O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Leidensweg voll brennender Aktualität

THE GREEK PASSION
(Bohuslav Martinů)

Besuch am
22. August 2023
(Premiere am 13. August 2023)

 

Salzburger Festspiele, Felsenreitschule

Der Mensch ist wie ein Baum, er braucht Wurzeln“: Es sind bedeutungsschwere Worte, die der Priester Fotis bei seiner Ankunft in dem griechischen Dorf von sich gibt. Und es ist erstaunlich, welche Aktualität The Greek Passion, die letzte Oper von Bohuslav Martinů über den Umgang mit in Not geratenen Menschen auch heute noch hat. Denn sie handelt von griechischen Flüchtlingen, die aus ihrem Dorf vertrieben werden, weil es von Türken niedergebrannt wurde, und jetzt Zuflucht im Nachbardorf suchen. Hier erleben sie Misstrauen und später Feindseligkeit, die vor allem vom Popen geschürt werden. Nur diejenigen Einwohner, die gerade ein Passionsspiel vorbereiten, zeigen Solidarität, so wie Manolios, der den Christus spielen soll. Doch alles steuert auf eine Katastrophe zu. Der Pope wiegelt so lange auf, bis Manolios von seinen eigenen Dorfbewohnern ermordet wird.

Jetzt wird die 1959 komponierte, in unseren Breiten selten aufgeführte Oper, sie war in den letzten Jahren nur bei den Bregenzer Festspielen und in Graz zu sehen, im Rahmen der Salzburger Festspiele in der Felsenreitschule gezeigt. Im Werk, das auf dem Roman Der wieder gekreuzigte Christus von Nikos Kazantzakis basiert, dessen heute sehr bigott klingendes Libretto der Komponist selbst verfasst hat, wird auf die aktuelle Flüchtlingskrise Bezug genommen. Simon Stone lässt die Geschichte im Heute auf der leergeräumten gräulich-bläulichen Bühne von Lizzie Clachan, wobei auch alle Arkaden, außer die oberste Reihe, verdeckt sind, spielen. Die Flüchtlinge sind bunt gewandet, mit Rucksäcken und Schwimmwesten ausgestattet, die Dorfbewohner im Einheitsgrau. Mit suggestivem Licht werden mächtige Bilder erzeugt. Die Personen werden zurückhaltend und detailliert geführt. Der Regisseur dringt zwar nicht ganz in der Tiefe der Schichten des Werkes ein, weiß jedoch mit effektvoller, theatralischer Treffsicherheit zu inszenieren. Und es gibt auch so manche eindringliche Szene: Personen seilen sich von den Arkaden auf den Wänden ab und malen Wasserfontänen aus, dann wieder ist ein lichtdurchfluteter Wasserfall zu sehen, Wandfenster gehen immer wieder auf, wo Kirchenglocken geläutet werden.

Gezeigt wird die so genannte Züricher Fassung, die zweite Fassung aus 1961, die opernhafter ist als die Londoner Urfassung, aber auch in englischer Originalsprache. Sebastian Kohlhepp verkörpert den Hirten Manolios, der sich immer stärker als Christus des Passionsspiels identifiziert, auch darstellerisch eindringlich, mit sanftem, feinem Tenor. Sara Jakubiak ist die Prostituierte Katerina, Maria Magdalena im Spiel. Sie singt mit expressiven Tönen und verschenkt ihre lebende Ziege und das Schaf an die Flüchtlinge. Lukasz Golinski singt den Priester Fotis, den Anführer der Flüchtlinge, mit kräftigem Bariton. Sein ebenfalls autoritärer Gegenspieler ist der stimmgewaltige Gábor Bretz als unerbittlicher Priester Grigoris, der wie ein Demagoge gezeichnet ist und zum Anstifter zum Mord wird. Der höhensichere Charles Workman ist der einfach gestrickte Händler Yannakos, der auch einen echten Esel auf die Bühne führt. Ungewollt zum Gaudium des Publikums will dieser störrisch nicht die Bühne verlassen. In den vielen, kleineren Partien seien noch Christina Gansch als von Manolios verschmähte Lenio und Julian Hubbard als Schmied Panais erwähnt, der im Spiel den Judas zeigen soll, erwähnt, einer der Haupttäter an Manolios. Formidabel auch die viel eingesetzte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, die von Huw Rhys James bestens einstudiert wurde.

Die schillernde, teils episodenhafte Tonfarbenpracht, die griechische Folklore, in die sich fallweise tschechische Weisen mischen, weiß der junge Maxim Pascal am Pult der Wiener Philharmoniker mit stets animierender Energie präzise und klangprächtig umzusetzen.

Großer Jubel für ein denkwürdiges Finale des Premierenreigens bei den Opern der Salzburger Festspiele.

Helmut Christian Mayer