O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Baus

Aktuelle Aufführungen

Skurriles Computerspiel

DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN
(Sergej Prokofjew)

Besuch am
20. März 2020
(Video on demand, Premiere am 2. Dezember 2018)

 

Staatsoper Stuttgart

Die Oper wird demokratisch, wer hätte es gedacht? In diesen Tagen kann keiner mehr mit teuren Opernkarten protzen, sich im Foyer sehen lassen oder den Schampus so schlürfen, dass die andern sehen, dass man sich das leisten kann. Es gibt keinen Sperrsitz, von dem aus man nur noch die Hälfte sieht, oder den Platz hinter der Säule respektive unterm Balkon, wo nur noch Klangfetzen zu vernehmen sind. Alles passé. Stattdessen zeigen die großen Opernhäuser Aufzeichnungen ihrer Aufführungen. Die Modi unterscheiden sich von Haus zu Haus. Bei der Staatsoper Stuttgart findet man nun allwöchentlich, pünktlich zum Feierabend am Freitagnachmittag, unter dem Titel Oper trotz Corona ein neues Video, das dann eine Woche lang abrufbar ist. An diesem Freitag wird die Liebe zu den drei Orangen von Sergej Prokofjew, uraufgeführt 1921 im Auditorium Theatre von Chicago, gezeigt. Die Premiere der Inszenierung von Axel Ranisch fand am 2. Dezember 2018 statt, die Aufzeichnung wurde am 22. April des Folgejahres vorgenommen. Auch wenn die Bildqualität nicht ganz auf dem neuesten Stand ist, bleiben die wesentlichen Dinge und vor allem die Farbenfreude der Inszenierung sichtbar, und die Tonqualität ist durchgängig gut.

Von Prokofjew als Märchenstoff verwendet, widmet Regisseur Ranisch die Oper in ein Computerspiel um. Saskia Wunsch greift das Thema in ihrem Bühnenbild auf. So wird im Hintergrund ein Gaze-Vorhang aufgezogen, auf dem Till Nowak seine Computeranimationen zeigen kann, die in ihren Bildern ein bisschen an die frühen, verpixelten Computerspiele erinnern sollen. Das Konzept kann trotz mancher Requisite, die sich ebenso verpixelt darstellt, nicht ganz aufgehen – und so bildet das Computerspiel eher einen Rahmen, vor dem das eigentliche Geschehen bis auf ein paar Regie-Einfälle recht werkgetreu stattfindet. Warum Ninetta plötzlich schwanger ist, zählt zu den kleinen Überflüssigkeiten, die aber dem Spaß an der Aufführung nicht wirklich etwas nehmen können. Die Freude an der Aufführung rührt aber – neben der musikalischen Leistung – in erster Linie von den ganz wunderbaren Kostümen von Bettina Werner und Claudia Irro her, die ihrer Fantasie freien Lauf ließen und herrlich bunte, einfalls- und abwechslungsreiche Klamotten entworfen haben, die den überdrehten Schwung der Inszenierung höchst amüsant treffen. Hier bedauert man fast ein wenig, das Video zu sehen, weil in den Naheinstellungen Details zu erkennen sind, die vor der Bühne mit Sicherheit nicht zu sehen waren. Dass Katharina Erlenmaier in ihrer Choreografie mal wieder nur moderne Gruppentanzbewegungen einfallen, um einen „modernen“ Bezug herzustellen, ist zu verschmerzen. Reinhard Traub setzt die Szene in unauffälliges, aber ausreichendes Licht. Glänzen kann da die Personenführung von Ranisch, die für viel Schwung sorgt, ohne den Sängerdarstellern Unmögliches abzuverlangen.

Prokofjew überfordert die Sänger nicht, wenn man von ein paar Stellen absieht, denen vor allem die Damen Glanz verleihen können. Und so zeigt sich das Ensemble stimmlich durchgängig von seiner besten Seite. Mit in Krone und Zepter schwappendem Orangensaft macht Patrick Zielke als König eine gute Figur. Kai Kluge findet für die schwierige Darstellung des Prinzen zwischen Naivling, kränkelndem Depressiven und Helden die richtige Balance. Auch Daniel Kluge hält den Narren Truffaldino klug im Zaum und verbreitet damit viel Freude. Carole Wilson spielt ganz zauberhaft die böse Fata Morgana, und Michael Ebbecke verleiht dem Zauberer Celio väterliche Züge. Warum Matthew Anchel Farfarello und die Köchin tuntig darstellen muss, erschließt sich weder aus Handlung noch Rolle. Nichtsdestotrotz bereitet er dem Publikum mit seinem „Bändchentanz“ einen großen Spaß. Die Schwangerschaft ist recht albern, aber Carina Schmieger weiß die Ninetta überzeugend darzustellen, so dass man über diesen Regie-Einfall einfach hinwegsehen kann. Nicht hinweghören aber kann man über die schönen Leistungen des Staatsopernchors in der Einstudierung von Manuel Pujol, der sich mit Spielfreude und ausreichendem Klangvolumen präsentiert.

Alejo Pérez dirigiert das Staatsorchester Stuttgart. Ohne zu wissen, ob das Video im Ton nachbearbeitet wurde, gefällt die Musik in ihrer ausgewogenen Balance zur Bühne und dem packenden Zugriff an den richtigen Stellen. Pérez gelingt es, den Elan, den Ranisch auf die Bühne bringt, auf den Graben zu übertragen. So kommen die mehr als zwei Stunden ohne gefühlte Längen aus.

Einen tieferen Sinn wird man in dieser Inszenierung wohl vergeblich suchen, aber Ranisch versteht es, gelungene Unterhaltung zu zeigen. Und das ist in diesen Zeiten ja auch mal ganz schön. Das Video vermag zu fesseln, so dass einem in der Zeit nicht einmal einfällt, eine Pause einzulegen. Am kommenden Freitag wird es dann in Stuttgart wieder ernsthafter, wenn Richard Wagners Lohengrin zu sehen ist.

Michael S. Zerban