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Kalter Stein

CAVALLERIA RUSTICANA
(Pietro Mascagni)

Gesehen am
2. Dezember 2020
(Premiere am 11. Oktober 2020)

 

Staatsoper Stuttgart

Wenn an einem Opernhaus ein Verismo-Abend gegeben wird, dann steht meist neben Pietro Mascagnis Cavalleria Rusticana Ruggero Leoncavallos Pagliacci auf dem Spielplan. In Stuttgart, das für seine Experimentierfreude bekannt ist, kombiniert man die „Bauernehre“ mit Salvatore Sciarrinos Oper Luci mie traditrici aus dem Jahre 1998. Beide Stücke wurden von Barbara Frey inszeniert und hatten am 11. Oktober dieses Jahres Premiere. Die beiden Werke werden als Video-Stream in der Stuttgarter Reihe „Oper trotz Corona“ gezeigt. Den Anfang macht die Cavalleria Rusticana. Mascagni gewann einst mit diesem Stück einen Kompositionswettbewerb. Die Geschichte ist so alt wie simpel: Santuzza ahnt, dass Turridu, der ihr die Heirat versprochen hat, sie mit seiner einstigen Liebe Lola betrügt. Verlässt er Santuzza, bleibt sie ehrlos zurück und wird von der Dorfgemeinschaft verstoßen. Santuzzas Angst zieht in Mascagnis Einakter Cavalleria rusticana eine mörderische Gewalttat nach sich – und das an einem einzigen Vormittag: Da sich Turridu ihrem Flehen konsequent entzieht, verrät Santuzza dem Ehemann Lolas den Ehebruch. Statt Vergebung und Erlösung steht am Ende des Ostersonntags ein Blutopfer, das einem Jahrhunderte alten Gesellschaftskodex gehorcht. Verdichtet auf 75 hochemotionale und dramatische Minuten, entwickelt Mascagnis Musik einen mitreißenden Sog. Unverstellte, rustikale Leidenschaft wollte er auf der Bühne sehen, weshalb er die Ränke seiner Cavalleria nicht bei einer adligen Elite, sondern in einem einfachen Milieu, im wirklichen Leben spielen lässt. Damit prägte er die italienische Stilrichtung des Verismo, der die Gefühle des einfachen Volkes ins Theater brachte.

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Genau diese Gefühle fehlen in Freys Inszenierung. Gemeinsam mit dem Bühnenbildner Martin Zehetgruber schafft sie eine kalte, distanzierte Atmosphäre, die keinerlei heißblütige italienische Leidenschaft zulässt. Hinzu kommen Abstandsregelungen auf der Bühne, die aus einer graffitibeschmierten Betontreppe besteht, an der der Zahn der Zeit genagt hat. Etwas grüner Farn rechts und links der Treppe lässt ein wenig Natur durchscheinen. Oberhalb der Treppe ein starrer Gerüstbau, wo die eine oder andere Person auf- und abgeht. Die Kostüme von Bettina Walter sind zeitlos modern, vielleicht eine Spur zu elegant für das kalte Setting.

Auf neudeutsch ist das irgendein Betonbunker in einem sozialen Brennpunkt. Die Szenerie ändert sich nach dem Intermezzo, wenn die Treppe sich dreht und ein hinfälliges Hintertreppenszenario, das grün bepflanzt ist, zum Vorschein kommt. Männer tanzen zu den Klängen des Intermezzos, was die streng konservative und katholische Ausrichtung der Handlung der Oper natürlich konterkariert, zumal auch in dieser Szene keine Gefühle zugelassen werden. Alles ist irgendwie kalt, verfallen, leblos, und der Großteil der „Handlung“ spielt sich im Sitzen auf diesem Treppenaufbau ab. Normalerweise braucht die Cavalleria Rusticana gar kein großes Bühnenbild oder eine Inszenierung. Mascagnis gewaltige Musiksprache reicht da vollkommen aus. Doch die Umstände einer Corona-Inszenierung machen auch vor der musikalischen Umsetzung nicht halt.

Man hat in Stuttgart eine neue Orchesterfassung von Sebastian Schwab gewählt, der aus dem großen melodiösen Orchesterwerk ein Kammermusikspiel gemacht hat. Wegen der Pandemie sitzen nur ein paar Streicher im Graben, der Chor hat sich oben im Rang aufgebaut, eine Bläsergruppe spielt hinter der Bühne, und Dirigent Cornelius Meister setzt sich ab und zu ans Klavier. Das klingt nach Probe oder sonst was, aber nicht nach großer Oper. Bei allem Verständnis für die Einschränkungen, die uns die pandemiebedingten Auflagen zumuten und dem gleichzeitigen Drang und Willen der Häuser, trotzdem oder jetzt erst recht zu spielen, nicht jedes Werk eignet sich für derartige Experimente. Mascagnis Cavalleria Rusticana tut es jedenfalls nicht. Die Sänger mühen sich natürlich, aber in diesem Umfeld und mit der stets sich wandelnden Musik kommt nicht wirklich Überzeugendes zustande.

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Die schwermütige und subtil aggressive Grundstimmung der Oper kommt an diesem Abend durch das Sängerensemble kaum zur Geltung. Eva-Maria Westbroek, die mehrere Jahre fest an der Stuttgarter Oper war und für diese Partie an ihr altes Haus zurückgekehrt ist, gibt eine schon hochdramatische Santuzza, deren Stimme vor allem in den dramatischen Ausbrüchen ein unangenehmes Vibrato hat. Sie verfügt aber über eine dunkelwarme Mittellage und beeindruckt am meisten durch die Pianotöne. Der Wechsel von der liebenden Frau zur eifersüchtigen Furie kommt bei ihr aufgrund der eingeschränkten Spielgestaltung fast gar nicht zur Geltung. Arnold Rutkowski ist ein lyrischer Tenor, der die Partie des Turridu mehr als Belcanto-Oper denn dramatischen Verismo anlegt. Ihm kommt dabei die reduzierte Orchesterfassung zugute. Ida Ränzlöv gibt die Lola, die eigentlich für einen hellen, klaren Sopran ausgelegt ist, mit warmem Mezzosopran. Dimitris Tiliakos in der Rolle des Alfio überzeugt mit kernigem Bariton und gefühlvollem Spiel. Rosalind Plowright gibt mit dramatischem Mezzosopran die gefühlskalte Mama Lucia, die ihrem Sohn im entscheidenden Moment nicht zur Seite steht. Der reduzierte Chor unter Manuel Pujol kann auch nicht überzeugen, vor allem das Regina Coeli, einer der Höhepunkte der Oper, kommt nicht zur Entfaltung.

Dirigent und GMD Cornelius Meister ist sichtlich bemüht, die verschiedenen Orchesteranteile und Klavierstücke der neu orchestrierten Fassung von Sebastian Schwab in einen musikalischen Guss zu packen, aber der Funke springt nicht über. Schade, mit einer rein konzertanten Aufführung wäre man Mascagni sicher gerechter worden. Dass man auch in Corona-Zeiten gute Aufführungen halbszenisch oder konzertant mit Chor und Orchester auf die Bühne bringen kann, zeigen andere Häuser, die sicherlich über weniger Mittel verfügen als die Stuttgarter Staatsoper. Dementsprechend reserviert nimmt das Publikum die Aufführung auf. In der kommenden Woche wird der zweite Teil des Opernabends, Luci mie traditrici von Salvatore Sciarrino, in der Reihe „Oper trotz Corona“ als Video-Stream zu sehen sein. Es bleibt abzuwarten, ob die Atmosphäre sich hier genauso kalt darstellt.

Andreas H. Hölscher