O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Die Bilder zeigen die Freilichtaufführung - Foto © Uwe Hauth

Aktuelle Aufführungen

Langeweile bei Hofe

MARTHA
(Friedrich von Flotow)

Besuch am
6. August 2019
(Premiere)

 

Kammeroper Schloss Rheinsberg, Matthus-Saal

Das Heckentheater im Schlossgarten des Barockschlosses Rheinsberg ist ein perfekter Ort, um dieses fröhlich-ungezwungene Singspiel, das 1847 in Wien uraufgeführt wurde, einem sommerlich-leicht gestimmten Publikum zu präsentieren. Doch das erfahrene Team der Kammeroper war wieder einmal gut beraten, die Prognosen des Wetterdienstes ernst zu nehmen – und so findet der Markt von Richmond an diesem Abend im nahe gelegenen Matthus-Saal, einem Hotelsaal mit etwa 1.000 Plätzen im Hafendorf Rheinsberg statt. Der Transfer ist Routine.

Das Heckentheater würde sich auch bestens eignen als Rahmen für das in Ungeduld und Langeweile vor sich hindämmernde Leben einer Hofdame am Hofe der englischen Königin um 1710, wo alles Leben in Etikette, gedrechselten Formen und unter wallenden Perücken und Überdruss erstickt. Da ist für die Wünsche junger Damen wie Lady Harriett und ihrer Freundin Nancy kein Platz  und Verständnis. Auch wenn im Saal ein wenig der Atmosphäre des Heckentheaters auf der Strecke bleibt und durch eine eher spartanische Bühnendekoration kaum aufgefangen wird, die äußeren Bedingungen für einen klangvollen Opernabend sind vorhanden. Holger Potocki, der die Inszenierung besorgt, stehen Preisträger aus dem Wettbewerb junger Künstler zur Verfügung, die sich im Internationalen Festival Junger Opernsänger der Kammeroper qualifiziert haben und sich mit ihren sommerlichen Aufführungen dem Publikum präsentieren. Neben den sommerlichen Freilichtaufführungen finden Konzerte und besondere Kinder- und Familienkonzerte statt.

Als würde einer der früheren Fürsten der Barockzeit einziehen, rufen Hornsignale von unterschiedlichen Plätzen der Arena die Besucher zur Aufführung. Im knapp gefüllten Saal versammeln sich ältere Besucher und einige buntere Feriengäste, viele von ihnen aus dem Raum rund um Berlin. Mit einer leichten, von Bläsern und Streichern vorgetragenen Ouvertüre beginnt die junge Philharmonie Berlin unter Leitung von Florian Ludwig den musikalischen Teil des Abends. Schon bald bemerken die Zuhörer die Vorliebe von Flotow für heftige Paukenakzente, die Ludwig während der gesamten Aufführung fortissimo spielen lässt. Im Wechsel von Hornbläsern, den Holzbläsern und zarten Harfenklängen unterstreichen  immer wieder kurze Paukenaufschläge die dramatischen Momente auf der Bühne, die dem Zuhörer so kaum entgehen können. Auf dem „Mägdemarkt von Richmond“ versuchen Lady Harriet und ihre Freundin Nancy, sich ihre Langeweile zu vertreiben und „Anschluss“ zu finden. Anna Lucia Struck, Sopran, als Lady Harriet und Anna Christine Heymann, Mezzosopran, als ihre Freundin Nancy füllen ihre Rollen stimmlich und darstellerisch gut aus. Struck meistert auch hohe Lagen fast mühelos, Anna-Christine Heymann wird mit sicherer, klarer Mezzo-Stimme und einer erfreulich lebendigen Darstellung ihrer Rolle immer mehr zum eigentlichen Anker der Aufführung. Sie bleibt dem Zuschauer am ehesten als Figur des Stückes in  Erinnerung, sie überzeugt gesanglich wie darstellerisch am meisten.

Foto © Uwe Hauth

Die Männerstimmen zeigen durchweg Anfangsschwächen und wachsen erst im Verlauf des Abends stimmlich in ihre Rollen hinein. Die im Chor versammelten knapp 20 Chorsolistinnen und -solisten bleiben eher im Hintergrund und überzeugen selten durch kräftige Klangfülle. Florian Ludwig und die junge Kammerphilharmonie Berlin Philharmonie präsentieren eine Opernmusik, in der man schon eine gewisse Nähe zur Operette entdeckt, der aber doch einiges an Schwung und Glanz fehlt. Das wird besonders in einigen Gruppenszenen deutlich, die Personenchoreografie hat ziemliche Schwierigkeiten, die Darsteller in Bewegung zu halten. Auch  einige der Lieder und Arien, die durchaus als „volkstümliche“ Lieder außerhalb der Theater- und Konzertsäle erklangen, ändern die Stimmung nicht. Erinnert sei an Lieder wie Martha, du entschwandest, Letzte Rose oder Ach so fromm, ach so traut, die die ältere Generation noch mit summte, die der jüngeren Generation aber völlig unbekannt sein dürften.

So erleben die Besucher dieser Kammeroper eine Aufführung, in der sie nur wenig vom Schwung und Tempo dieser „komischen Oper“ wiederentdecken können, der sie vor rund 50 Jahren ihre Popularität verdankte. Als echte Herausforderung werden die Studierenden der Musikakademie dieses Werk kaum empfinden können, das ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Die Kulturszene von Rheinsberg inmitten der Ruppiner Seen hat immer ein wenig Sorge, in den Schatten der Nachbarstadt Berlin zu fallen. Neben ihrer Musikakademie, die sich wesentlich der Ausbildung widmet, helfen dabei noch andere Größen der nahen Geschichte wie beispielsweise Friedrich der Große, der vier Jahre lang hier im Schloss residierte, Kurt Tucholsky, dessen scharfsinnige Schriften und gefühlvollen Gedichte der Besucher in einem bemerkenswerten Museum im Schloss findet, und schließlich Theodor Fontane mit seinen Erzählungen aus der Mark Brandenburg.

Horst Dichanz