O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Candy Welz

Aktuelle Aufführungen

Zu viel gewollt

AIDA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
30. Oktober 2021
(Premiere)

 

Deutsches Nationaltheater Weimar

Eine Neuinszenierung einer Oper bedeutet gemeinhin die intensive Auseinandersetzung mit einem Werk, seiner Rezeptionsgeschichte und der Biografie des Komponisten. Wenn an einem Haus eine neu verpflichtete Operndirektorin ihre „Antrittsinszenierung“ abliefert, ist das Interesse naturgemäß erhöht, bedeutet das doch die Ausrichtung für die nächsten Jahre. Am Deutschen Nationaltheater Weimar hat Andrea Moses mit ihrer Neuinterpretation von Giuseppe Verdis Aida eine klare politische Vorgabe gegeben, die eine Diskussion um die Verfremdung in der Kunst zwingend nötig macht. Das Werk kehrt nun nach fast 40 Jahren zurück auf die Bühne des DNT. Die populärste Musik daraus, vielleicht sogar die populärste in der Opernliteratur, ist der Triumphmarsch, in dem die siegreichen Ägypter die „Schätze der Besiegten“ über die Bühne tragen. Und hier setzt Andrea Moses mit ihrer Inszenierung und ihrer eigenen Interpretation des Werkes an. Für sie ist dieses Werk eine falsche Darstellung Ägyptens, überfrachtet mit dem kolonialistischen Blickwinkel der Europäer. Dem möchte Sie mit ihrer Interpretation entgegenwirken. Sie verlegt die Handlung in die heutige Zeit und lässt sie im neueröffneten Berliner Humboldt-Forum spielen. Dieses Forum, als Teil des wiederaufgebauten Berliner Schlosses, beinhaltet unter anderem das Ethnologische Museum und Museum für asiatische Kunst. Unter den Sparten West-Afrika, Ozeanien und Asien finden sich diverse Exponate wie eine Götterstatue oder ein Boot, auf die in der Inszenierung explizit Bezug genommen wird und die für Moses Zeugnisse von Raubkunst und europäischem Kolonialismus sind. Damit wird schnell klar, für Moses geht es nicht um eine werkgetreue Inszenierung der Oper, sondern ausschließlich um ein politisches Statement. Für sie ist diese Oper die ideale Plattform, um aktuelle gesellschaftliche Diskussionen anzustoßen, insbesondere über den geschichtlichen Umgang Deutschlands mit seiner kolonialistischen Vergangenheit und seine Darstellung in der heutigen Zeit.

Um ihrer Meinung Nachdruck zu verleihen, überfrachtet sie das Stück mit ideologisch verbrämten Ansichten, ohne Rücksicht darauf, dass sie dabei selbst zerstört, was sie anprangert, nämlich die Kunst.

Der Inhalt des Werkes ist hinlänglich bekannt. Die Handlung spielt im alten Ägypten zur Pharaonenzeit. Die Liebe des ägyptischen Heerführers Radames zur äthiopischen Sklavin Aida steht von Beginn an unter keinem guten Stern, droht doch ein Krieg zwischen beiden Ländern. Doch Radames weiß nicht, dass Aida in Wirklichkeit die Tochter des äthiopischen Königs Amonasro ist. Und dann ist da Amneris, die Tochter des ägyptischen Königs, ebenfalls in Radames verliebt. Aida, ihre Sklavin, wird somit zur Rivalin.  Aida ist hin und her gerissen zwischen ihrer Liebe zu Radames und der Liebe zu ihrem Vater Amonasro und ihrer Heimat Äthiopien. Ein Dilemma, das sie zutiefst quält. Und auch Radames muss um Aida willen sein Land und seine Götter verraten. Diese unheilvolle Liebe hat von Anfang an keine Zukunft und endet folgerichtig mit dem Tod der beiden. Es ist eine tragische Dreiecksgeschichte zweier Frauen, die denselben Mann lieben, bei der gesellschaftliche und persönliche Umstände einen glücklichen Ausgang von vorneherein nicht zulassen. Doch das Personengeflecht steht für Moses im Hintergrund, ihr kommt es nur auf ihr politisches Statement an. Man darf sogar so weit gehen, dass hier eine Oper und damit eine ganze Kunstgattung für ideologische Statements missbraucht wird. Moses interessiert die Oper Aida von Giuseppe Verdi überhaupt nicht, Moses interessiert sich nur für Moses, und das auf Kosten des Steuerzahlers, der viel Geld für die Finanzierung der Theater ausgibt.

Foto © Candy Welz

Die Szenerie auf der Bühne ist klar. Ein modernes Museum mit alten ägyptischen Schätzen, darunter eine Art Boot, das im Laufe der Inszenierung auch schon mal als Badewanne benutzt wird, das Bühnenbild stammt von Jan Pappelbaum. Aida ist eine Reinigungskraft in diesem Museum, das eine digitale Überschrift hat: „Ausstellung – Zweifel“ steht in riesigen Lettern über den Exponaten. Auf Videoleinwänden eingeblendete Bilder von Flüchtlingen, Vertriebenen, Kriegsopfern verallgemeinern die heutigen gesellschaftlichen Probleme. Zur Eröffnung des Museums kommt eine exaltierte und dekadente Spaßgesellschaft mit Schampusgläsern. Der Bote der Ägypter ist ein Kriegsreporter, der alles hautnah begleitet und per Webcam live überträgt. Amneris, die ägyptische Königstochter, wird mit Outfit und Perücke wie Elisabeth Taylor als Cleopatra in dem legendären Film von 1963 dargestellt und entpuppt sich als hysterische Zicke. Die nichtssagenden Kostüme gestaltete Kathrin Plath, für die zahlreichen Videos zeichnete René Liebert verantwortlich.

Radames, dem zu Beginn im Museum schon mal schlecht geworden ist, soll die Ägypter im Kampf gegen Äthiopien anführen. Schnell wird ihm eine Militärweste mit Magazinen umgehängt, schon ist er Heerführer und Kriegsheld. Auf den Videoleinwänden sieht man, wie vor der Touristeninformation in Weimar Menschen für den Krieg rekrutiert werden. Und zu den martialischen Klängen aus dem Orchestergraben werden auf den Videoleinwänden die Bombenangriffe von Drohnen und ihre Zerstörungskraft gezeigt, ein moderner Luftkrieg, der mit der eigentlichen Geschichte der Oper Aida nichts zu tun hat.

Ein Lkw mit Weimarer Kennzeichen hat ein großes Schild mit der Aufschrift „Menschen“ befestigt. Er lädt auf der Bühne einen Container mit den äthiopischen Gefangenen unter menschenunwürdigen Bedingungen ab. Im dritten Akt befinden wir uns dann hinter dem Museum auf einem mit Müllcontainern und Abfall übersäten Platz. Plakate von Radames und Amneris, die sich im linksideologischen Stil umarmen, haften überall, so also die moderne Version von „Vor dem Tempel der Isis“. Eine der groteskesten Szenen ist die Anlieferung eines riesigen Kreuzes per Amazon, das schnell zusammenmontiert wird und in diesem Museum als christliches Besatzungssymbol mit Militärschutz aufgehängt wird, was wiederum Assoziationen zu christlichen Sekten weckt.

Auch die Schlussszene wirkt verstörend. Radames wird in der Gruft verhört, sein Gesicht, von dem vorher bereits eine Totenmaske angefertigt wurde, wird per Video übertragen, während Amneris mit aller Macht versucht, sein Schicksal noch zu wenden. Aida kommt am Schluss, in sandfarbener Militärkleidung und schwer verletzt, mit dem schon bekannten Lkw-Container an, und sucht sich mit Radames etwas abseits einen Platz zum Sterben, während Amneris eine Götterstatue aus der Vitrine des Museums entfernt und in den Container legt.

Foto © Candy Welz

Es ist eine mit politischen und gesellschaftlichen Botschaften völlig überfrachtete Inszenierung, die ein Publikum heillos überfordert, weil es gar nicht mehr weiß, um was es jetzt eigentlich geht. Aus dem Grundgedanken, der Kritik an dem Neubau des Humboldt-Forums und dem geschichtlichen Umgang mit dem Kolonialismus macht Moses dann einen Rundumschlag, bedient die Themen Krieg, Flüchtlinge, Vertriebene, Schleuser, Sekten und und und. Fehlen eigentlich nur noch die Themen Pandemie und Klimawandel, dann hätte Moses alle derzeit gesellschaftlich bewegenden Themen angesprochen. Es ist ja gegen einen politischen Ansatz oder ein Statement überhaupt nichts einzuwenden, bei Wagner-Opern finden wir das regelmäßig. Wenn aber der eigentliche Inhalt einer Oper so verfremdet wird, dass man, wenn man die Musik nicht kennte, gar nicht mehr wüsste, in welchem Werk man grade ist, dann passt es einfach nicht mehr. Wofür andere Regisseure diverse Inszenierungen brauchen, wollte Moses offenbar schlicht und endlich in einer einzigen Inszenierung alles abarbeiten, frei nach dem Motto: „Seht her, ich habe was zu sagen!“ Da hat sie einfach zu viel gewollt, doch weniger ist manchmal mehr. Wenn Moses so ein politischer Mensch ist, warum geht sie dann nicht in die Politik und versucht dort was zu ändern? Die Inszenierung wird jetzt vermutlich heiß diskutiert werden, aber Nachhaltigkeit wird sie nicht erben. Bald wird keiner mehr sich für diese Aida interessieren, das ist wie in der Medienlandschaft, wenn eine Sau durchs Dorf getragen wird. Es bleibt abzuwarten, ob Moses ihre neue exponentielle Stellung weiterhin in diese Richtung ausgestalten wird. Da kann man nur mit Richard Wagner antworten: „Halt, hier gilt’s der Kunst“.

Dass der Abend wenigstens sängerisch und auch weitestgehend musikalisch überzeugt, ist der einzige Trost. Der Star des Abends ist ohne Zweifel Margarita Gritskova, die mit dramatischem Mezzosopran und intensivem Spiel als Amneris die Rolle intensiv auslebt. Camila Ribero-Souza gibt mit lyrischem Sopran eine zutiefst menschliche Aida, die sowohl in den dramatischen Ausbrüchen als auch in den zarten Piano-Tönen zu überzeugen weiß. Eduardo Aladrén ist stimmlich ein ausgezeichneter Radames, mit heldischem Tenor und schönen Phrasierungen, wohingegen sein Spiel zeitweise etwas hüftlahm wirkt. Alik Abdukayumov gibt den Amonasro mit kräftigem Bass und leidenschaftlichem Spiel, und Avtandil Kaspeli überzeugt als Ramphis mit schwarzem Bass und dämonischer Aura. Andreas Koch in der Rolle des Königs ist mit der Partie überfordert, sowohl was die sängerische Gestaltung als auch die italienische Aussprache anbelangt. Dagegen überzeugt Heike Porstein als Tempelsängerin sängerisch und spielerisch. Der Chor, von Jens Petereit gut eingestimmt, kann in den großen Chorszenen die Erwartungen erfüllen.

Die Staatskapelle Weimar spielt einen ausdrucksstarken Verdi in der reduzierten Orchesterfassung von Alberto Colla, engagiert geleitet von Dominik Beykirch. Lediglich die sechs Solotrompeter, die mit ihren Aida-Trompeten von der Bühne aus den Triumphmarsch intonieren, spielen unsauber und hauen bei den Einsätzen zweimal daneben. Schade, das ist natürlich die Stelle, die jeder im Publikum kennt. Das Publikum honoriert die musikalische und sängerische Leistung mit großem Applaus und Jubel, während das Regieteam um Andrea Moses neben Jubel auch deutliche Buh-Rufe entgegennehmen muss, was einerseits sicher an der überzogenen Überfrachtung und Verfremdung der Inszenierung liegt, andererseits aber auch an einer kühlen und wenig emotionalen Personenregie. Aus der Liebesgeschichte ist jedenfalls nichts geworden.

Andreas H. Hölscher