O-Ton

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Eine verhängnisvolle Affäre

ZAZÀ
(Ruggero Leoncavallo)

Besuch am
27. September 2020
(Premiere am 16. September 2020)

 

Theater an der Wien

Zazà ist eine Varieté-Künstlerin, der Star in einer französischen Vorstadt. Sie verliebt sich in einen Mann namens Milio. Dieser ist allerdings verheiratet, was Zazà zuerst nicht weiß. Erst ihr früherer Geliebter und Bühnenpartner Cascart öffnet ihr die Augen. Als sie selbst nach Paris fährt und dort dessen Frau und die klavierspielende Tochter vorfindet, übt sie Verzicht, gibt ihn frei und bleibt tiefunglücklich am Leben. Ein Ende, was in diesem Genre eigentlich recht ungewöhnlich ist: Das ist kurzgefasst die Handlung der Oper Zazà. Ruggero Leoncavallo hat diese um 1900 in Töne gefasst und 1919 nochmals gründlich überarbeitet.

Das Theater an der Wien und deren Intendant Roland Geyer sind dankenswerterweise bekannt dafür, immer wieder Raritäten aus dem vergessenen, riesigen Opernfundus auszugraben. Hier hat man sich für die kürzere, zweite Fassung, angereichert mit einigen Nummern aus der ersten, entschieden und spielt das Stück in pausenlosen 120 Minuten.

Dass diese subjektiv schnell verfliegen, dafür sorgt Christoph Loy, der die Geschichte inszeniert, die wieder im Theatermilieu spielt, wodurch Erinnerungen an Leoncavallos großen Erfolg I Pagliacci wach werden. Der Regisseur, der am Theater an der Wien schon mehrfach inszeniert hat,  ist ein wahrer Könner und zeigt, wie schon bei seiner rundumgelungenen Così fan tutte von Mozart bei den Salzburger Festspielen letzten Sommer, echte, glaubhafte Charaktere und zwar nicht nur bei den Hauptakteuren, sondern bis in die kleinste Rolle. Mit großem, psychologischem Gespür vermag er mit exzellenter Personenführung die innersten Gefühle der Protagonisten meisterlich darzustellen und ein intensives, sehr berührendes Kammerspiel zu zeigen. Das alles geschieht in Raimund Orfeo Voigts kühlem, weißem Bühnenbild, das als Drehbühne die Hinterbühne eines Theaters, aber auch Zazàs Garderobe und Liebesnest zeigt.

Sopranistin Svetlana Aksenova brilliert in der Titelpartie: Sowohl mit mitreißendem, fassettenreichem Spiel, wobei sie das ganze Spektrum von inniger Zuneigung über Eifersucht bis hin zur Verzweiflung durchleidet, wie auch mit ihrer runden, warmen Stimme und allen erforderlichen Höhen. Da kann Nikolai Schukoff als ihr Geliebter Milio nicht mithalten.  Denn sein Tenor ist klein und wenig durchschlagskräftig, weswegen er auch immer wieder zum Forcieren neigt. Ganz anders steht es da mit Christopher Maltman, der als ihr Ex-Geliebter Cascart mit seinem edlen, kultivierten Bariton und einem famosen Porträt ihres Mentors begeistern kann. Von den vielen kleineren Rollen stechen besonders Enkelejda Shkosa als Zazàs trunksüchtige, lästige Mutter Anaide mit viel Witz, sowie Juliette Mars als ihre Freundin Natalia wie auch Paul Schweinester als Theaterdirektor Courtois hervor.

Dass die Oper fast völlig in Vergessenheit geraten ist, dürfte wohl daran liegen, dass es keine Arien gibt, die sich sofort ins Gedächtnis bohren. Trotzdem zeigt die Musik die unterschiedlichsten Emotionen und ist mitreißend, ja, feurig einerseits, dann auch wieder zerbrechlich und matt andererseits. Sie wird vom ORF-Radio-Symphonieorchester Wien unter der routinierten Leitung von Stefan Soltész souverän und nuancenreich umgesetzt.

Das Publikum, Corona-bedingt im nur schachbrettartig besetzen Theater an der Wien, spendet heftigen Applaus und viele bravi.

Helmut Christian Mayer