Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
ANDREA CHENIER
(Umberto Giordani)
Besuch am
9. Dezember 2022
(Premiere am 30. April 1981)
Mit bekannten Namen auf der Sängerliste sollte die Wiederaufnahme des Revolutionsdramas Andrea Chenier in der in die Jahre gekommenen Inszenierung von Otto Schenk die vorweihnachtliche Spielzeit der Wiener Staatsoper schmücken. Jonas Kaufmann ist seit Jahren in dieser Rolle ein Publikumsmagnet. Nach einer stimmlich indisponierten ersten Aufführung mussten für zwei folgende Aufführungen Ersatztenöre gesucht werden. Den vierten und letzten Abend – und damit die 123. Aufführung dieser Inszenierung – bestreitet ein auskurierter Jonas Kaufmann mit erfreulich guter Kondition und gewohnt überragender Spielleidenschaft. Als Titelheld ist er eine wahre Persönlichkeit der französischen Revolution, der 1794 zum Tod verurteilte Dichter und Freiheitskämpfer Andre Chenier. Er widersetzte sich den Jakobinern, pflegte gute Kontakte zum Adel und verteidigte Ludwig XVI.
Optisch überzeugt der sympathische Sänger im edlen historischen Kostümen. Als Liebhaber sprüht er leicht angegraut Erotik und ehrliche Empfindungen wieder, als Dichter spielt er einen verunsicherten Außenseiter und als Gefangenen einen gedrückten Illusionisten. Sein dunkel timbrierter Tenor mit satter warmer Tiefe und lyrischer Mitte zwängt sich in der Höhe, gedrückt arbeitet er in den Spitzentönen, um sie doch immer wieder klar schimmern zu lassen. Ohne zu viel Kraft einzusetzen, gelingen ihm vollmundige Melodien, die er auch gewohnt gekonnt nuanciert.
Foto © Michael Pöhn
Maria Agresta ist eine schüchterne Maddalena di Coigny, die in der herrschenden aristokratischen Gesellschaft verloren wirkt und als von der Revolution Verfolgte an Persönlichkeit gewinnt. Fein, ohne übersteuerte Dramatik widmet sie sich ihrer großen Arie La mamma morta und drückt dabei gebetshaft ihr Leid aus.
George Petean präsentiert sich als gelungene Besetzung des von den Ideen der Revolution überzeugten Dieners und späteren Führers Gerard. Er wechselt unaufdringlich zwischen Politik und seiner geheimen Liebhaberrolle. Sein Bariton hat Schmelz und düstere Farbe.
Auch die Nebenrollen sind alle sehr gut besetzt. Die treue Dienerin Bersi erfährt durch Isabel Signoret Präsenz, Stephanie Houtzeel kämpft als Gräfin von Coigny gegen das monströs aufspielende Orchester. Hier sticht der Auftritt von Madelon heraus. Durch die vorgeschriebene Piano-Begleitung kann Monika Bohinec mit gefühlvoller Interpretation punkten.
Francesco Lanzilotta übersteigert am Pult die Kraft des Orchesters und macht es den Sängern zumeist schwer, über den wuchtigen Orchesterklang zu singen. Forsch, ohne die veristische Gefühlsmusik schwingen zu lassen, erfährt der Zuhörer mächtige, zackige Revolutionsatmosphäre. Doch scheint am letzten Abend das Gleichgewicht besser gefunden zu sein als in den Aufführungen zuvor.
Unverändert begeistert die klassische Inszenierung, die das Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts im Renaissance-Theater sowie in den Straßen und Hinterhöfen plastisch erleben lässt. Bühne von Rolf Glittenberg und Kostüme von Milena Canonero.
Jubel und Begeisterung im Publikum.
Helmut Pitsch