O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Architektur und Klang in Gold

VERKLÄRTE NACHT
(Arnold Schönberg, Johannes Brahms)

Besuch am
1. Juli 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Bagno-Konzertgalerie, Steinfurt

Unter den zahlreichen Konzerten, die zurzeit in westfälischen Schlössern und Burgen den Corona-Einschränkungen trotzen, nehmen die Konzerte in der barocken Konzertgalerie Bagno eine besondere Stellung ein. Unter der sachkundigen Führung des künstlerischen Leiters Matthias Schröder lädt der Bagno-Kulturkreis in die 1774 erbaute Konzertgalerie im „ältesten freistehenden Konzertsaal auf dem europäischen Kontinent“ ein, in ein architektonisches Ambiente, das man sich für ausgesucht hochklassische Kammermusik nicht besser wünschen könnte. In gleich drei Konzertreihen bietet der Kulturkreis einem längst über die westfälische Kreisstadt Steinfurt hinausreichenden sachkundigen Publikum Konzerte von international renommierten Musikformationen wie zum Beispiel dem Trio Cocteau aus Paris, dem Freiburger Barockorchester oder jetzt dem Mandelring-Quartett mit seinem Programm Verklärte Nacht.

Mit gleich zwei Streichsextetten präsentiert das Quartett, verstärkt um die Solisten Gustav Rivinius, Violoncello, und Roland Glassl, Viola, Werke von Arnold Schönberg und Johannes Brahms. Auch wenn die Komponisten biografisch gesehen fast 50 Jahre auseinander liegen, überraschen ihre Sextette für Streicher mit modernen Klängen, die für manchen Freund klassischer Kammermusik ungewohnt klingen.

Foto © Guido Werner

Arnold Schönbergs Streichsextett op. 4 nimmt die musikalische Interpretation eines Gedichtes von Richard Dehmel vor, der die Frucht einer Zweisamkeit in Verse bringt, „zwei Menschen gehen durch hohe, helle Nacht“. Dehmels romantische Vorstellungen einer Beziehung, „in der kein Wölkchen trübt das Himmellicht“, motivieren Schönberg zu stark emotionalen, expressiven Musikeinfällen, in denen die Nähe zu seiner späteren Zwölfton-Musik schon erkennbar sind. Schönbergs Satz setzt sehr zart und langsam ein, die Violen fahren mit hohen, teils schrillen Lagen dazwischen. Die ruhige, klar geordnete Innenarchitektur des Konzertsaales steht in seltsamem Kontrast  zu den heftigen, lauten Akzenten,  die in Schönbergs Komposition mit langsamen, sanften Partien abwechseln, bevor freie, atonale Takte erscheinen und der Satz nach einer tänzerisch leichten, verträumt wirkenden Passage langsam verklingt. Die Nähe zu Dehmels Gedicht ist auch musikalisch durchaus nachvollziehbar. Schönbergs Komposition fand allerdings bei ihrer Uraufführung 1902 in Wien wenig Verständnis beim Publikum.

Obwohl Johannes Brahms fast 50 Jahre vor Schönberg lebte und komponierte, klingen seine Ideen in dem Streichsextett Nr. 2, G-Dur, op.36 schon durchaus modern. Der erste Satz Allegro non troppo setzt mit harmonisch singenden Violen ein, die Celli spielen ein solides Bassfundament, bevor die Violinen stark rhythmische Akzente setzen und zu einem kräftigen Schlussakkord kommen. Im Scherzo, dem zweiten Satz erklingen ungewohnte Figuren, Violinen und Violen führen die Themen. Nach einem kurzen Pizzicato-Teil kommen alle Instrumente in einem wuchtigen Finale zusammen. Der dritte Satz Poco adagio beginnt eher weich und gefühlvoll, bevor sich die Instrumente zu einem Fortissimo steigern. Der vierte Satz Poco allegro betont eher tiefe Tonlagen und ein flottes Tempo, das sich mit starken Akzenten abwechselt und zu einem kräftigen Finale steigert.

Das sechsköpfige Ensemble spielt in bester Solistenmanier, bei der kein Akzent, keine Phrase, keine Dissonanz  verloren geht. Es nutzt die Gelegenheit, in stark expressiven Passagen die Grenzen harmonischer Musik zu überschreiten und neue Ausdrucksformen zu spielen, um den Ideen der Komponisten zu folgen und sie zu betonen. Dabei zögern sie nicht vor pathetisch klingenden Takten und der Betonung sinnlicher Elemente dieser Musik. Auch wenn für manchen Zuhörer diese Klänge ungewohnt und neu sein mögen, erkennen sie die Souveränität und musikalische Qualität dieser neuen Interpretation und bedanken sich mit nachhaltigem Beifall für einen Abend, an dem sich in diesem barocken Ambiente musikalisches Neuland ankündigt und bisherige Hörgewohnheiten herausfordert.

Horst Dichanz