O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Zum Abschied den Abendsegen

WEIHNACHTLICHES BENEFIZKONZERT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
25. November 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Voi’Sis Vocalensemble in der Johanniskirche, Viersen

Chant du choeur changeant, das klingt recht poetisch, aber nicht sehr publikumswirksam. Trotzdem feierte der 16-köpfige Damenchor mit dem Namen unter der Leitung von Hermannjosef Roosen von 2001 bis 2017 etliche Erfolge. Anfang 2018 kam dann der Neustart des Chors aus Willich. Von nun an nannte er sich Voi’Sis Vocalensemble, ein hübsches Wortspiel. Und Stella Antwerpen übernahm die Chorleitung. Eine gelungene Entscheidung, wenn man sich die Damen anschaut, die sich heute, vier Jahre später, in der Johanniskirche im Viersener Stadtteil Süchteln versammelt haben. Hochmotiviert und gut gelaunt sind sie.

Ein Weihnachtliches Benefizkonzert steht auf dem Programm. Dazu leisten die Damen sich einen besonderen Luxus. Sie treten nämlich heute Abend gleich mit zwei Chorleiterinnen auf. Die studierte Sängerin und promovierte Erziehungswissenschaftlerin Antwerpen, die heute hauptberuflich an einem Gymnasium in Meerbusch arbeitet, hat sich schweren Herzens entschieden, die Chorleitung der Stimmschwestern abzugeben. Die gute Nachricht dabei ist, dass es eine vielversprechende Nachfolgerin gibt. Seit ihrer Kindheit nahm die heute 26-jährige Andrea Magiera aus Dormagen Geigen-, Klavier- und Gesangsunterricht. Später studierte sie Musik und Englisch auf Lehramt, an der Folkwang-Universität der Künste in Essen studierte sie im Hauptfach Gesang bei Christoph Scheeben und Chorleitungsunterricht bei Jörg Breiding. Im vergangenen Jahr übernahm sie die Chorleitung beim Frauenchor Nievenheim. Jetzt kann sie zeigen, dass der Chor aus Willich bei ihr in guten Händen ist.

Gabriel Antwerpen – Foto © O-Ton

Mit dem Programm haben Antwerpen und Magiera so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau erarbeitet. Es spiegelt die gemeinsamen vergangenen vier Jahre wider, zeigt die historische Bandbreite des Repertoires, das die Sängerinnen mit Antwerpen erarbeitet haben, bietet weihnachtliche Aspekte, ohne auf das übliche Spektrum zu schauen, wirkt modern, ohne die Zuschauer zu irritieren, und gibt schon einmal die Richtung vor, in der es weitergehen soll. Das ist außerordentlich vielversprechend. Eine weitere Hilfestellung gibt es an diesem Abend von einem Pianisten. Gabriel Antwerpen, Bruder der bisherigen Chorleiterin, unterstützt den Gesang zeitweise am elektrischen Klavier.

Wunderschöne Stücke von John Rutter eröffnen den Abend. A Flower Remembered, A Clare Benediction, Garelic Blessing und Angel Carol stehen stellvertretend für die suggestiven Klänge und eingängigen Melodien, die die Musik des Komponisten, Dirigenten und Chorleiters auszeichnen. Da entsteht gleich schon mal eine geistige Sphäre, in die sich das Adoramus eines unbekannten Komponisten, das Ave verum corpus von Francis Poulenc und die Alma redemtoris von Michael Schmoll fast schon unauffällig einfügen. Die Sängerinnen haben sich dabei an zwei sehr unterschiedlichen Dirigierstilen zu orientieren. Antwerpen mit ihrem zupackenden, offensiven Dirigat macht aus jedem Stück ein Abenteuer, das es zu bewältigen gilt. Ohne dass die Besucher es sehen können, singt sie lautlos, aber mit weit geöffnetem Mund mit, als müsse sie besonders müde Sänger wachrufen. Schaut man ihr zu, ist es, als dirigiere sie Swing. Fast schon ein wenig verwunderlich, wenn dabei Kirchenmusik herauskommt. Ganz anders Magieras Auftritt, ohne das in irgendeiner Form werten zu wollen. Eher konservativ, fast schon ein wenig zurückhaltend, aber ausgesprochen souverän führt die junge Musikerin den Chor. Letztlich erreichen beide die gewünschte klangliche Qualität.

Ihr eigenes Gesangsvermögen zeigen die beiden im Duett. Und zwar nicht in irgendeinem. Sondern in einem, das Opernsängerinnen in ihrem Berufsleben vermutlich gar nicht oft genug singen können. Zumindest ist das der Eindruck, wenn man auf die Programmzettel von Arienabenden und Operngalas schaut. Hier fehlt das Blumen-Duett Viens, Mallika! … Sous le dôme épaisaus der Oper Lakmé von Léo Delibes fast nie. Wenn man allzu Bekanntes neu aufwärmt, ist es schwierig, noch einmal einen neuen Aspekt der Interpretation zu finden. Den beiden gelingt ein luzider, pathosfreier, schwebender Vortrag, der das Publikum packt. Brave!

Stella Antwerpen und Andrea Magiera – Foto © O-Ton

Mit Skyfall von Adele geht es in den Pop-Bereich, der sich in der Chorliteratur zunehmender Beliebtheit erfreut. Dann setzt Magiera einen neuen Akzent, wenn sie zu The Scientist von Guy Berryman zur Geige greift. Ein gelungener Einfall, der den Abwechslungsreichtum des Abends vorantreibt. Bei Fix You von Coldplay steht dann der Chor wieder ganz im Vordergrund.

In der letzten Gruppe übernimmt Antwerpen wieder ganz das Ruder, so, als gelte es, das Abschiedsgeschenk zu überreichen. Mary Did You Know von Buddy Greene, ein moderner Weihnachtsklassiker, eröffnet. Von Andy Beck erklingt The Snow Begins to Fall, das – vergeblich – Winterstimmung verbreiten will. Nach Little Drummer Boy von Simone, Davis und Onorati schließt ein wunderbares Programm mit Christmas Joy von Roger Emerson. Oder doch nicht ganz. Symbolträchtig geht es mit der Zugabe noch mal in die Vergangenheit. Ende des 19. Jahrhunderts komponierte Engelbert Humperdinck den Abendsegen für seine Märchenoper Hänsel und Gretel. Heute Abend wird er in zwei Teilen dirigiert. Die erste Hälfte von der, die geht und ihren Segen erteilt, die zweite Hälfte von der, die die Zukunft segnet. Da kann sich Antwerpen nach dem Konzert ein wenig Wehmut nicht verkneifen.

Das Publikum in der sehr gut besuchten Kirche bekommt von der Stabübergabe wohl kaum etwas mit. Und das ist ja auch so gewollt. Aber das schmälert die Begeisterung irgendwo in der rheinischen Provinz nicht einen Deut. Hier klingt der Abend mit Glühwein vor der Kirche aus. Und das Voi’Sis Vocalensemble kann das nächste Kapitel in seiner Geschichte optimistisch aufschlagen.

Michael S. Zerban