O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Zinkhütter Hof - Foto © Norbert Schnitzler

Aktuelle Aufführungen

Mutige Erinnerung an das Beethoven-Jahr

KLASSIK-FESTIVAL MOMENTUM
(Verschiedene Konzerte)

Besuch vom
6. Juli bis 11. Juli 2020
(Einmalige Aufführungen)

 

Klassik-Festival Momentum Stolberg, Zinkhütter Hof

Dass 2020 ein spektakuläres Beethoven-Jahr werden sollte, geriet angesichts der Corona-Krise nahezu völlig in Vergessenheit. Die in Stolberg bei Aachen ansässige Pianistin Patricia Buzari ließ sich vom Virus und den damit verbundenen Einschränkungen nicht abschrecken und startete jetzt zum fünften Mal das von ihr kreierte und organisierte Klassik-Festival Momentum Stolberg im malerischen Museum Zinkhütter Hof. Nahezu die einzige Gelegenheit, in der musikalisch völlig stillgelegten Region des Dreiländerecks anspruchsvolle Konzerte live erleben zu dürfen. Denn die Mitarbeiter einschließlich des Intendanten Michael Schmitz-Aufterbeck waren vom Corona-Virus so stark betroffen, dass das Aachener Theater und Sinfonieorchester rigoros bis Ende Oktober alle Veranstaltungen strich. Und auch die anderen musikalischen Institutionen der Stadt und des Landkreises hüllen sich bis zum September in Schweigen.

Die Stolberger Festival-Leiterin dagegen zieht ihr Programm trotz penibler Einhaltung der aktuellen Hygiene-Regeln mit nur leichten Änderungen durch. Als wesentlicher Einschnitt schlägt nur der Verzicht auf ein Orchester zu Buche, so dass sich Patricia Buzari für Beethovens 3. Klavierkonzert auf einem zweiten Klavier von ihrer Kollegin Martina Baranova begleiten lassen muss.

„Pilgerfahrt zu Beethoven: Von Herzen möge es zu Herzen gehen!“ Unter diesem Motto können sich die Musikfreunde sechs Tage lang auf abwechslungsreiche Klavierabende und Kammerkonzerte freuen, in denen Beethoven die programmatische Richtung vorgibt. Und das auf besonders hohem Niveau bereits im Eröffnungskonzert, das der junge Pianist Alexander Krichel mit Werken von Beethoven und Liszt bestreitet. Krichel tritt zum dritten Mal in Stolberg auf und hat es zu beachtlicher internationaler Reputation gebracht, die sich auch in hoch dekorierten CD-Einspielungen niederschlägt. Zwei Wochen zuvor war er noch im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr in Bochum mit einem ähnlich strukturierten Programm zu Gast, wobei er in Stolberg mit Beethovens Appassionata und Liszts Dante-Fantasie noch kühnere Wege einschlägt. Ungeachtet der Tatsache, dass sich Krichels bedingungslose Hingabe im kleineren Vortragssaal des Stolberger Museums noch unmittelbarer auf das Publikum übertragen kann als im größeren Bochumer Saal.

Mit Beethovens Sturm-Sonate und der Appassionata stehen zwei der emotional aufgewühltesten und zerrissensten Sonaten Beethovens auf dem Programm. Krichel gelingt es, den emotionalen Überdruck sowie die dynamischen und stilistischen Extreme der Werke packend hörbar zu machen, ohne die formale Übersicht zu verlieren. Sich ohne Verlust an Präzision und differenzierter Anschlagskultur durch die klingenden Erdbeben zu manövrieren, setzt eine Spieltechnik voraus, mit der sich Krichel zu Recht an der Spitze der jungen Pianisten-Szene behaupten kann. Und das nicht nur in medienwirksamen Aufritten wie seinen Konzerten in diversen Autokinos, mit denen er in den letzten Wochen für Aufsehen sorgte.

Maxim Barbash, Cello, und Antia Couto, Klavier – Foto © Peter Rotheudt

Damit bereiten ihm auch die Husarenritte der Trias Venezia e Napoli sowie die gewaltige Dante-Fantasie von Franz Liszt keine Probleme, mit denen er das Publikum geradezu von den Sitzen reißt. Wie fein Krichel seinen Anschlag nuancieren vermag, beweist er noch deutlicher in seinen Zugaben, einem Nocturne von Chopin und der relativ schlichten Liszt-Bearbeitung des Ständchens von Franz Schubert.

Wie konsequent Buzari die fünfte Auflage ihres Klassik-Festivals Momentum Stolberg im Zinkhütter Hof fast ohne Abstriche durchführt, zeugt von beeindruckendem Mut und unerschütterlicher Zuversicht. Mit sieben Konzerten in Folge beschert die Pianistin Musikfreunden aus nah und fern eine kleine Oase in der kulturellen Corona-Wüste nicht nur der hiesigen Region. Und die Besucher nehmen das Angebot mit großer Dankbarkeit, aber auch hygienischer Disziplin auf, so dass nach einem zögerlichen Anfang der Besuch im Lauf der Woche stetig anwächst.

Damit darf Buzari unter den gegebenen Umständen zufrieden sein. Und auch künstlerisch kann sie ihre Intentionen auf einem Niveau umsetzen, das dem Anspruch des diesjährigen Leitthemas, „Pilgerfahrt zu Beethoven“, durchweg gerecht wird. Mit einer Mischung aus renommierten Spitzenmusikern und hochbegabten Nachwuchskünstlern kann man sich an unterschiedlich besetzten Programmen vom Klavierabend bis zum Streichquartett erfreuen.

Die intendierte Erinnerung an das Beethoven-Jahr schlägt sich am deutlichsten in einem Abend mit den Pianistinnen Patricia Buzari und Marina Baranova nieder, an dem Beethovens vorletzte Klaviersonate op. 110 und dessen 3. Klavierkonzert op. 37 auf dem Programm steht. Das Konzert muss freilich, anders als geplant, ohne Orchester auskommen, dessen Part Corona-bedingt Patricia Buzari am zweiten Flügel übernimmt. Beide Pianistinnen greifen den Vorwärtsdrang des relativ frühen Werks mit Vehemenz auf hohem spieltechnischem Niveau auf, so dass der Verzicht auf das Orchester zu verschmerzen ist. Es entsteht ein von Leidenschaft und Energie durchglühtes Spiel in harmonischem Einverständnis, wobei die Musikerinnen die explosive Experimentierlust des Komponisten mit einer eigenen, von Jazz-Elementen durchsetzten Solo-Kadenz aufgreifen.

Zuvor widmet sich Buzari der stilistisch und formal widerborstigen Klaviersonate Nr. 30 op. 110 aus Beethovens fast autistisch isolierter Spätzeit. Wie intensiv sich die junge Pianistin mit dem auch geistig schwer zu durchdringenden Werk befasst hat, merkt man ihrer innerlich beseelten, gleichwohl von Übersicht geprägten Interpretation an, in der sie auch den collagenhaft zerstückelten Schlusssatz unter Kontrolle halten kann.

Zu den herausragenden Künstlern des Festivals zählt neben Alexander Krichel die Pianistin Sheila Armstrong, die mit der Geigerin Sandrine Cantoreggi und dem Gitarristen Alexander-Sergei Ramirez für einen bunten Final-Abend sorgt, in dem man neben zwei Violinsonaten von Beethoven und Mozart auch über den deutschsprachigen Tellerrand blickt und Werke von Manuel de Falla, Niccolo Paganini und Béla Bartók einschließt.

Damit endet eine Woche, die auch Nachwuchskünstlern ein wirkungsvolles Podium bietet. So dem Amsterdamer Dudok-Quartett mit Streichquartetten von Haydn, Ligeti und Beethoven sowie drei zum Klaviertrio zusammengeschlossenen Stipendiaten der YAC Deutsche Stiftung Musikleben mit drei gewichtigen Trios von Brahms und Schubert sowie natürlich Beethoven. Simon Zhu an der Geige, Cellist Fabian Sturm und Pianistin Josefa Schmidt meistern so extrem anspruchsvolle Brocken wie Schuberts Klaviertrio in B-Dur op. 99 oder Brahms‘ 1. Klaviertrio op. 8 vorzüglich, wobei sie sich vom Sog der emphatischen Musik nahezu distanzlos mitreißen lassen.

Nicht zu vergessen das blutjunge Duo mit der Pianistin Antia Couto und dem Cellisten Maxim Barbash, das seinem auf Beethoven ausgerichteten Programm mit Benjamin Brittens Cello-Sonate op. 65 einen gemäßigt modernen Schlusspunkt versetzt. Beeindruckend der 26-jährige Cellist, der mit warmem Ton und stupender spieltechnischer Souveränität selbst die Klippen von Beethovens etwas spröder Cello-Sonate op. 102 Nr. 1 bewältigt. Meist in Einklang mit der nicht minder begabten Pianistin.

Begeisterter Beifall nach jedem Konzert. Und Buzari plant bereits den nächsten Durchlauf des Festivals im kommenden Jahr. Diesmal sorgte sie in den kulturell ausgetrockneten Corona-Zeiten zumindest in dieser Region für eins der ganz wenigen Glanzlichter, wenn nicht sogar des einzigen.

Pedro Obiera