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Verführung in Corona-Zeiten

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Gesehen am
14. Juni 2020
(Video on demand)

 

Berwaldhallen, Stockholm

Zur Zeit erfreuen sich die „Mit-Abstand“-Formulierungen großer Beliebtheit. „Sie sind mit Abstand unser bester Kunde.“ So kann man alles positiv reden. Für die Opernbühne gilt das allerdings nicht. Opernaufführungen, in denen die Protagonisten nur mit Distanz zueinander agieren, sind entweder ein schlechter Auswuchs des italienisch-dekorativen Theaters oder eine dumme Idee irgendwelcher realitätsfremder Politiker. Nun geht ja Schweden in der Corona-Krise eh seinen eigenen Weg und so wundert es nicht, dass aus der Berwaldhallen in Stockholm eine Aufführung von Don Giovanni live im Internet übertragen wird, die man keinesfalls konzertant und nur mit Mühe semi-konzertant nennen kann. Gleichzeitig spielt Regisseur und Tenor Andrew Staples mit den Elementen, die zur Zeit von Corona in den Rhythmus der Gesellschaft übergegangen sind. Es wird vor allem Abstand gehalten und das auch sehr geschickt. Bengt Gomér hat sogar die Markierungen auf den Bühnenboden geklebt, die man zur Zeit in jedem Einkaufsladen auf dem Fußboden findet. Es ist kein Bühnenbild im klassischen Sinne. Es ist ein gewaltiges Wirrwarr aus dem Theateruniversum. Kisten, Technik, Bildschirme sind rund um das auf der Bühne sitzende Orchester aufgebaut.

Übrigens, selbst das Schwedische Radio-Symphonieorchester sitzt so gut, wie es geht, auf Abstand. Und es ist nicht so, dass Staples sich hier über Regeln lustig machen möchte. Gut, es ist auch Dramma giocoso. Und daher ist es auch etwas lustig, als ein gellender Alarmton durch den Saal schallt, verbunden mit dem projizierten Hinweis „Warning“, als sich die Hände von Giovanni und Zerlina am Ende von La ci darem la mano zögernd berühren. Schnell greifen beide zu den Desinfektionsfläschchen, die übrigens die gesamte Aufführung zum Einsatz kommen – selbst nachdem Don Giovanni den Komtur kontaktlos getötet hat. Allerdings bleiben in Staples Inszenierung auch einige Einfälle etwas vage. Zum Beispiel, warum Monitore abschalten beim Komtur den Tod bedeuten, bei Don Giovanni die Höllenfahrt und bei Masetto Schmerzen durch Schläge. Dagegen sind die Paare Don Ottavio und Donna Anna sowie Zerlina und Masetto durch die Abstandsregeln gar nicht so unpassend charakterisiert. Für die maschere galanti im Finale des ersten Aktes kommen dann sogar die Gesichtsvisiere zum Einsatz.

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Das Spiel mit der Technik, bestehend aus Monitoren, Kameras und Projektionen, ist ebenfalls sehr zeitgemäß und das nicht erst seit Corona. Aber eben auch in dieser Krise läuft vieles über den virtuellen Kontakt, und mit dem realen Kontakt ist man plötzlich überfordert. So versucht Giovanni einen Moment nach dem anderen mit einer Handkamera einzufangen, scheitert aber letztendlich in jeder richtigen Interaktion. Übertragen wird die Aufführung in schwarz-weiß, was der Handlung den Charme eines Film noir verleiht. Natürlich ist das Spiel mit der Technik etwas risikoreich. Prompt verschiebt sich der Start der Live-Übertragung um einige Minuten, und auch den Ton hätte man sich gerne ein wenig sauberer gewünscht.

Vor allem bei Peter Mattei zeigt sich stellenweise eine Spur des Übersteuerns. Allerdings ist dessen Bariton auch einfach kaum zu bändigen, und im nächsten Moment singt er dann die wunderschönsten Piani. Das ist Verführung pur. Mattei zählt auch wegen seiner Bühnenpräsenz zu den bekanntesten und auch besten Vertretern in dieser Rolle. Dagegen hat man John Lundgren nicht unbedingt als Leporello auf dem Besetzungszettel. Lundgren hört man sonst als Wotan oder Holländer. Doch dann die Überraschung: Auch Mozart liegt dem Bass-Bariton richtig gut in der Kehle, und zudem weiß er auch ganz eigene Akzente und damit erfreuliche Abwechslung zu bieten. Der Zerlina ist Mari Eriksmoen entwachsen, die Donna Anna kommt aber einen Moment zu früh. Die lyrischen Linien der Partie, die Koloraturen liegen ihr sehr gut. Ihrer sehr attraktiven Stimme, die sie zum Glück nicht forciert, fehlt noch ein bisschen mehr Volumen, um sich im Ensemble zu behaupten. So liegt es an Malin Byström, die dramatische Dimension der Donna Elivra auszudrücken, was diese auch mit Leichtigkeit und Wohlklang umsetzt.

Andrew Stapels hätte sich selbst auch noch stärker als Don Ottavio in Szene setzen können. Obwohl er die Partie mit viel Gefühl und sorgfältig singt, lässt er es nicht zu, dass seine Rolle auch wirklich Rückgrat beweisen kann. Johanna Wallroth gibt der Zerlina einen schönen silbrigen Klang und ein gewitztes Auftreten. Henning von Schulman ist ein energischer Masetto, Johan Schinkler ein mächtiger, aber auch etwas grober Commendatore.

Insgesamt harmoniert diese Besetzung nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Orchester sehr gut. Das Symphonieorchester spielt sehr präzise und lässt sich von seinem Chef Daniel Harding ordentlich mit Energie versorgen. Harding kennt diese Oper ja in und auswendig, hat schon vor Jahren in Aix-en-Provence mit einem Turbo-Don Giovanni für Aufsehen gesorgt. Übrigens war auch damals Peter Mattei der Don Giovanni, und diese Aufführung markierte seinen großen Durchbruch. Der Puls von Harding schlägt heute zwar etwas langsamer, aber nicht weniger kräftig. Insbesondere die Blechbläser dürfen gerne etwas wild-romantisch auftrumpfen.

Nach dem letzten Ton kommt kein begeisterter Beifall. Der Zuschauerraum – man hat es gesehen während der Aufführung – ist leer, die Aufführung kann nur über Internet und zum Glück nicht nur einen Tag angeschaut werden. Oper mit Abstand, so sind diese Zeiten. Aber die Berwaldhallen hat eine Chance genutzt, sich auf andere Weise zu profilieren.

Rebecca Broermann