Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
Besuch am
8. August 2020
(Filmaufführung)
In den vergangenen Jahren hat das sommerliche Opernprogramm der Kammeroper Schloss Rheinsberg immer für großes Interesse und Anteilnahme gesorgt. Nicht nur wegen der Opernakademie, die mittlerweile als anerkannte Fundgrube für junge Talente gilt, aber auch um das gelungene Rundumprogramm, das in diesem ansehnlichen brandenburgischen Städtchen stattfand. Dazu hat sicherlich auch der oft zitierte Satz des damaligen Kronprinzen Friedrich „hier habe ich die glücklichsten Jahre meines Lebens verbracht“ beigetragen.
Nun ist aber in diesem Corona-Jahr auch hier alles anders gekommen. Anstatt vollständige Operninszenierungen und ein internationales Opernfestival, wurden Serenaden-Konzerte und Liederabende mit Preisträgern der Akademie sowie eine Ausstellung zur Theatergeschichte wie auch einige Opernfilme gezeigt. Dafür wurde das kleine, ursprünglich 1774 errichtete und 1994 wieder aufgebaute Theater an die Corona-bedingten Änderungen angepasst – somit wurde die Kapazität auf etwa 50 Zuschauer reduziert.
Opernfilme in optimaler Bild- und Tonqualität anzusehen hat sich ja als sehr erfolgreiches Modell in den letzten Jahren herausgestellt – siehe den sensationellen Erfolg der Übertragungen aus der Metropolitan Opera, mit Abermillionen Zuschauern in Kinos weltweit. Und jetzt auch in Rheinsberg, jeweils vom Künstlerischen Direktor Georg Quander eingeführt: eine kleine Reihe von Klassikern wie Die Zauberflöte von Ingmar Bergman, La Traviata von Franco Zeffirelli oder Der Fliegende Holländer in der Regie des legendären Opernregisseurs und Intendanten Joachim Herz. Zur Erinnerung: Herz war Operndirektor der Oper Leizpig 1959 bis 1976, dann an der Komischen Oper Berlin 1976 bis 1981 und ab 1981 für zehn Jahre Chefregisseur der Semperoper Dresden und in seiner Zeit als Wagnerexperte sehr geschätzt.
Bildschirmfoto
1964 hat er sich einen Herzenswunsch erfüllen können: Es handelt sich hier nicht um die Aufzeichnung einer Opernproduktion auf der Bühne, sondern um eine filmische Umsetzung des Themas mit Schauspielern, die den eingespielten Ton der Sänger mimen. Gedreht wurde in den Babelsberger Filmstudios und im Umland.
Das Resultat ist auch 56 Jahre später nach wie vor nicht nur sehenswert von einem musikalischen Standpunkt, sondern auch wegen der Interpretation des Stoffes. Herz war der erste, der die Geschichte des Holländers als Sentas Traum inszenierte. Die filmische Umsetzung wurde mit einem einfachen Trick gelöst: Die Szenen, die sich in Sentas Fantasie abspielen, wurden im damals neu entwickelten Totalvision-Breitbildformat gedreht; alle anderen Geschehnisse dagegen im Normalbildformat. Für die Tonwiedergabe wurde das gerade neu entwickelte Vier-Kanal-Tonverfahren eingesetzt.
Die Sänger wurden allesamt synchronisiert – mit erstaunlich guten Resultaten. Besonders die Verständlichkeit und Diktion der Sänger ist hervorragend. Hier sind keine Untertitel notwendig, man versteht jedes Wort. Die Sopranistin Gerda Hannemann wurde von der damals in der DDR sehr bekannten Schauspielerin Anna Prucnal gemimt; ihr gegenüber standen Rainer Lüdecke als Sänger des Holländers und der populäre Schauspieler Fred Düren; Hans Krämer war Daland, dargestellt von Gerd Ehlers; Rolf Apreck war der Erik, von Herbert Graedtke gespielt. Allesamt Namen, die uns heute wenig bekannt sind, aber von der hervorragenden Ausbildung und Qualität dieser Generation bürgen.
Rolf Reuter dirigiert sein Gewandhausorchester Leipzig wie auch den Chor der Oper Leipzig. Sehr lebendig und forsch sind die Tempi und werden mit eindringlicher Emotionalität getragen. Die Matrosenszenen ragen in ihrer Vitalität heraus. Übrigens war eine junge Choreografin namens Ruth Berghaus für diese Sequenzen verantwortlich. Ja, jene Berghaus, die später als Regisseurin berühmt werden sollte.
Damals war es die Deutsche Film AG, kurz DEFA, die in den Babelsberger Studios in Potsdam die auf 101 Minuten leicht verkürzte Oper als schwarzweißen Film produzierte. Zumindest galt das für die Innenszenen, die in Bauten von Rudolf Heinrich gedreht wurden. Für alle Szenen, die in der Natur stattfanden, wurde an Orten an der Ostsee und an Seen rund um Berlin gefilmt. Für die schroffen, norwegischen Berge wurde in Tschechien gedreht; für das aufbrausende Meer musste Archivmaterial aus den Tagesschauen hergenommen werden. Der renommierte Kameramann Erich Gusko führte eine oft sehr nahe, subjektive Kamera, die das Traummotiv der Senta noch deutlicher machte. Gerhard Kaddatz entwarf stilisierte Kostüme aus der Entstehungszeit – gut und brav bürgerlich für die Bürger und fetzig-schrecklich für die Geistermannschaft des holländischen Schiffes.
Herz hat sich bekanntlich sehr intensiv mit den Opern von Richard Wagner auseinandergesetzt. Jahrzehnte später hat Patrice Chereau zugegeben, dass das Konzept von seinem berühmten Bayreuther Ring des Nibelungen stark von dem Ring von Herz inspiriert wurde. Die Interpretation des Fliegenden Holländers von Herz hat über die Jahrzehnte nichts an Attraktivität verloren, zumal er ein sehr modernes Ende inszenierte – Senta ist hier kein Opfer ihres Wahns, sie wacht einfach aus ihrem Traum auf. Was sie dann mit ihrem Leben anstellt, bleibt offen.
Zenaida des Aubris