O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ennevifoto

Aktuelle Aufführungen

Triumph der Musik

LE STELLE DELL’OPERA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
1. August 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Arena di Verona

Alles ist anders. Corona schlägt auch in Verona zu. Aber das Team um die Intendantin Cecilia Gasdia stemmt sich tatkräftig gegen alle Behinderungen. Nachdem die diesjährige Saison mit den gewohnt prunkvollen Aufführungen abgesagt und eins zu eins auf das nächste Jahr verschoben wurde, arbeitete die Führung an neuen möglichen Konzepten. Sobald mehr Klarheit über das Mögliche in diesem – hoffentlich außergewöhnlichen – Corona-Sommer bekannt wurde, stand das Konzept für ein kräftiges Lebenszeichen in diesem Sommer und auch dem gebeutelten Sommertourismus mit attraktiven Veranstaltungen unter die Arme zu greifen.

Nel cuore della musica – Im Herzen der Musik tituliert die Stiftung der Arena von Verona nun einfühlsam das Sommerprogramm aus elf Konzertabenden, an denen viele gefeierte Opernsänger auftreten. Der Volksfest-Charakter der Arena hat sich bereits in den letzten Jahren zur Qualitätsveranstaltung geändert und dieser Weg wird fortgesetzt für die treuen Opernfans, die nach dem lebendigen Musikerlebnis darben. Die Dimensionen, das Fassungsvermögen und die außerordentliche Akustik des klassischen Baus ermöglichen mit einem außergewöhnlichen Raumkonzept, die Corona-Bestimmungen einzuhalten. Passend ist das Parkett geräumt und auf einem roten Podest nimmt mittig das Orchester Platz. Das stark reduzierte Publikum sitzt auf den Steinstufen im geöffneten Halbrund locker platziert. Eine Lichtershow mit im Boden postierten, sich bewegenden Spots und Projektionen auf die leeren Stufen hinter dem Orchester untermalt das Hörerlebnis optisch. Temperaturkontrollen, Abstand und Mund-Nasen-Masken sollen die Zuschauer zusätzlich vor Infektionen schützen.

Das Orchester der Arena di Verona begleitet in großer Besetzung und mit viel Klangvolumen unter der Stabführung von Marco Armiliato die Solisten des Abends. Immer wieder beeindruckend die hervorragende Akustik der Arena, die eine klare warme Umhüllung der Gesangsstimmen ermöglicht. Mit den Ouvertüren aus I vespri siciliani von Giuseppe Verdi und Don Pasquale von Gaetano Donizetti zeigt das Orchester seine künstlerische Qualität auch im Symphonischen. Armiliato hält Schwung und Spannung, weiß, mediterrane Atmosphäre in Melodien einzupacken.

Zu Beginn des Abends eröffnet Ambrogio Maestri passend mit dem Prolog aus der Oper Pagliacci von Ruggero Leoncavallo.  „Si può? Si può?“ lädt das Publikum ein, die Welt des Theaters zu erleben. Theater wie auch jeden Opernabend. Die gewachsene Körperfülle belastet den sympathischen, großgewachsenen Bariton sichtlich. Beschwerlich bewegt er sich auf die Bühne und wirkt müde, vielleicht auch hitzebedingt. Die Steinstufen der Arena kochen nach einem schwülen, heißen Sommertag noch bis spät in den Abend hinein. Seine Stimme zeichnet sich durch kraftvolle Töne aus, die er in langgezogenen Stimmbögen vereinen kann. Diese Legati mit weichem Timbre unterlegt und sicheren Höhen sind seine Markenzeichen, allein an diesem Abend wirken sie angestrengt.

Anna Netrebko – Foto © Ennevifoto

Die Russin Ekaterina Gubanova ist an den großen Bühnen zu Hause und mit ihrem breiten Repertoire bekannt. In der Arie der Azucena Stride la vampa aus Il Trovatore von Giuseppe Verdi verleiht ihr dunkler Mezzosopran raue, mystische Farbe in der Mittellage, klar und hell bleibt die Höhe und in der Tiefe wird ihre Stimme konturlos. Dramatik lässt Ihre Interpretation der Arie der Eboli O don fatale aus Don Carlo vermissen.

Yusif Eyvazov startet mit der Arie Forse la soglia attinse … ma s’è m‘è forza perderti aus Un ballo in maschera von Giuseppe Verdi. Seine von Natur kraftvolle Tenorstimme zeigt mit deutlich stärkeren Nuancen in der Stimmführung eine Weiterentwicklung und Verfeinerung der Stimmtechnik. Deutlich steigert er sich noch in seinen weiteren Auftritten mit den Arien La vita è inferno … o tu che in seno agli angeli aus La forza del destino und der mit voller Emotion und Kämpferwillen dargebotenen Un dì all’azzurro spazio aus Andrea Chénier von Umberto Giordano.

Seine Gattin Anna Netrebko bestätigt wieder ihre Ausnahmestellung als große Operndiva und herausragender Figur des Abends. Sie reißt die Zuhörer mit ihren Auftritten zu Begeisterungsstürmen hin. Ihr Rollendebüt als Elisabetta in Don Carlo von Giuseppe Verdi fand dieses Jahr in Dresden, Corona-bedingt vor handverlesenem Publikum mit Kammermusikbegleitung statt. Mit der Arie Tu che le vanità lässt sie erwartungsvolle Freude für die noch kommende richtige Umsetzung –hoffentlich für ein breiteres Opernpublikum – aufkommen. Mit der Leichtigkeit im Umgang ihres scheinbar unermesslichen Stimmvolumens bis in sphärische Höhe sowie der Flexibilität in der Tongebung versteht sie zu verzaubern. Lebendigen, feinsten Operngenuss erlebt das Publikum in der Darbietung der Arie Del sultano Amuratte … io son l’umile ancella aus der Oper Adriana Lecouvreur von Francesco Cilea. Als ein Theaterstück im Theaterstück ermöglicht die Szene Netrebko, auch ihr darstellerisches Können prägnant zu präsentieren. Kokett resolut weist sie in der Rolle der Schauspielerin Adriana Schmeicheleien zurück und erklärt sich als demütige Magd, als aufrichtige Künstlerin. Jeder in der Arena ist davon nach dem letzten Ton überzeugt. Unvergesslich überstrahlt sie zuletzt das Orchester und ihren Lebenspartner im Duett Vicino a te s’acqueta, wiederum aus Andrea Chenier. 

Als Zugabe bedanken sich die Künstler beim Publikum mit einer Szene aus Rigoletto von Giuseppe Verdi, und alle vier Solisten treten gemeinsam auf. Wie inszeniert leuchtet der nahezu vollständig entwickelte Vollmond als weiterer Stern den ganzen Abend stimmungsvoll über der Arena. Ein endlich wieder großer Abend für die beglückten Opernfans geht zu Ende, Corona scheint für befreiende Augenblicke vergessen. Diszipliniert wieder mit Maske bekleidet, kehren die Gäste auf die Piazza vor der Arena zurück.

Helmut Pitsch