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Wenn alle wegschauen

KÁTA KABANOVÁ
(Leoš Janáček)

Besuch am
7. August 2022
(Premiere)

 

Salzburger Festspiele, Felsenreitschule

Leergeräumt ist die riesige Bühne der Felsenreitschule, auch die Arkaden sind zugemauert. Eine große, anonyme Menge von Schaufensterpuppen stehen billig bekleidet mit dem Rücken zum Publikum. Deren Formationen wird sich in den einzelnen Akten immer wieder verändert haben, wenn der Vorhang sich wieder öffnet. Es ist offensichtlich das anonyme Volk, das am Geschehen und der Familientragödie nicht teilhaben will und lieber wegschaut: Ganz auf Kulissen verzichtet Regisseur Barrie Kosky bei seiner Inszenierung von Leoš Janáčeks Káta Kabanová bei den Salzburger Festspielen. Als Bühnenbildner ist Rufus Didwiszus angeführt. Aus dieser Menschenmasse lösen sich dann immer wieder die Protagonisten heraus und agieren. Koskys Personenführung zielt genau auf den Charakter und die Psychologie der Protagonisten hin und ist ungemein detailreich und lebendig. Diese pendeln zwischen Sehnsucht und Hoffnungslosigkeit, es ist ihnen unmöglich, der völlig erstarrten Tradition und dem Psychoterror der Alten zu entfliehen. Da wird Elend und Doppelmoral zum tauglichen Lebensprinzip. Es gelingt ihm, die Tragik und Tragweite der Geschichte greifbar zu machen. Die Titelheldin rennt wie ein Kind und kindlich bekleidet, wie eine gehetzte Seele gleich zu Beginn hektisch zwischen den Menschen herum und will sich bald in den Orchestergraben, in die Wolga stürzen. Eine Vorahnung für den Schluss, denn zum Finale macht sie das auch, indem sie eine Luke inmitten der Bühne öffnet und hineinspringt.

Corinne Winters spielt und singt die Titelpartie mit großer Intensität und Emphase. Besonders mit ihrem Schlussmonolog weiß sie packend zu faszinieren. Die junge US-Amerikanerin ist auch das Ereignis dieser Produktion und wird am Schluss am meisten umjubelt. Ungemein böse und grausam ist die Kabanicha, ihre Schweigermutter, gezeichnet. Während der gesamten Geschichte terrorisiert sie unentwegt ihren Sohn und ihre Schwiegertochter. Sie wird von Evelyn Herlitzius bösartig gespielt und mit schneidendem Organ gesungen. Jens Larsen singt einen stimmgewaltigen, tyrannischen aber etwas zu wenig bösen Dikoj, der sich ganz gerne von der Kabanicha lustvoll quälen lässt. Jarmila Balázová als Varvara verströmt vitalen, lasziven Wohlklang. Die drei Tenöre der Lehrer Kudrjás Benjamin Hulett, Jaroslav Brezina Muttersöhnchen Tichon als Symbol für das willenlos gehorchende Volk und die weiche russische Seele und David Butt Philip als der jugendliche Verführer Boris, vor allem letzterer, gefallen mit schönem Material und Ausdruck. Exzellent und sehr homogen hört man die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor aus dem Off in der Einstudierung von Huw Rhys James.

Janáčeks Musik ist von durchwegs mitreißender, überwältigender Schönheit und Ausdruckskraft. Dunkel gefärbt malt sie Gefühle in die Seelen der Personen, schildert die Natur und ihre Gewalten. Sie ist ungehemmte Kraft und Reinheit des menschlichen Einfühlungsvermögens. Und so wird sie auch von den Wiener Philharmonikern unter Jakub Hrusa interpretiert, der in seiner ohne Pause gezeigten Fassung ziemlich am Original – die Uraufführung war 1921 – der vielfach umgearbeiteten Oper bleibt: Mit feinster Dynamik und einer Vielfalt an Klangvaleurs von zartesten Pastelltönen bis hin zu den schneidenden Mini-Motiven, deren Dramatik und Intensität jedoch teilweise noch zugespitzter und intensiver hätten sein können.

Großer Jubel, der besonders bei der Titelheldin anschwillt.

Helmut Christian Mayer