O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Andreas Herold

Aktuelle Aufführungen

Befreiung vom Zauber

ALCINA
(Georg Friedrich Händel)

Besuch am
7. Juli 2018
(Premiere am 6. Juli 2018)

 

Hochschule für Musik Würzburg, Theater in der Bibrastraße

Zauber-Opern sind heute schwer darstellbar. Wie soll man eine so verwickelte Geschichte um die schöne Zauberin Alcina auf der Bühne einigermaßen glaubhaft vermitteln, die auf einer fernen Insel lebt und alle ihre Liebhaber und Eindringlinge in ihr Reich in Tiere oder Bäume verwandelt? Georg Friedrich Händel hat den Stoff in seiner 1735 in London uraufgeführten Oper nach dem Versepos von Ariost in dem Moment aufgegriffen, in dem die Herrscherin über die Insel der Glückseligkeit einem fremden Jüngling und Ritter Ruggiero verfallen ist, der seinerseits mit einer jungen Dame namens Bradamante verlobt ist; seine Braut und seine bisherige Vergangenheit aber hat er ganz vergessen wegen der Liebeskünste der verführerischen Alcina. Die Konflikte beginnen, als Bradamante sich als junger Krieger verkleidet auf die Suche nach ihrem verschwundenen Bräutigam begibt und dabei auf die liebesdurstige Morgana, die Schwester der Alcina stößt. Die verliebt sich sofort in den vermeintlichen Jüngling …

Während Händels Musik die emotionalen Verwerfungen von Verliebtheit, Liebesrausch, Trauer, Verzweiflung bis hin zu Rachegelüsten recht realistisch nachempfinden lässt, lebt das Bühnengeschehen von eher unwirklichen Wendungen. Alles scheint letztlich wie ein Traum, wie ein Rauschzustand. Und so versetzt Regisseur Holger Klembt im Würzburger Theater in der Bibrastraße das Ganze in eine Gesellschaft von jungen Menschen, bei denen manches an eine Hippie-Kommune erinnert. Diese bunt zusammen gewürfelte Gesellschaft besteht aus etwas überdrehten Aussteigern mit Liebeleien und Konflikten unter Paaren. Dieses muntere Hin und Her ist eine deutlich theatralische Versuchsanordnung, die am Schluss glücklich ausgeht, weil die Beteiligten endlich zur Realität zurückkehren und froh darüber sind, dass alles ja gar nicht so ernst gemeint war, dass man ein nettes Spielchen veranstaltet hat, wobei wenigstens die Gefühle kurzzeitig echt waren. Dieses Spielerische wird immer wieder klar, etwa durch Umbauten auf offener Bühne oder wenn Morgana in vorgetäuschtem Liebeskummer über die scheinbare Untreue ihres Oronte bittere Tränen vergießt und dabei reichlich mit Papiertaschentüchern um sich wirft. Alles das ist nur Mittel zum Zweck, auch die Handy-Fotos des Oronte von schönen Frauen im Publikum oder im Orchester, denn durch die gegenseitige Eifersucht kommen sie schließlich doch wieder zusammen. Auch der putzige Stoff-Löwe, angeblich der verzauberte Vater des Oberto, spielt augenzwinkernd darauf an, dass hier alles nur Theater ist um Liebe, Macht über andere, Aufbegehren gegen die zugewiesenen Rollen.

Erst als in dieser künstlich-exotischen Palmenwelt auf der farbig fluoreszierenden Bühne von Andreas Herold die Traum-Visionen verschwinden, eine Spiegelwand sich senkt, auf der man sein Abbild erkennt, und nach dem Zertrümmern des Pokals mit dem Zaubertrunk der Alcina – wohl mit einer berauschenden Droge, die ihr Macht verleiht – alle Kulissen entfernt sind und der nackte Bühnenhintergrund sichtbar ist, können die Figuren der Oper und die Mitglieder des Chors in den Schlussjubel über ihre Befreiung in die Realität ausbrechen. Da haben sich dann alle, bis auf Alcina und ihre Schwester, ihrer Theater-Klamotten entledigt, werden zu „normalen“ jungen Leuten von heute. Die Kostümierung als Soldaten oder Wachpersonal ist passé, nur die fröhlich bunte Kleidung von Alcina und Morgana, die dank Sylvia Rudolf ihre weibliche Attraktivität betont, darf bleiben. Dass die letztlich doch etwas krude Handlung nie langweilt, liegt an schnellen Szenenwechseln und einer meist sehr bewegten Personenregie.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



All das aber macht die Musik Händels zu einem den Ohren schmeichelnden Genuss. Das Barockorchester der Hochschule für Musik Würzburg unter der sehr engagierten Leitung von Mario Gebert musiziert äußerst aufmerksam, gleich zu spüren in der schwungvollen Ouvertüre mit feinen Abschattierungen. Auch später in den orchestralen Vorspielen lassen die Wechsel zwischen traurig-weicher Grundstimmung, etwa durch die Blockflöten, und den schnellen, aufmunternden Klängen aufhorchen oder die Aufmunterung vor dem Schlusschor aller Mitwirkenden, bei dem der vorher von „oben“ sehr ausgewogen singende Projektchor die Bühne stürmt. Auch die Begleitung einzelner Rezitative durch das Cello von Matthias Schick und die Solovioline von Stephan Dollansky unterstützen effektvoll die Sänger.

Foto © Andreas Herold

Dass hier Studierende der Opernschule auf dem Weg in eine Bühnenlaufbahn sind, ist kaum zu spüren. Vor allem Theresa Romes als Alcina triumphiert über alle mit ihrem glänzenden, vollen, schön gerundeten Sopran; ihr Plus ist eine wirklich „bezaubernde“, verführerisch weibliche Ausstrahlung in allen ihren Bewegungen; dazu kommen eine überzeugende stimmliche Gestaltung der wechselnden Gefühle, die mühelose Bewältigung der Klippen ihrer schwierigen Partie, lockere Beherrschung der Koloraturen, kraftvolle, lang ausgehaltene Höhen, ohne je grell zu werden. Bei dem von ihr angebeteten Ruggiero hat sie aber keinen durchschlagenden Erfolg; Lena Elisabeth Vogler zeigt in dieser Hosenrolle, die sie manchmal etwas steif darstellt, sängerisch zwar viel Einsatz, aber ihrem in Tiefe und Mitte etwas engen Mezzosopran hätte man manchmal mehr differenzierte Farben gewünscht. Dagegen ist die kokette Morgana, die Schwester der Alcina, bei der stets umtriebig beweglichen Melanie Dreher gut aufgehoben; ihr großer, voller Sopran zeichnet ihre kapriziösen Launen glaubhaft nach. Dass sie sich in Bradamante, verkleidet als etwas tapriger Soldat, verliebt, ist logischer Weise nur von kurzer Dauer; Tamara Nüßl füllt diese Rolle der bedingungslos Treuen mit ihrem eher weichen Mezzosopran gut aus und betont dabei eine gewisse Schwermut. Frisch und jugendlich keck präsentiert sich Maria Teresa Bäumler mit heller Stimme als Oberto, während Stefan Schneider als Security-Chef Oronte mit angenehm lockerem Tenor eher auf Männlichkeit setzt und so die reizende Morgana aus der Reserve locken kann. Lukas Eder als Melisso und Vertrauter der Bradamante leitet die Vernichtungsaktion gegen Alcinas Reich mittels Molotow-Cocktails; in seinem Tarnanzug, ständig Bewaffnung mit sich herumschleppend, wirkt er dennoch irgendwie harmlos, und sein etwas offen geführter Bariton unterstützt das noch.

Auch wenn am Schluss aller Zauber vorbei ist – das Publikum im voll besetzten Haus bejubelt die Leistungen aller Mitwirkenden, vor allem aber ausgiebig und begeistert Theresa Romes als Alcina.

Renate Freyeisen