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LOHENGRIN
(Richard Wagner)
Besuch am
9. April 2022
(Premiere)
Gleich während des Vorspiels kniet ein vermeintlicher Bursche nieder und fischt aus einem Kanal eine schwarze Perücke. Es ist die als Mann verkleidete Elsa, und es scheint, als ob sie ihren Bruder, den Thronfolger Gottfried umgebracht habe. Ortrud beobachtet das Geschehen von einer dahinterliegenden Burg aus, was Elsa, die sich jetzt ein blauweißes Kleid anzieht, jedoch nicht wahrnimmt. In der neuen Produktion von Richard Wagners Lohengrin bei den Salzburger Osterfestspielen im Großen Festspielhaus gehen das Regieteam Jossi Wieler, Giorgio Morabito und Anna Viebrock offenbar von diesem Ansatz aus. Jedoch wird der Kriminalfall recht halbherzig gezeigt. Es kommt also zu einer Umkehr von Gut und Böse. Denn hier wird Elsa zur Mörderin, während Ortrud und Telramund das ja nur aufklären wollen und dadurch fast sympathisch wirken. Zweifellos ein neuer Blick auf die alte Geschichte. Aber vieles bleibt im Ansatz stecken. Anderseits wird man mit Regieideen überfachtet: Der Krieg steht vor der Türe, überall herummarschierende Soldaten. Lohengrin, eine herumschlurfende, lächerlich wirkende Mixtur aus Lumpenritter und Superman, aus dessen Hosen eine Ritterrüstung bei den Knien hervorlugt, eine Art Ritter von der Kokosnuss, taucht völlig unheroisch aus dem Kanal auf. Schwan gibt es natürlich auch keinen. Der entehrte Telramund erscheint wie ein Terrorist mit einer Maschinenpistole. Nachdem sich der Gralsritter wieder davongemacht hat, klettert eine blaugesichtige Kreatur mühsam aus dem Kanal. Es ist Gottfried, eine lebende Wasserleiche. Das alles passiert an einem hässlichen Kanal mit Aufbauten, die sich heben und senken lassen und auch als Festung gedeutet werden können.
Irisierende Pianissimi-Klänge und ein silbriges Flimmern vernimmt man schon bei den ersten Takten aus dem Graben. Das lässt Außergewöhnliches erwarten. Denn das Vorspiel, das von Franz Liszt, dem Dirigenten der Uraufführung, die 1850 in Weimar stattfand, als „Art Zauberformel“ bezeichnet wurde, mit seinen vielfach geteilten, in hoher Lage überirdisch spielenden Geigen, enthüllt die geheimnisvolle Gralswelt. Und während des weiteren Abends gelingt es der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann zum ideal entrückten, schimmernden und feinverwobenen Klanggemälde zu finden, mit dem diese Musik so fasziniert. Mit nie erlahmender Energie und eminenter Gestaltungskraft hält der Dirigent bei seiner persönlichen Lieblingsoper die Spannung, erreicht herrliche Farben, wunderbare Tonschönheiten, feinste Subtilität, ideale Balance und einen Fassettenreichtum, der seinesgleichen sucht.
Foto © Ruth Walz
Und da ganz besonders auf die Sänger Rücksicht genommen wird, danken diese es ihm mit wunderbarem Schöngesang. Als Titelheld lässt Eric Cutler mit seinem hellen, geschmeidigen Tenor kaum Wünsche offen. Besonders die Gralserzählung gelingt ihm hervorragend. Nur manchmal klingt er etwas zu fragil. Jacquelyn Wagner fehlt es als Elsa nicht an Innigkeit, nur manchmal ist ihr schöner heller Sopran, ungefährdet bis in die höchsten Höhen, für den Riesenraum etwas zu klein. Martin Gantner als Telramund ist das szenische und sängerische Zentrum des Abends. Er singt ihn kraftvoll auftrumpfend und mit wunderbar deutlicher Diktion. Elena Pankratova ist eine dämonische und recht kraftvolle, hochdramatische Ortrud. Wunderbar edel erlebt man Hans-Peter König als König Heinrich, ausstaffiert wie ein Soldatenkönig aus dem ersten Weltkrieg. Markus Brück singt den Heerführer kraftvoll. Stimmgewaltig, klangschön und sehr homogen hört man die vereinigten Chöre, den Sächsischen Staatsopernchor Dresden in der Einstudierung von André Kellinghaus, den Bachchor Salzburg, dessen Einstudierung Christiane Bütting besorgte sowie den Chor des Salzburger Landestheaters, einstudiert von Ines Kaun und Carl Philipp Fromherz.
Zum Schluss gibt es massive Buhs für das Regieteam und großen Jubel für die Sänger, den Dirigenten und für das Orchester, das bei einem folgenden Konzert mit dem Herbert-von-Karajan-Preis 2022 von der Tochter des Festivalgründers Isabel Karajan im Beisein von Intendant Nikolaus Bachler ausgezeichnet wird. Nach zehnjähriger Anwesenheit der Sächsischen Staatskapelle Dresden als Residenzorchester geht nun eine Ära zu Ende. Denn Bachler will bei den folgenden Osterfestspielen jedes Jahr immer andere Orchester und Dirigenten verpflichten. Den Beginn macht das Gewandhausorchester Leipzig unter Andris Nelsons, geplant ist für 2023 Wagners Tannhäuser in Luxusbesetzung mit Jonas Kaufmann, Marlis Petersen, Elina Garanca, Christian Gerhaher und Georg Zeppenfeld.
Helmut Christian Mayer