O-Ton

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Foto © Sabine Burger

Aktuelle Aufführungen

Berückender Barock und pinkfarbene Perücken

L’INCORONAZIONE DI POPPEA
(Claudio Monteverdi)

Besuch am
12. August 2021
(Premiere)

 

Oper Schloss Waldegg

Das Schloss Waldegg präsentiert sich an diesem Tag in strahlendem Sonnenglanz, nur ein paar vereinzelte Schleierwolken sind am ansonsten stahlblauen Himmel auszumachen. Der Landsitz Waldegg befindet sich in der Gemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus in der Nähe von Solothurn, das Gebäude selbst, das man auf einem breiten Weg mit aristokratisch anmutender Baumallee erreicht, wurde zwischen 1682 und 1690 als Sommerresidenz des Schultheißen Johann Viktor I. von Besenval erbaut. Derzeit finden die Solothurner Barocktage statt und man muss wissen, dass das pittoreske Städtchen eines der ältesten Barocktheater besitzt, das vor noch nicht langer Zeit sorgsam restauriert wurde.

Die Oper Schloss Waldegg unter dem Ensemble cantus firmus consort vollendet dieses Jahr mit dem Schlüsselwerk des Barock, der Oper L’incoronazione di Poppea, seine Trilogie mit Werken von Claudio Monteverdi. Der Dreiakter mit Überlänge und personenintensiver Besetzung nach dem Libretto von Giovanni Francesco Busenello wurde um 1642 während der Karnevalsaison uraufgeführt. Es handelt sich aber mitnichten um ein lustiges Opus, ganz im Gegenteil. Machtintrigen am Hof von Kaiser Nero fordern ihren Tribut und am Ende siegt nicht die Gerechtigkeit, sondern die Geliebte des Imperators, der ihr in der Schlussszene im wahrsten Sinne des Wortes das Krönchen aufsetzt.

Das cantus firmus consort unter der versierten musikalischen Leitung von Andreas Reize hat schon mit Monteverdis Vorgängerwerken L’Orfeo und Il ritorno d’Ulisse in patria ein feines Händchen für berückende Barockklänge vor traumhafter Schlosskulisse bewiesen. Bis zu dieser Produktion galt das auch für die Ausstattung. Unter der Regie von Maria Ursprung, Choreografie Pascale Utz, Bühne und Kostüme Anika Marquardt, wird 2021 alles etwas anders oder besser gesagt, „gendergerecht“. Man darf sich in Zeiten, in der die Thematik sicher auch in der Oper Einzug halten kann, zumindest fragen, ob denn nicht wenigstens an einem milden Sommerabend mit lauem Lüftchen einfach nur Oper sein darf.

In Ursprungs Lesart des antiken Stoffs, der musikalisch die Brücke zwischen Renaissance und Barock schlägt, ist die Thematik Er Sie Es omnipräsent. Das hat auch seine Berechtigung, denn im 17. Jahrhundert wurde auf der Bühne munter mit den Geschlechterrollen gespielt, was jedoch mehr auf die einzelnen Stimmlagen zurückzuführen ist und weniger auf ein Gefühl, im falschen Körper zu sein. Die Symbolik in dieser Freilicht-Poppea, die bei schlechtem Wetter in einen nahegelegenen Konzertsaal zieht, ist jedoch unverkennbar korrekt zurechtgerückt, darauf weist bereits am Anfang ein Pappschild mit der Aufschrift Liebe ist politisch. Weitere Hinweise folgen: Als die verstoßene Kaisergattin Ottavia ihr Leid klagt, reckt das rebellische Volk handgeschriebene Botschaften in die Höhe, die da in etwa lauten My body, my choice.

Die Kostüme von Anika Marquardt lassen keinen roten Faden erkennen. Sie sind vielmehr bunt zusammengewürfelt, als hätte man die Protagonisten aufgefordert, ihren eigenen Kleiderschrank zu plündern. Frauen tragen Handwerker-Overalls und Sneakers, vereinzelt blitzt eine Paillettenbluse vom Bühnenboden in Hufeisenform in die Zuschauerreihen und auch ein wuchtig geschneidertes Designerkleid im Denver-Clan-Stil darf nicht fehlen. Die Soldaten haben eine comicähnliche Sado-Maso-Maske übergestülpt, die Amme erinnert mit ihrer Gouvernanten-Tracht und dem Bart an eine genderfluide Mary Poppins. Am Schluss steckt der gemischte Chor, stimmlich gut geführt, im roten Fummel und alle tragen eine pinkfarbene Perücke. Man wähnt sich ein wenig in einer Schüleraufführung.

Der leicht verunglückten Inszenierung steht jedoch ein gutes Sängerensemble mit zum Teil hochkarätigen Solisten gegenüber. Poppea und Nerone werden von Sopranistin Pia Davila und Mezzosopranstin Elvira Bill stimmlich wie darstellerisch ausdrucksstark verkörpert. Mit Mezzosopranistin Geneviève Tschumi als Ottavia konnte eine große Stimme verpflichtet werden, ihr Volumen und ihr dunkel durchwebtes Timbre sind eindrücklich. Jan Börner ist als Ottone mit seinem filigranen Countertenor höhensicher, Lisandro Abadie als Seneca betört mit sattem Bassbariton und bernsteinfarbenen Tiefen. Hans Jörg Mammel als Soldat, Liberto und Console sowie Michael Feyfar als Soldat, Lucano und Console sind Stimmen, die in früheren Produktionen mitgewirkt haben und ein sicherer Wert.

Julia Sophie Wagner als Virtù und Drusilla verfügt über klare Höhen, Marion Grange als Amore und Valletto ist eine formidable Linienführung zu eigen. Solide besetzt sind auch Kathrin Hottiger als Fortuna, Pallade und Damigella, Sebastian Monti als Nutrice und Arnalta sowie Tobias Wicky als Mercurio und Littore.

Das cantus firmus consort spielt auf historischen Instrumenten, was unter den Linden im intimen Schlosshof besonders zur Geltung kommt. Das von Andreas Reize 2001 gegründete Ensemble spielt auf hohem Niveau und darf sich mit prominenteren Orchestern durchaus vergleichen. Reize gelingt am Pult für dieses dramma in musica ein auffallend beseelter Klangkörper, der im Ritornello rhythmisch aufbauscht und in der Sinfonia mit feinen Farben punktet. Für zusätzliche Authentizität sorgt gegen Ende der Aufführung auch das Wetter. Warme Sturmböen, die den Bäumen einige Blüten entreißen und ein imposantes Wetterleuchten in der Ferne formen eine dramatische Soundkulisse, sorgen aber auch für Stress bei den Instrumentalisten wegen aufkommenden Regens. Die Zeit reicht knapp und Poppea wird gekrönt. Der Applaus ist verdientermaßen stark und anhaltend, während die Orchestermitglieder ihre Kostbarkeiten in Sicherheit bringen.

Peter Wäch