Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
TURANDOT
(Giacomo Puccini)
Besuch am
24. und 25. Juli 2024
(Premieren)
Was erwartet man in einem polnischen Wald? Pfifferlinge oder Blaubeeren, Rehe oder Füchse vielleicht. Aber Oper?! So ist es aber im Wald des Badeortes Sopot, unweit von Gdansk. Und das sogar schon seit 1909. Nicht ununterbrochen, aber immer wieder, so oft, dass es auch als Bayreuth des Nordens beschrieben wurde, weil so oft die Werke von Richard Wagner aufgeführt wurden. Und nicht nur Oper, der Schönheitswettbewerb Miss Polski 1991 und auch die legendäre Popsängerin Whitney Houston haben 1999 alle 5047 Plätze ausverkauft. Nach aufwändigen Renovierungsarbeiten wurde das Baltic Opera Festival 2023 ins Leben gerufen, dank der Initiative des polnischen Bassbaritons Thomasz Konieczny, der dieses Jahr unter anderem den Wotan in Bayreuth singt.
Allein die Anreise zur Opera Lesna – wortwörtlich übersetzt Waldoper – gehört zum Erlebnis. Von Gdansk kommt man mit Auto, Fahrrad oder Bus auf dem Parkplatz des Waldes an und muss zur Spielstätte pilgern – ja, eine Ähnlichkeit zum Grünen Hügel ist durchaus vorhanden. Abends, obwohl mitten im Sommer, ist es doch kühl, und derjenige, der daran gedacht hat, eine Jacke mitzubringen, ist gut dran.
Inmitten des Waldes erhebt sich eine tempelähnliche Struktur, die zwar nach allen Seiten offen, aber von riesigen, permanenten Segeln überdacht ist. Somit werden die Bühne und die Zuschauer vor Wind und Wetter geschützt. Die Bühne ist sehr breit und tief, der Graben hat leicht für 110 Musiker Platz. Welch besseren Ort kann man sich vorstellen, als den Fliegenden Holländer und Turandot, die beiden Opern, die heuer auf dem Programm stehen, zu inszenieren?
Der Fliegende Holländer
Foto © Krzysztof Mystkowski
Die großen, rostig anmutenden Elemente von Boris Kudlicka und Natalia Kitamikado dominieren die Bühne und können als Segel, Felsen oder Türen interpretiert werden, je nach Standort und Beleuchtung. Davor befindet sich das Schiff von Daland – eine runde Badewanne, die nach Lust, Laune und Musik den Wellen und dem Wetter entsprechend hin und her gerollt wird. Bei Regisseurin Barbara Wisniewska ist Daland schon in die Jahre gekommen und braucht einen Rollstuhl, der aber, sobald die Reichtümer vom Holländer zu sehen sind, plötzlich nicht mehr notwendig ist. Es gelingt Gold, ganz einfach, immer zu verzaubern oder zu verführen. In dieser Inszenierung erscheint der Holländer elegant in Weiß, als wäre er gerade vom englischen Herrenausstatter für eine Landpartie eingekleidet worden. Dafür sorgt Kostümbildnerin Dorothée Roqueplo. Seine Seekameraden sind feenartige Gestalten aus vergangenen Jahrhunderten, die in einer bühnenfüllenden Choreografie von Jacek Przybylowicz immer um ihn herumscharwenzeln. Des Holländers Goldschatz ist ein riesiger Goldbarren, den nur seine Handlanger mit Leichtigkeit bewegen können. Normale Sterbliche wie Dalands Seemänner können den Schatz keinen Millimeter bewegen. Darin liegt Zauberei.
An diesem Abend muss Thomasz Konieczny sich als Holländer als indisponiert ansagen lassen und kann nur den ersten Akt stimmlich durchstehen. Er agiert zwar auf der Bühne, aber Oleksandr Pushniak singt vom Bühnenrand mit ähnlich wohltuendem Timbre. Rafał Siwek verkörpert den gierigen Vater, der so gerne und schnell seine Tochter vergibt. Mit Mikroport und dazugehöriger Verstärkung gibt er einen Daland, der kurz vor der Pensionierung steht. Seine Tochter Senta hingegen, von Vida Miknevičiūtė verkörpert, ist eine selbstbewusste junge Frau, die wohl weiß, was sie will und das mit einem großen, musikalisch gutsitzenden und einfach schönen Sopran mitteilt. Erik, als ihr verschmähter Freund und abgewiesener Beschützer, ist von Tenor Dominik Sutowicz ebenfalls hervorragend besetzt. Auffallend ist Rafał Bartmiński, der mit seiner schlaksigen und etwas unbeholfenen Statur, aber mit sehr sicherem tenoralem Timbre einen überzeugenden Steuermann bietet.
Im Graben ist das hervorragend spielende Orchester der Baltischen Oper Danzig unter der Leitung von Yaroslav Shemet zu hören. Auch hier ist eine akustische Verstärkung zu ahnen, aber nie aufdringlich oder vordergründig.
Turandot
Foto © Krzysztof Mystkowski
Eine ganze Suite von orientalischen Fächern auf breit angelegten Stufen, die je nach Stimmung in weiß, rot oder blau von Bogumil Palewicz dramatisch beleuchtet werden, geben hier das chinesische Flair an. Regisseur Waldemar Zawodzinski erzählt die Geschichte der eiskalten Prinzessin, die letztendlich doch die Liebe findet, gradlinig. Er benutzt hierfür häufig die Tänzer der Oper Lódz, die unter der Choreografie von Joshua Legge und Gintautas Potockas in den fantasievollen Kostümen von Dorothée Roqueplo fast Broadway-Musical-reife Nummern auf der breiten Bühne gestalten.
Liudmyla Monastyrska gelingt es, dank fein eingesetzter Verstärkung, ihren markanten Sopran nicht forcieren zu müssen. Die dankbare Rolle der Liu wird von Izabela Matula ohne pathetische Süße dargebracht. Dem Calaf von Tenor Martin Muehle fehlt die Strahlkraft, die die Rolle einzigartig macht. Dafür ist Rafał Siwek als sein Vater Timur in seiner noblen und tragischen Haltung umso überzeugender. Die drei Minister Ping, Pang, und Pong, von Tomasz Rak, Aleksander Zuchowicz und Mateusz Zajdel verkörpert, sind zwar stimmlich überzeugend, aber von der Regie als Witzfiguren verkleidet und verlieren so jegliche Glaubwürdigkeit, die Puccini ihnen doch zuschreibt. Drei völlig in Rot gekleidete, stumme Gestalten sollen vermutlich die drei Rätsel verkörpern – sie sind zwar zeitweilig ein farbiger Tupfer auf der Bühne, tragen aber nichts zur Dramaturgie des Werkes bei.
Die kanadisch-ukrainische Chefdirigentin des Ukrainian Freedom Orchestra, Keri-Lynn Wilson, würzt die bekannten Melodien von Puccini mit genügend Pfeffer, um sie aus dem Banalen zu heben und einen sehr vergnüglichen Abend daraus zu gestalten.
Es ist sehr zu hoffen, dass es Thomasz Konieczny und seinem Team gelingt, das Baltic Opera Festival als festen Bestandteil in der Waldoper in Sopot – wieder – aufleben zu lassen. Da beide Veranstaltungen so gut wie ausverkauft sind, mit dem exzellenten Marketing und Unterstützung der lokalen und regionalen Institutionen und großen und kleinen Sponsoren, sind sie alle auf einem guten Weg, das Vorhaben zu realisieren. Dazu kommt noch der Reiz der sehr schön restaurierten Altstadt von Gdansk und des feinsandigen Strands von Sopot.
Zenaida des Aubris