O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Der Raum antwortet

STAGES INTO THE NOW
(Alexandra Waierstall)

Besuch am
11. September 2021
(Uraufführung)

 

Cubic Studios, Düsseldorf

Die Arbeiten von Alexandra Waierstall erregten Aufsehen. Sie tournierte zwischen Zypern und Düsseldorf mit überraschungsstarken, immer fesselnden Choreografien. Dabei wirkte sie selbst oft perfektionistisch, ein wenig nervös, immer aber kontrolliert. Die Einladung in die Cubic Studios im Düsseldorfer Stadtteil Bilk kommt überraschend. Eigentlich sind das nicht die Räume, in denen Waierstall arbeitet. Sie war Residenzkünstlerin im Tanzhaus NRW. Daraus entsteht keine Verpflichtung, aber eigentlich das Angebot, Weiterentwicklungen auch dort zu präsentieren. Jetzt also in einem luxuriösen Mietstudio.

In der Corona-Krise hat sie sich zurückgezogen, besonnen, ist zurückgekehrt in die Heimat ihres Vaters, nach Wuppertal. Sie hat sich verändert. Ist ruhiger, klarer geworden. Vater Horst Weierstall hat sie in der Kindheit mitgenommen in Aufführungen von Pina Bausch und das Opernhaus. Dort hat sie viele Dinge im Halbschlaf wahrgenommen. Das will sie jetzt aufarbeiten. Aber sie kommt nicht in der Nostalgie an, sondern an zerstörten Orten. Das Opernhaus ist überflutet. Lange Zeit heißt es, dass sie dort nicht arbeiten kann. Der Film, den sie geplant hat, muss auf die Drehgenehmigung warten. Sie versammelt ein Team um sich, das sich genügend Zeit für eine Recherche nimmt. Endlich darf sie auch in die Oper, die für diese Spielzeit gesperrt ist, weil das Hochwasser massive Schäden in der Bühnentechnik verursacht hat. Und so, wie sie damals selbst nur im Halbschlaf Aufführungen wahrgenommen hat, erscheint jetzt das Gebäude wie gelähmt, wie in einen Alptraum eingetaucht. Horst begleitet sie auf dieser Reise in die Katakomben der Oper. Seine Erinnerungen fließen in den Film so sehr ein wie die Erinnerungen der Choreografin. Hinzukommt Scott Jennings, den Waierstall vor zehn Jahren kennengelernt hat. Der Tänzer arbeitete in London, kam von dort aus zum Tanzensemble Pina Bausch und wirkt heute wieder freischaffend.

Aus dieser Erfahrung ist ein eigenes Bühnenstück entstanden.

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Die Bühne erleuchtet in strahlendem Weiß. Selbst die Besucherstühle sind in weiß gehalten. Über der vollkommen leeren Fläche, die seitlich von schwarzen Vorhängen begrenzt wird, hängt ein weißes Segel, das von zwei starken Scheinwerfern angestrahlt wird und so das Licht für die Bühne bereitstellt. Waierstall wollte bewusst vermeiden, einen bestimmten Ort zu assoziieren, schließlich gehe es nicht um den Ort, sondern um den Raum. Zur Musik von Volker Bertelmann aka Hauschka, die mal eindringlich als Minimal Music, mal einschmeichelnd daherkommt, immer wieder auch Raum für die Stille lässt, begibt sich Tänzer Scott Jennings auf den Weg. Seine Gesten sind mal fragend, mal fordernd immer wieder in die Höhe gerichtet. Noch bleibt im Unklaren, worum es geht. Dann gibt es einen Bruch. Der Raum wird verdunkelt, und auf dem Hintergrund erscheinen Bilder aus dem geplanten Film. Es geht durch die Katakomben der Oper Wuppertal zur Hinterbühne. So, wie Jennings steht, wirkt sein Schatten auf der Projektion, als bewege er selbst sich durch die Gänge. Vor dem eisernen Vorhang bleibt er stehen. Der öffnet sich nicht. Kann er nicht, weil die Technik defekt ist. Schließlich schreitet der Tänzer durch die Tür, die im eisernen Vorhang integriert ist. Sie schließt sich mit einem lauten Knall. Die Zäsur ist gesetzt. Jennings findet sich auf der Vorderbühne wieder, vor ihm die Stühle mit weißen Laken bedeckt. Was findet er in dem Raum, was fühlt er, völlig auf sich selbst zurückgeworfen an einem Ort, an dem es doch eigentlich darum geht, sich zu produzieren? Wie fühlt sich sein Körper mit dieser Leere? Da gibt es Erschrecken, Angst, aber auch die Erinnerung an Liebe, an Zärtlichkeit. Künstlerisch verfremdet, durchlebt der Tänzer das, was der Raum in ihm auslöst.

Nach etwa 25 Minuten endet das Geschehen, das in raum- und zeitlosen Sphären auch beim Zuschauer ein seltsames Gefühl auslöst. Wie aus einer Hypnose erwachend, applaudiert das kleine Publikum dem Tänzer ebenso herzlich wie seiner Choreografin. Und natürlich schließt sich bei der Premierenfeier die Frage an: Wann wird denn der Film zu sehen sein? Die Ausschnitte waren schließlich mehr als vielversprechend, und die Fotos von den Dreharbeiten, die im Seitenraum zu sehen sind, geben zu erkennen, dass es sich um ein weiteres Meisterwerk der Choreografin und ihres Teams handeln wird. Waierstall geht davon aus, ihn Anfang kommenden Jahres präsentieren zu können.

Michael S. Zerban