pennisi ist in ihrer Hosenrolle ein leidenschaftlicher, unerschrockener Romeo; ihre große, unangestrengte Stimme bewältigt die langen Linien und kraftvollen Tiefen mühelos, vermag das schmerzliche Drängen des Liebenden bestens auszudrücken. Akiho Tsujii stellt anrührend eine innerlich verunsicherte Julia dar, aber dabei brilliert ihr schön gerundeter, strahlend heller Sopran mit glänzenden Höhen, differenziert gestalteten Linien und fein empfundenen Färbungen. Ein besonderer Genuss sind die wunderbar ausbalancierten Duette der beiden Sängerinnen.

Das Publikum in der nicht ganz voll besetzten Blauen Halle bejubelt alle Mitwirkenden lange mit vielen Bravo-Rufen; dass diese Oper nicht so häufig gespielt wird wie ihre berühmteren „Schwestern“ Norma oder La Somnambula wundert nicht wegen des Stoffes; aber musikalisch verlangt sie den Protagonisten einiges ab. Wenn das gelingt, lohnt sich auf jeden Fall eine Aufführung.

Renate Freyeisen