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Isolation als Folter

TAG 47
(Gordon Safari)

Gesehen am
4. Mai 2020
(Video on demand)

 

Kammeroper Salzburg

Die erste digitale Oper heißt Tag 47 und hatte ihre Uraufführung am 1. Mai. Das klingt zunächst mal nach so etwas wie einem Durchbruch, auch wenn die Oper nicht länger als 20 Minuten dauert. Erstaunlich, dass so etwas nicht aus einem großen, hochsubventionierten Haus mit entsprechenden Mitteln kommt. Die Kammeroper Salzburg hat das Video veröffentlicht. Ein kleiner, frisch gegründeter Verein, der sich zum Ziel setzt, die „Oper außerhalb der etablierten Häuser Salzburgs vorantreiben zu wollen“. Man experimentiere mit neuen Konzepten und suche die Verschmelzung mit Technik, Medien und Digitalität, so ist zu lesen. Bislang besteht die Kammeroper aus Gordon Safari, ihrem musikalischen Leiter, Konstantin Paul, dem künstlerischen Leiter, und Michael Hofer-Lenz, der für die Ausstattung zuständig ist.

Acht Tage hat Safari nach eigenen Angaben gebraucht, um die Musik zu komponieren. Gleichzeitig verfassten Paul und Hofer-Lenz das Libretto und setzten es parallel szenisch um. Das Thema war naheliegend. Der 1. Mai war in Österreich der Tag 47 der Isolation. Die Künstler haben sich mit der Frage beschäftigt, was in dieser Isolation passiert. Und die Ausgangssituation ist durchaus vielversprechend. Da gibt es das schwule Pärchen Vincent und Gregor, das voneinander getrennt ist. Warum, bleibt offen. Laura ist schwer depressiv, und Schläger Christof lebt mit seiner Frau in einer Wohnung. Die Spannungen sind vorprogrammiert. Da könnte man jetzt Verflechtungen erwarten, überraschende Wendungen, psychologischen Tiefgang – nichts dergleichen passiert. Immerhin gibt es am Ende jemanden, der stirbt, allerdings ohne Gesang, wie es sich eigentlich für eine richtige Oper gehört.

Das Szenario ist der Situation geschuldet. Hofer-Lenz ist für das Set, Kostüme und Video zuständig. Das ist relativ. Im Video gibt es einige gute Effekte. Die Darsteller halten sich in ihren Räumen in Alltagskleidung auf und agieren vor einer Kameraeinstellung. Da wäre möglicherweise mehr drin gewesen. Paul gelingt es allerdings, klaustrophobische Zustände herzustellen, die ihre Wirkung kaum verfehlen.

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Die Musik von Safari unterstützt diese Wirkung nachhaltig. Er setzt auf eine Mischung aus Synthesizer-Elementen und analoger Musik von Trompeter Christian Simeth und Cellistin Hannah Vinzens, die allerdings stark – oftmals bis zur Unkenntlichkeit – verzerrt wird. Und wirklich gefällt einem vor allem bei mehrmaligem Hören da so einiges. Auch wenn sich dabei die größte Schwachstelle des Videos offenbart: Selten hat man eine schlechtere Abmischung des Tons gehört. Die Sänger, mit ihren Handy-Mikrofonen ohnehin kaum zu verstehen, verschwinden mitunter nahezu vollständig unter dem permanent drübergelegten Klangteppich. Da hätte man bei einem Video von Menschen, die das Musiktheater lieben, wirklich mehr erwarten dürfen. Dass eine Live-Aufführung unter diesen Umständen unmöglich wäre, mag man nachvollziehen. Aber dass im Video eine solche Tonqualität angeboten wird, ist unsäglich.

Dabei geben die Sänger ihr Bestes. Wenn ein Gian Boghal als Vincent einen sinngemäßen Text wie „Geht es dir gut?“ zu singen hat, geht das schon an die Grenze der Belastbarkeit. Aber auch ähnlich lapidare Antworten wie „Ja, gut“ seines Freundes Gregor, den Johannes Hubmer darstellt, zeigen, dass wir es hier mit wirklich guten Sängern zu tun haben, die solche „Texte“ anstandslos und überzeugend singen. Bei Electra Lochhead als Sarah oder Silvia Moroder als Laura geht die stimmliche Qualität dank der Technik völlig unter. Darstellerisch beschränkt sich Paul ohnehin auf das Minimum, das so wenig ist, dass es sich jeder Beurteilung entzieht.

Die Bildqualität ist dank YouTube wieder unter aller Kritik. Man mag schon gar nicht mehr darüber sprechen.

Trotz aller Schwächen: Die Salzburger Crew hat die erste digitale Oper online gestellt. Allein dafür gebührt ihr Dank, Respekt und ein Eintrag in den Geschichtsbüchern. Zwei Dinge sind zu hoffen. Dass die Kammeroper Salzburg jetzt anfängt, professionellere Arbeiten zu präsentieren. Und dass die Opernhäuser mit einem ganz anderen Budget sich nicht länger auf ihren leeren Bühnen ausruhen, sondern dank eines solchen Impetus nachziehen und sich endlich ernsthaft mit dem Medium Internet und seinen Möglichkeiten auseinandersetzen. Eines haben die Salzburger bei aller technischen Unterlegenheit gezeigt. Es geht. Jetzt erwarten wir mehr.

Michael S. Zerban