O-Ton

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Foto © Matthias Baus

Aktuelle Aufführungen

Staatspräsidenten – fast sympathisch banal

NIXON IN CHINA
(John Adams)

Gesehen am
7. April 2020
(Livestream)

 

Staatsoper Stuttgart

So zwiespältig die Uraufführung von John Adams Oper Nixon in China 1987 in Houston bewertet wurde, auf so einhellige Zustimmung stieß die Neuinszenierung des Werks an der Württembergischen Staatsoper Stuttgart, deren ein Jahr zurückliegende Premiere jetzt als Livestream über die Monitore flimmert. Hervorzuheben sind die flexible Kameraführung, die professionelle Tonqualität und die hilfreiche Untertitelung des englisch gesungenen Textes. Ein Service, der bei Livestreams anderer Häuser nicht selbstverständlich ist.

Die hervorragende Besetzung der zentralen Partien und die fantasievolle Inszenierung Marco Štormans können über die Problematik des Werks nicht hinwegtäuschen. Probleme, die gleichermaßen aus dem Sujet, dem Libretto und der Musik erwachsen. Das politisch effektvolle, aber ergebnisarme Treffen Richard Nixons beim chinesischen Parteivorsitzenden Mao Tse-tung 1972 gibt an sich wenig her für das Musiktheater. Ganz abgesehen davon, dass Personen der Zeitgeschichte als singende Opernfiguren zwangsläufig pathetische, psychopathische oder karikierende Züge annehmen. Dass derart thematisierte Opern wie Der Kniefall von Warschau von Gerhard Rosenfeld oder Gorbatschow von Franz Hummel nach ihrer Uraufführung in der Versenkung verschwunden sind, ist kein Zufall.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Und wenn sich bei John Adams Mao, Nixon, Kissinger und Chou En-lai angesichts der mit ihnen verbundenen Schandtaten vom Vietnam-Krieg bis zur Kulturrevolution in harmlosen Monologen und Duetten selbst feiern, in Alltagsbanalitäten verzetteln oder pseudo-philosophische Erkenntnisse von sich geben, ist die Frage erlaubt, in welche Zielrichtung die Librettistin Alice Goodman und der Komponist mit der Vertonung stoßen wollten. Mehr als die bis heute aktuelle Tatsache, dass die ideologischen Barrieren zwischen den USA und China noch stabiler und dicker gebaut sind als die Große Mauer, erschließt sich nicht.

Bereits das Libretto bereitet Probleme. Gezeigt wird der mediengerechte Auftritt Nixons bei der Landung in Peking, der allerdings von dem nicht minder eitlen Mao an Pomp noch überboten wird. Die Gespräche zwischen den Staatsmännern erschöpfen sich in Dialogen gegenseitiger Verständnislosigkeit. Man redet aneinander vorbei. Mao philosophiert auf dünnem Niveau, Nixon ist an wirtschaftlichen Fragen interessiert.

Das Besuchsprogramm mit der Besichtigung einer Schweinemast und eines brutalen Revolutionsstücks interessiert die amerikanischen Gäste herzlich wenig. Die First Lady fühlt sich regelrecht abgestoßen. Im dritten Akt ziehen sich die Herrscher in private Gefilde zurück. Während Mao wenig Leidenschaft für die Revolution und nur begrenzten Optimismus in die Zukunft erkennen lässt, hält seine Frau Chiang Ch’ing mit blindem Fanatismus an die Erfolge der glorreichen Revolution fest. Nixon und Pat ergehen sich in Erinnerungen an ihre glückliche Jugend. Chou En-lai, der Mao immer misstraute, erweist sich als liberal denkender Beobachter im Hintergrund und hat das letzte Wort.

Das alles packt Adams über zweieinhalb Stunden in eine gefällige minimalistische Klangmühle. Handwerklich effektvoll und farbig gestrickt, aber so neutral und austauschbar wie wesentliche Teile des Librettos. Dass André de Ridder am Pult des Staatsorchesters Stuttgart die motorisch schnurrende Endlosschleife betont weich formt und die Kontraste wenig akzentuiert, unterstreicht die Belanglosigkeit der Klangkulisse zusätzlich.

Was nicht heißt, dass den Sängern anspruchsvolle Aufgaben verwehrt werden. Und ihnen gehört letztlich die Palme der Aufführung. Matthias Klink mit seinem bewusst scharf artikulierenden Charaktertenor präsentiert als Mao das Muster eines aalglatten Machtmenschen. Michael Mayes stellt mit seinem gewaltigen Bariton Nixon als einen selbstbewussten, aber letztlich von inneren Zweifeln geplagten Präsidenten dar. Katherine Manley wertet die Rolle von Nixons Gattin Pat deutlich auf, indem sie wesentlich differenziertere Eigenschaften freilegt als nur die eines attraktiven präsidialen Anhängsels. Gan-ya Ben-gur Akselrod als Madame Mao überzeugt nicht nur durch ihre bravouröse Koloraturtechnik, sondern auch durch die Vehemenz, mit der sie der revolutionären Idee nacheifert. Ein wenig altklug ist die Rolle des Mao-Gegners Chou En-lai angelegt. Der ungewöhnlich junge Jarrett Ott wirkt in der Rolle wie ein Seneca in jungen Jahren.

Regisseur Marco Štorman setzt in seiner Inszenierung auf Tempo und Effekt. Angesiedelt ist die Handlung in den Dekorationen von Frauke Löffel in eine Art Mondlandschaft. Und Nixon betrat schließlich das fremde Land im gleichen Jahr wie Armstrong den Mond. Die amerikanische Flagge wird gepflanzt, was aber vom agilen Auftritt Maos in den Schatten gestellt wird. Nixon muss es sich sogar gefallen lassen, von Mao-Bibeln geradezu gesteinigt zu werden. Die Tristesse der chinesischen Landschaft wird durch farbige Silhouetten mit gemalten Revolutionsszenen aufgehellt. Klugerweise vermeidet Štorman jede optische Kopie der Originale. Nixon präsentiert sich als knorriger bärtiger Draufgänger, Mao als smarter Charmeur wie aus einem Mode-Journal. Die Chinesen sind in helle, von Sara Schwartz kreierten Outfits gekleidet, wie sie auch bei Amerikanern beliebt sein dürften.

Die effektvollsten Szenen, etwa das propagandistische Revolutionsstück, mit dem die Gäste beeindruckt werden sollten, inszeniert Štorman mit viel Trubel und Theaterdonner. Der Rückzug in die Privatsphäre am Ende gerät aber auch ihm recht pathetisch, woran allerdings das Libretto nicht unschuldig ist.

Immerhin gelingt es Štorman zu zeigen, dass sich die ideologisch so weit entfernten Gedanken der beiden Staatsmänner treffen, wenn sich ihre Vorstellungen zum Schaden ihrer Völker dogmatisch verhärten. Am Ende, wenn Erinnerungen an glücklichere Jugendzeiten geweckt werden, wirken sie ähnlich schwach und sentimental.

Das Stuttgarter Publikum überschlägt sich vor Begeisterung für einen im Grunde banalen, wenn auch äußerst effektvollen Opernabend.

Pedro Obiera