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Aktuelle Aufführungen

Ein Stück für die Ewigkeit

TOSCA
(Giacomo Puccini)

Gesehen am
9. November 2020
(Premiere am 3. April 1958)

 

Staatsoper Wien

Wissen Sie noch, was am 3. April 1958, einem Gründonnerstag, geschah? US-Präsident Dwight D. Eisenhower schlägt dem Kongress in Washington eine Reorganisation der militärischen Kommandostruktur vor, die insbesondere die Position des Verteidigungsministers stärken soll, um künftig Rangeleien zwischen den drei verschiedenen Teilstreitkräften zu unterbinden. Die UN-Kommission für die Rechtsstellung der Frau beendet ihre am 17. März begonnene Sitzungsperiode und in Hamburg wird der Spielfilm Nasser Asphalt in der Regie von Frank Wisbar uraufgeführt. Darsteller sind unter anderem Horst Buchholz, Martin Held, Gert Fröbe und Inge Meysel. Der 3. April 1958 ist auch der Geburtstag von Alec Baldwin, einem US-amerikanischen Schauspieler, der in den letzten Jahren vor allem für seine Donald-Trump-Parodien in Saturday Night Live gefeiert wurde. Und an der Wiener Staatsoper feiert am 3. April 1958 in der Inszenierung von Margarethe Wallmann und in der Ausstattung von Nicola Benois Giacomo Puccinis Oper Tosca Premiere. Herbert von Karajan dirigiert, Renata Tebaldi singt die Tosca, Giuseppe Zampieri den Cavaradossi und Tito Gobbi in einer seiner Paraderollen den Scarpia. Während die Protagonisten dieser Premiere alle schon lange im Opernhimmel sind und viele Ereignisse von 1958 nur noch Randnotizen in den Jahreschroniken sind, hat diese Inszenierung der Tosca die Zeit überdauert und stand bisher  weit über sechshundert Mal seit der Premiere vor über sechzig Jahren auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper und ist damit sicher eine der ältesten Inszenierungen weltweit.

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Ein Blick in die Chronik der Wiener Staatsoper zeigt große Namen, die im Lauf der Jahre an den Aufführungen beteiligt waren. Neben Karajan waren es Dirigenten wie Clemens Krauss, Rudolf Kempe, Giuseppe Patané oder Zubin Mehta, die diese Aufführungen prägten. Auch die Besetzungslisten der Hauptpartien liest sich wie das „Who is Who“ der großen Sängerinnen und Sänger des 20. Jahrhunderts. Leonie Rysanek, Birgit Nilsson, Montserrat Caballé und Renata Scotto sprangen alle von der Engelsburg in den Tod und kamen anschließend wieder putzmunter und strahlend vor den Bühnenvorhang bis auf Martina Serafin, die sich im Dezember 2015 bei eben diesem Sprung ein Bein brach.  Unter den Tenören, die den Cavaradossi geben durften, finden wir so illustre Namen wie Giuseppe di Stefano, Nicolai Gedda, Carlo Bergonzi, James King und natürlich die drei Tenöre Domingo, Carreras und Pavarotti. Auch der fiese Polizeichef Scarpia wird von großen Namen wie Hans Hotter, George London, Eberhard Wächter oder Sherill Milnes umrankt. Mit Sondra Radvanovsky in der Titelpartie, Piotr Beczala als Cavaradossi und Thomas Hampson als Scarpia verewigen sich in diesem Live-Mitschnitt nun drei weitere Spitzensänger auf dieser illustren Besetzungsliste.

So ist auch in Corona-Zeiten, in denen die Häuser schließen müssen und ausschließlich durch Streaming-Angebote aus dem Fundus den Kontakt zu ihrem Publikum halten, eine Ausstrahlung dieser historischen Inszenierung fast schon ein Muss, um einem noch breiteren Publikum dieses Werk nahezubringen. Die hier gezeigte Aufführung vom 17. Februar 2019 ist gleichzeitig die 609. Vorstellung dieser Inszenierung seit der Premiere vom 3. April 1958.  Somit ist eine Aufführung der Tosca in Wien immer auch ein Stück erlebter Zeitgeschichte, in doppelter Bedeutung des Wortes. Denn kaum eine Oper ist so in der Geschichte verankert wie Giacomo Puccinis Tosca. Die Handlung spielt in Rom am 14. Juni 1800. Hier treffen Kirchenstaat und Polizeistaat aufeinander, sind schicksalhaft miteinander verbunden. Aber auch die Kunst, die Freiheit des Gedankengutes, steht im Widerspruch zum despotischen Herrschaftsdenken und kirchlicher Allmacht. Margarethe Wallmanns Personenregie ist der damaligen Zeit entsprechend ganz klassisch angelegt und erzeugt im Beziehungsgeflecht der drei Hauptprotagonisten eine immense Spannung. Toscas flammende Leidenschaft und Eifersucht, Cavaradossis naives Freiheitsdenken und Scarpias Brutalität und seine Bigotterie kommen in dieser Inszenierung richtig gut zur Geltung. Wallmann und Benois setzen auf die emotionale Wirkung von ausdrucksstarken Bildern. Der erste Aufzug spielt ganz klassisch in der Kirche Sant‘ Andrea della Valle. Grandios das Te Deum am Schluss des ersten Aufzuges mit einem Pontifikalamt nebst Schweizer Garde. Hier wird dem musikalischen Verismo-Stil Puccinis ein großes und nachhaltiges Bild zugeführt. Die historisch anmutenden Kostüme von Nicola Benois wirken elegant, insbesondere die große Abendrobe der Tosca im zweiten Aufzug sticht ins Auge. Das Bühnenbild ist pompös, der Palazzo Farnese im zweiten Aufzug höfisch dekadent, das Dach der Engelsburg mit Blick auf den Petersdom im dritten Aufzug perspektivisch gelungen. Man glaubt fast, sich in den Kulissen der Uraufführung der Tosca anno 1900 wiederzufinden. Und die Personenregie konzentriert sich auf die bekannten Gesten und Handlungen, die trotzdem nicht verstaubt wirken, sondern ein klassisch zeitloses Opernerlebnis ermöglichen.

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Sängerisch wie musikalisch ist es wie so häufig ein großer Abend für die Staatsoper Wien. Die Sopranistin Sondra Radvanovsky legt die Partie der Tosca schon fast hochdramatisch und sehr theatralisch an, mit nicht überhörbaren Schärfen in den Höhen und einem manchmal schon unangenehmen Vibrato, dafür aber mit einem warmen Timbre in der Mittellage. Ihre Arie Vissi d’arte beginnt sie halb liegend auf dem Diwan mit großem Pathos und Innigkeit und steigert sich dann zu höchster Verzweiflung und erhält dafür zurecht einen langen Szenenapplaus.

Piotr Beczała als Cavaradossi ist ein Belcanto-Tenor, wie man ihn heute nur noch selten hört und der auch die großen Verismo-Arien beherrscht. Seine schöne Stimme besticht durch ein warmes Timbre, und seine leuchtenden und durchdringenden Höhen setzen sich mühelos und ohne Kraftverlust gegen das Fortissimo im Orchester durch, was vor allem in seinen kraftvollen Vittoria-Rufen im zweiten Akt zum Ausdruck kommt. Sein E lucevan le stelle im dritten Akt singt er mit so starkem Gefühl und Ausdruck, dass das Publikum im Anschluss rast und über ihn ein unglaublicher knapp dreiminütiger jubelnder Szenenapplaus hereinbricht, was zur Wiederholung dieser Arie führt. Diesmal legt er das E lucevan le stelle wie ein Abschiedsgebet an, und noch einmal dankt es das Publikum mit einem knapp einminütigen Szenenapplaus. Auch Jonas Kaufmann durfte bei einer Aufführung der Tosca in Wien im April 2016 diese Arie wiederholen, was zur Folge hatte, das Angela Gheorghiu in der Titelpartie nach dieser Wiederholung zunächst in der Garderobe blieb und den armen Kaufmann alleine auf der Bühne ließ. Auch diese Anekdoten charakterisieren die Rezeptionsgeschichte dieser Inszenierung.

Der Bariton Thomas Hampson ist ja mehr als kultivierter Liedsänger und Gentleman mit großer Grandezza auf der Bühne bekannt. Er gibt den Scarpia zwar mit großem Engagement und schöner, markanter Stimmführung, doch erscheint seine Stimme fast zu hoch für diese Partie, und ihm fehlt ein wenig das dämonische, brutale Element, das die bigott-perverse Aura dieser Figur so treffend charakterisiert. Dennoch Gänsehautfeeling beim Finale des ersten Aufzuges, wenn er voller Inbrunst das Te Deum gemeinsam mit dem Chor singt. Ryan Speedo Green gibt den Angelotti mit markantem und schwarzem Bassbariton. Alexandru Moisiuc spielt den Mesner mit komödiantischem Witz und kraftvollem Ausdruck. Benedikt Kobel gibt einen verschlagenen Spoletta und Igor Onishchenko als Sciarrone und Ayk Martirossian als Schließer fügen sich solide in das Gesamtensemble ein. Rebekka Rennert, ein Kind der Opernschule Wien, singt das Hirtensolo im dritten Akt mit leichtem und hellem Sopran.

Mitreißend auch das Orchester der Wiener Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Marco Armiliato. Es wird mit großer Leidenschaft musiziert, Armiliato trägt die Sänger mit unprätentiösem Dirigat und lässt so den Klangköper aus Orchester, Chor und Sängerensemble zu einer musikalischen Einheit werden. Die Bläser intonieren sauber und präzise, insbesondere auch die Solo-Klarinette. So entfaltet sich der typisch melodische und gleichzeitig gewaltige Puccini-Klang. Der von Martin Schebesta musikalisch sehr gut einstudierte Chor harmoniert bestens, besonders ausdrucksstark natürlich im Te Deum. Das Publikum ist am Schluss restlos begeistert, und es gibt langanhaltende Ovationen. Die Qualität des Livemitschnitts ist gut, wenn auch manchmal das Licht etwas zu dunkel auf der Bühne ist. Alles in allem ein großer Opernabend, der durch den Mitschnitt für die Nachwelt erhalten bleibt. Und ganz ehrlich, so eine schmachtende Opernvorstellung zum Genießen muss auch mal sein.

Andreas H. Hölscher