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Melancholische Walzerseligkeit

ARABELLA
(Richard Strauss)

Gesehen am
26. November 2020
(Premiere 2006)

 

Staatsoper Wien

Es ist ein ach so bekanntes Sujet. Durch Spielschulden verarmter Adel, auf der Suche nach dem standesgemäßen Mann für die gräfliche Tochter, die Suche nach der wahren Liebe, dem einzig Richtigen; ein Maskenball mit Champagnerlaune, Verwechslung mit Missverständnissen und verletzten Gefühlen. Und am Schluss dann doch ein Happy End, der Richtige ward gefunden. Ein Stoff, ideal für die Operette, wie sie ein Emmerich Kálmán oder ein Franz Lehár in der silbernen Operettenära prägten. Doch Arabella von Richard Strauss geht musikalisch und inhaltlich weit über die heitere Operettenseligkeit hinaus, hinterlässt stattdessen einen melancholischen Abschiedsschmerz, der der Entstehungszeit Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts und der Rezeptionszeit Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts geschuldet ist. Es ist das letzte gemeinsame Werk des Komponisten Richard Strauss mit dem Librettisten Hugo von Hoffmannsthal. Über zwanzig Jahre nach dem Welterfolg des Rosenkavaliers soll eine neue Wiener Oper Glanz und Untergang einer Gesellschaft symbolisieren. Entstanden ist dabei eine feingeschliffene lyrische Komödie, die mit raffinierten Orchesterklängen, blühenden Gesangsmelodien und schwungvollen Wiener Walzern brilliert.

Im September 1927, vor Abschluss der Partitur der Ägyptischen Helena, schreibt Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal: „Aber jetzt hab ich nichts mehr zum Arbeiten: total abgebrannt! Also bitte: dichten Sie! Es darf sogar ein zweiter Rosenkavalier sein“.

Bereits im Dezember 1927 stimmen der Autor und der Komponist die Szenen ab, und ein Jahr später liegt das von Hofmannsthal verfasste Libretto vor. Umarbeitungen und Änderungen folgen im Frühjahr des darauffolgenden Jahres. Am 10. Juli 1929, fünf Tage vor seinem Tod, sendet Hofmannsthal den Schlussmonolog der Arabella im ersten Aufzug: „Mein Elemer …“  an Strauss. Als Reminiszenz an seinen langjährigen Freund und Gefährten vertont Strauss die Arabella in Hofmannsthals zuletzt vorliegender Fassung.

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Im Oktober 1932 vollendet Strauss die Partitur und widmet sie dem Generalmusikdirektor der Semperoper, Fritz Busch. Am 1. Juli 1933 findet in Dresden die Uraufführung der Arabella statt. Die musikalische Leitung hat Clemens Krauss, nachdem der Widmungsträger Fritz Busch von den Nazis aus seinem Amt gedrängt worden war.

Das heute immer noch mitunter als „Edel-Operette“ stark unterschätzte Werk führt das Publikum in eine durch schroffe Gegensätze charakterisierte Welt: einerseits Tanz auf dem Vulkan, Dekadenz und Übersteigerung, andererseits der unbeirrbare Glaube an „den Richtigen“ im Leben. Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal nützen diese weltanschauliche Spannung als Kontrastelement, fokussieren auf die intimen Gefühlszustände der Figuren und zeichnen hochauflösende Beziehungsbilder. Bei aller scheinbaren Leichtigkeit rührt Arabella an existenziellen und zeitlosen Fragen nach Glaube und Vertrauen, menschlicher Reife und Erfüllung. Musikalisch bedient sich Strauss in Arabella der bewährten Leitmotivtechnik und eines für seine Verhältnisse mäßig großen Orchesters. Höhepunkte der Partitur sind die nach slawischen Volksweisen ausgestalteten Passagen wie das Duett von Arabella und Zdenka: Aber der Richtige oder das Duett von Arabella und Mandryka: Und du wirst mein Gebieter sein sowie die Schlussszenen des ersten und des dritten Aufzugs. Hier setzt Strauss einen musikalischen Kontrapunkt zu seinem Zeitgenossen Franz Lehár und dessen Lustige Witwe, deren musikalischer Witz ja auch von den slawischen Elementen lebt. Den gesellschaftlichen Spiegel vorhaltend, lässt Strauss im zweiten Aufzug während der Ballszene Walzerseligkeit erklingen, mit dem Höhepunkt des Auftritts der Fiakermilli, die mit geradezu exaltierenden Jodelkoloraturen die Persiflage auf die Wiener Operettengesellschaft per se ist. Die Handlung dieser im Vergleich zum Rosenkavalier weniger bekannten Oper ist schnell erzählt:

Der letzte Trumpf in der Hand des finanziell völlig ruinierten, dem Glücksspiel verfallenen Grafen Waldner ist seine bildschöne Tochter Arabella. Die Familie hat sich in einem Wiener Hotel einquartiert, um wenigstens den Schein eines standesgemäßen Lebens zu wahren und eine gute Partie für Arabella zu finden. Da man sich eine angemessene Erziehung und Ausstattung für zwei Töchter nicht leisten kann, wird Arabellas jüngere Schwester Zdenka als Junge ausgegeben. An Verehrern für Arabella mangelt es nicht, doch sie hat sich entschlossen, den „Richtigen“ zu suchen. Als sie einem Fremden begegnet, dem Gutsbesitzer Mandryka, weiß sie plötzlich, dass er dieser eine ist. Auch Mandryka hat sich auf den ersten Blick in Arabella verliebt. Einer Verlobung stünde nichts im Wege, käme es nicht zu Verwechslungen und Missverständnissen, an denen die Liebe zu zerbrechen droht. Doch bedarf es einiger Enthüllungen in der Welt des schönen Scheins, um beginnende Risse, gekränkte Eitelkeiten und verletzte Gefühle noch rechtzeitig zu kitten, damit am Schluss Arabella wirklich den einzig Richtigen findet, auch wenn ein Hauch von Melancholie übrig bleibt.

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Regisseur Sven-Eric Bechtolf und sein Bühnenbildner Rolf Glittenberg haben 2006 für ihren Regieansatz ein dramaturgisch sparsames, aber durchaus effizientes Konzept gewählt. Sie versetzen die Oper, die von Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannstal eigentlich im Wien des Jahres 1860 in einer fast noch intakten Operettenwelt angesetzt war, geschickt und stimmig in die ausgelassenen und frivolen 20-er Jahre des letzten Jahrhunderts. Über der überschäumenden Lebenslust liegen noch die Schatten des vergangenen Ersten Weltkrieges. Der wegen seiner unglücklichen Spielerleidenschaft hoffnungslos verarmte Graf Waldner steigt mit Frau und Töchtern im Wiener Fünfsternehotel Metropol ab mit dem Ziel, seine attraktive Tochter Arabella möglichst gewinnbringend zu verheiraten, während seine Gattin Adelaide die jüngere Tochter Zdenka als Jungen ausgibt und verkleidet, da für ihre Ausstattung keine finanziellen Mittel mehr vorhanden sind. Die Verlegung in die Art-Déco-Epoche, vor allem der große Ball im zweiten Akt, passt stilistisch gut in jene Zeit. Das Hotel Metropol im Stil der Zwanziger glänzt mit nüchterner Eleganz, während die Damenkostüme von Marianne Glittenberg den raffinierten Schick jener Zeit widerspiegeln.

Im Mittelpunkt steht die komplizierte Liebesgeschichte zwischen Arabella und Mandryka, alle anderen Beziehungsgeflechte, wie das von Matteo zu Zdenka oder die vergeblichen Bemühungen der drei Grafen um Arabella sind dem untergeordnet. Sie behält im Gegensatz zu allen anderen in den entscheidenden Momenten einen kühlen Kopf und rettet am Schluss eine fast aussichtslose Situation. Mandryka wird weniger als Galan, mehr als viriler Draufgänger gezeigt, der spontan aus dem Bauch heraus seine Entscheidungen trifft, so auch sein direktes Bekenntnis zu Arabella. Das diese beiden Charaktere am Schluss zusammenfinden, ist vielleicht mehr ihrer eigenen Verletzlichkeit geschuldet. Ein gutes Gefühl, was ihre gemeinsame Zukunft betrifft, mag sich bei dieser Inszenierung allerdings nicht einstellen.

Dafür ist das gute Gefühl bei Musik und Gesang vom ersten Moment an da. Allen voran Anja Harteros in der Titelrolle der Arabella. Harteros gestaltet diese Rolle mit einer großen Innigkeit und strahlt dabei eine würdevolle Grandezza aus, wie man sie selten auf der Bühne sieht. Ihr Sopran ist von einer großen Tragfähigkeit, der weit gesponnene Bögen und leuchtende Höhen mit Leichtigkeit erzeugt, um dann wieder mit wunderbarem Piano und sphärisch anmutenden Klängen zu berühren. Ihr Schlussmonolog im ersten Aufzug und das große Duett mit Mandryka im zweiten Aufzug Und du wirst mein Gebieter sein sind die großen sängerischen Höhepunkte des Abends. Tomasz Konieczny, der fast alle großen Wagner- und Strauss-Partien seines Fachs gesungen hat, ist in der Rolle des Mandryka eine Idealbesetzung des Charakters. Sein kräftiger, manchmal rau wirkender Bass-Bariton passt optimal zu der Rolleninterpretation des Mandryka, der etwas grobschlächtig und ungestüm wirkt, aber auch die sanften Momente auf seiner Seite hat. Diese Ambivalenz gestaltet Konieczny musikalisch und darstellerisch überzeugend.

Ileana Tonca zeigt in der Rolle der Zdenka die große Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme und ihrer Darstellung. Als verkleideter junger Mann Zdenko genauso wie als liebende junge Frau Zdenka, die endlich ihren eigenen Gefühlen freien Lauf lassen kann. Mit leichtem Stimmansatz bewältigt sie mühelos die Partie, und die teilweise dramatischen Höhen, Registerwechsel und Tessitura sind bei ihr nahezu idealtypisch angelegt. Der lyrische Tenor Herbert Lippert gibt an diesem Abend den Leutnant Matteo, der zunächst unsterblich in Arabella verliebt ist und erst am Schluss die wahre Liebe zu Arabellas Schwester Zdenka erkennt. Mit einer in den Höhen etwas engen Stimmführung, aber einer komödiantisch verzweifelten Darstellung dieser Partie beeindruckt Lippert dennoch. Carole Wilson als Arabellas Mutter Adelaide überzeugt mit ihrem hochdramatischen Mezzo-Sopran, mit Furor und Ausdrucksstärke. Wolfgang Bankl als Arabellas Vater Graf Waldner verfügt über einen einerseits markanten, andererseits balsamischen Bass, der die Zerrissenheit dieses spielsüchtigen Charakters bestens darstellt.

Norbert Ernst als Graf Elemér, Manuel Walser als Graf Dominik und Sorin Coliban als Graf Lamoral fügen sich mit der leidenschaftlichen Darstellung als potenzielle Verlobte von Arabella ohne Ausnahme in das großartige Sängerensemble ein, zu dem auch Donna Ellen als Kartenaufschlägerin zählt, die mit ihrem warmen Sopran zu Beginn der Oper Adelaide die Karten liest und die Geschichte quasi vorneweg erzählt. Begeisternd auch der kurze Auftritt der jungen Sopranistin Hila Fahima als Fiakermilli. Sie schraubt ihre Jodelkoloraturen in fast unglaubliche Höhen, ohne dabei nur auf Effekthascherei aus zu sein. Der Chor, eingestimmt von Martin Schebesta, ist bei seinen kurzen Auftritten an diesem Abend stets präsent.

Der junge Dirigent Cornelius Meister am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper hinterlässt eine überzeugende Duftmarke. Ob schwelgende Walzerseligkeit, ob symphonische Tondichtung, ob derbes Poltern oder grazile Poesie, Meister führt die Musiker sicher über alle Hürden der Partitur, und erzeugt dabei einen farbenreichen und differenzierten Klangkörper. Er zelebriert den Wechsel zwischen großer Symphonik und intimer, fast kammermusikalischer Verneigung und schwelgt in einer betörenden und sinnlich berauschenden Musik. Das Publikum feiert am Schluss das Ensemble mit großem Jubel. Dieser Stream aus der Wiener Staatsoper von 2016 ist mehr als sehenswert, eine Aufnahme aus dem Jahre 2012 mit Emily Magee in der Hauptrolle unter der musikalischen Leitung von Franz Welser-Möst ist als DVD erschienen.

Andreas H. Hölscher