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HERZOG BLAUBARTS BURG
(Béla Bartók)

Gesehen am
14. November 2020
(Premiere am 2. November 2018)

 

Staatsoper Stuttgart

Es ist schon ein etwas ungewöhnlicher Ort für eine Opernaufführung. Statt im vertrauten Stuttgarter Opernhaus wird Béla Bartóks Einakter Herzog Blaubarts Burg im ehemaligen Paketpostamt inszeniert, und zwar als Installation des Regisseurs und bildenden Künstlers Hans Op de Beeck, der neben der Installation und der Regie auch für die Kostüme und das Licht verantwortlich ist. Die Bühne ist eine Art Bootssteg, der in der Mitte des Raums platziert ist, unter dem das Wasser knöcheltief steht. Ein paar verdorrte Bäume, ein alter Kahn, eine Stahltonne, in der es glüht, ein paar rostige Fahrräder, das ist das in ein meist tiefes Dunkel getauchte Setting. Die Zuschauer müssen, mit wasserdichten Überschuhen ausgestattet, durch das Wasser zu ihren Plätzen waten, während im Hintergrund schon der Prolog zu vernehmen ist. Rund um diesen „Tränensee“ befinden sich kleine trockene Areale, hier ist das Publikum gesetzt, das nun trockenen Fußes dieses tiefenpsychologische Kammerspiel verfolgt.

Stockfinster und feuchtkalt ist es in Blaubarts Burg, als der Herzog seine neue Frau Judith nach Hause führt. Aber Judith scheint von einem überwältigenden Willen getrieben, alles Vertraute hinter sich zu lassen. Mit ihrer Liebe will sie die düsteren Hallen erhellen, will die Türen aufreißen, hinter denen sich Blaubarts prachtvollste und blutrünstigste Geheimnisse verbergen. „Kühl und süß ist’s, wenn die offnen Wunden bluten“, seufzt Blaubart wehmütig und sieht zu, wie die Frau seiner Zukunft in seine tödliche Vergangenheit abgleitet. Krieg, Folter, Schätze, Ländereien, mit jeder geöffneten Tür schiebt sich die unheilvolle Burg ein Stück weiter zwischen die Liebenden. Es gibt sieben Türen, sieben Kammern, sieben Schlüssel. Mit jeder geöffneten Tür erkennt Judith immer mehr, was für schreckliche Geheimnisse Blaubart verbirgt. Doch es ist kein Horrorspektakel, was sich da auf der Bühne abspielt, sondern ein Dialog über Liebe, Wahrheit und Erkenntnis. Es sind die verschlossenen Seelenkammern, die Op de Beeck mit seiner intelligenten Installation hier zu öffnen weiß, mit den Zuschauern als stummes Volk.

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Das Bühnenbild ist atmosphärisch so stark, dass er in die Handlung gar nicht eingreifen muss und alles der persönlichen Ausstrahlungskraft der beiden Protagonisten überlässt.  Hier öffnet sich keine Tür, sieht man nicht die beschriebenen Folterinstrumente. Rosafarbene Blüten, schwarze Blüten, dunkle Luftballons, die Judith aus Körben holt, sie sind die Metapher für all den Schrecken, aber auch für die uneingeschränkte Liebe Judiths. Ansonsten ist es der Fantasie der Zuschauer überlassen, das zwischenmenschliche Drama zu interpretieren, geleitet von den teils dramatischen, teils intimen Klängen der Musik. Immer wieder wenden sich Blaubart und Judith auf dem Steg, voneinander abgestoßen und doch wieder zueinander hingezogen wie Magnetpole, dem Staatsorchester zu, das in großer Besetzung hinter dem Steg aufgestellt ist. In der verstörenden und betörenden Musik hört man all das, was nicht ausgesprochen wird.

Béla Bartók komponierte seine erste und einzige Oper Herzog Blaubarts Burg 1911, die Uraufführung fand aber erst 1918 nach dem Ende des Ersten Weltkriegs statt. Bartóks Musik ist enorm intensiv, mit großen dynamischen und klangfarblichen Dimensionen, wenn das gesamte Orchester im fortissimo ertönt, dann wiederum ist sie zart und intim, besonders im innigen Zwiegespräch der beiden Protagonisten. Gleichzeitig ist sie wie ein Leitmotiv des Seelenspiegels der beiden. Dieser Musik folgend, lässt Op de Beeck den Zuschauer eintauchen in die mystischen Räume des Herzogs, in denen die Zeit wie versteinert steht und es keine Zukunft geben kann. Im Zentrum steht für ihn das endlose Frage-Antwort-Spiel des magnetisierten Liebespaares, dessen innere Einsamkeit unüberwindbar bleibt. Die nächtlichen Momente der Stille sind ein wiederkehrender Topos in Op de Beecks Schaffen.

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Falk Struckmann und Claudia Mahnke geben diesem etwa einstündigen, in Originalsprache gesungenen Dialog mit der Ausdruckskraft ihrer Stimmen und ihrer Gesten eine besondere emotionale Intimität. Struckmann verleiht dem Blaubart mit seinem charismatischen Bariton die notwendige Dramatik und Schwärze, die die tiefen Abgründe seiner Seele offenbaren. Es gelingen ihm aber auch die innigen Momente, an denen man Mitgefühl für diese dunkle Gestalt empfindet. Mahnke hat das warme Fundament des Mezzosoprans, das die intimen, liebenden Momente so schön charakterisiert. Sie hat aber auch den Furor in der Stimme, um von einer Sekunde zur nächsten in eine hochexplosive Dramatik zu wechseln. Die Gratwanderung an sängerischer Ausdruckskraft und emotionaler Darstellung gelingt ihr formidabel.

Der Dirigent Titus Engel, der das Staatsorchester Stuttgart leitet, kommt zu Beginn mit einem dieser alten Fahrräder über den Steg gefahren, bevor er zum Taktstock greift und mit dem Orchester in die Klangwelten eintaucht. Er betont und differenziert die Dynamik, die von einem tiefen Streicher-Pianissimo am Anfang ihren Ausgang nimmt. Musikalischer Höhepunkt ist, nach dem Öffnen der fünften Tür, wenn acht Blechbläser im strahlenden C-Dur auf einem Seitensteg spielen. Insgesamt hält Titus gut die Balance zwischen dem überbordenden Orchesterklang und dem Sängerdialog in seinem Rücken, und hält somit die Spannung über eine Stunde konstant hoch. Das Publikum, das sicher mit dieser ungewohnten Umgebung erst einmal zurechtkommen muss, dankt es mit großem Applaus und einzelnen Jubelrufen für das Sängerpaar, den Dirigenten und das Orchester.

Die vorliegende Aufzeichnung von 2018 ist trotz der dunklen Umgebung bildtechnisch gut anzuschauen, auch der Ton ist sehr gut gemischt und die deutschen Untertitel lassen den Dialog verständlich erscheinen. So passt diese Aufnahme gut in die trübe Novemberzeit, in der die Staatsoper Stuttgart mit dem Slogan „#opertrotzcorona“ den Corona-bedingten Lockdown zu überbrücken sucht. Man darf gespannt sein, was in der kommenden Woche „on demand“ präsentiert wird.

Andreas H. Hölscher