O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Gut gezeichnete Figuren

DER LETZTE DER FEURIGEN LIEBHABER
(Neil Simon)

Besuch am
7. Mai 2023
(Premiere am 29. April 2023)

 

Rotationstheater, Remscheid

Wer behauptet, Remscheid im Bergischen Land sei eine Großstadt – hat Recht. Zumindest, wenn man nach der Einwohnerzahl geht, denn die liegt über 100.000. Nach Großstadtflair sucht man hier allerdings vergebens. Zumindest in der pittoresken Altstadt des Ortsteils Lennep. Hier findet man, ein wenig versteckt, aber gut ausgeschildert, das Rotationstheater. Seit 1974 gibt es in dem Haus mit der schieferverkleideten Fassade an der Kölner Straße ein Café, früher waren hier die Rotationsmaschinen der Bergischen Morgenpost untergebracht. 1990 kam – über den Hinterhof erreichbar – das kleine Keller-Theater hinzu, das sich als „die Kleinkunstbühne in Lennep“ vor allem bei Kabarettisten und Comedians einen Ruf erarbeitet hat. Viele Künstler mit deutschlandweit bekannten Namen führen hier ihre Vorpremieren und Programmtests durch. „Wer in Lennep besteht, schafft es in ganz Deutschland“, wird hier gern ein Kabarettist zitiert.

Aber es gibt eben auch immer wieder Theater, oft in eigenen Produktionen, die anschließend auf Tournee gehen. Die Räume haben durchaus ihr eigenes Flair. Über eine Treppe, die eher an den Eingang eines Luftschutzbunkers erinnert, gelangt man in ein Foyer mit einer ordentlichen Theke. Dahinter liegt der Saal, der eher an ein zu groß geratenes Wohnzimmer erinnert. Zwischen den Stühlen sind kleine Abstelltische eingefügt. Im hinteren Teil ist ein Separee für die Technik eingerichtet und vor Kopf eine Bühne, die man durchaus so bezeichnen kann. Wenn der Durchgang zum Foyer erweitert wird, haben hier bis zu 100 Menschen Platz, in Spitzenzeiten sollen es gar bis zu 125 gewesen sein. Von gedrängter Enge kann man an diesem Sonntagabend allerdings nur träumen. Spontane Besucher gibt es angesichts des ungemütlichen Regenwetters eher nicht, und so haben die etwa 20 Gäste ausreichend Platz, wie das ja nach der Pandemie häufiger bei Folgevorstellungen der Fall ist.

Marcus Mies und Julia Karl – Foto © O-Ton

Am 29. April fand die Premiere der Komödie mit dem reißerischen Titel Der letzte der feurigen Liebhaber statt. Geschrieben hat sie Neil Simon, der als einer der populärsten Dramatiker Nordamerikas gilt und für das so genannte Boulevardtheater steht. Wer den Namen in Deutschland kennt, weiß auch, dass hier nichts Taufrisches geboten wird, denn Simon lebte von 1927 bis 2018. Am 28. Dezember 1969 fand die Uraufführung von The Last of the Red Hot Lovers, so der Originaltitel, unter dem der Stoff auch 1972 verfilmt wurde, statt. Der zeitlose Inhalt lässt die Geschichte heute noch aktuell erscheinen. Es geht um nichts weniger als Lebenskrisen, wenn auch auf hohem Niveau.

Barney Silbermann – im Original heißt er Cashman – ist 47 Jahre alt und hat es im Leben zu allem gebracht, wovon jeder Bürger so träumt. Er ist seit 23 Jahren mit Helma verheiratet, hat drei Kinder und betreibt ein florierendes Fischrestaurant. Dass er das Gefühl hat, seine Finger röchen ständig nach Fisch, ist nicht die einzige Neurose, die ihn plagt. Vor allem aber fehlt noch das gefühlt Wichtigste im Leben eines Mannes – eine Affäre. Da ist es doch schön, dass die Mutter einmal in der Woche nachmittags ehrenamtlich im Krankenhaus aushilft, und damit ihre Wohnung leer steht. Und so finden sich die Zuschauer in einem Wohnzimmer wieder, das entsprechend dem Alter der Dame eingerichtet ist. Im Mittelpunkt steht eine weißlederne Couch mit roten Sofakissen, dahinter ist auf einer Leinwand ein großzügiges Fenster mit Blick auf einen der gehobenen Stadtteile New Yorks zu sehen. Links der Abgang zur Küche, davor ein Paravent mit aufgedrucktem Bücherregal und ein Beistelltischchen, rechts ein Vorhang, der den Abgang zur Wohnungstür verdeckt und mit einem kitschigen Bild behängt ist. Ein Couchtisch vor dem Sofa und ein Garderobenständer im Hintergrund runden die Einrichtung ab, in der sich die folgenden Ereignisse abspielen.

Nathalia Dudzik und Marcus Mies – Foto © O-Ton

Regisseur Oliver Scheemann verzichtet bei dem fast dreistündigen Stück auf Textaktualisierungen und setzt stattdessen auf sein stärkstes Kapital. Das sind die drei Schauspieler, die es für das Stück braucht. Die haben eine Menge Klippen zu umschiffen, denn das Werk als „Komödie“ zu bezeichnen, trifft es nicht so ganz. Neben einem gewaltigen Textkonvolut und marginaler Handlung bietet es bei schmalen Gratwanderungen zwischen subtil komischen und nachdenklich stimmenden Strecken nur wenige Höhepunkte, um endlich in einer moralischen Soße zu versinken. Da hat Scheemann ein ordentliches Stück Arbeit zu bewältigen, um die Figuren sehr genau, also detailfreudig zu zeichnen. Mit Marcus Mies hat er dabei den idealen Barney besetzt, der nicht nur vom Spielalter und der dazugehörigen Reife überzeugt, sondern auch dafür sorgt, dass die Anlaufschwierigkeiten Barneys bei seinen Versuchen, zu einer Affäre zu kommen, glaubhaft wirken und nicht in die Albernheit abrutschen. Das gelingt Mies ebenso gut wie Julia Karl, die Eigenheiten ihrer beiden Rollen herauszuarbeiten. Da gibt es Elaine Navazio, Stammgast des Restaurants, dem Barney die Einladung in die Wohnung auf die Rückseite der Rechnung geschrieben hat. Im halbwegs erotisch anmutenden Kleid ist sie zur raschen Affäre bereit, aber nicht auf händchenhaltende Romantik vorbereitet. Ihr Akzent ist nicht übertrieben, die Perücke schrecklich und die Karl köstlich. Bei Hausfreundin Jeanette Fischer, die unter Depressionen und Weltschmerz leidet, glänzt sie mit tief herabhängenden Mundwinkeln, dass einem Angst und Bange um ihr Wohlergehen werden kann. Außerordentlich schrill ist Bobbi Michele gezeichnet, „eine völlig durchgedrehte Schauspielerin“, der Barney im Park mit Geld ausgeholfen hat. Nathalie Dudzik versteht es ausgezeichnet, die Verrücktheit nur so weit herauszulassen, dass sie nicht aufgesetzt wirkt und man sie erst einen Moment später erkennt. Neben einigen zusätzlichen stimmlichen Herausforderungen, dieses Lachen muss man erst mal können, verzaubert sie eher als abzuschrecken. Und eine der schönsten Szenen ist die, die man eigentlich nicht mehr sehen mag: Barney und Bobbi spielen die Wirkung des Haschisch ganz wunderbar. Ab Juni wird Dudzik übrigens in Tag der Gnade zusammen mit Andreas Strigl im Rotationstheater zu sehen sein. Die Vorankündigung klingt vielversprechend, und besser als in der Rolle der Bobbi kann sie dafür nicht werben.

Dank der ewigen und mitunter redundanten Dialoge bleibt einem beim letzten der feurigen Liebhaber die eine oder andere Durststrecke nicht erspart, da helfen selbst die großartigen Leistungen der Schauspieler kaum. Aber insgesamt kann man von einem unterhaltsamen und nachdenklich stimmenden Abend sprechen, der deutlich von der üblichen Unterhaltungskost abweicht. Dass das Publikum an diesem Abend die Darsteller förmlich verhungern lässt, indem es stillschweigend abwartet, dass das Stück vorübergeht, erlebt man so auch nur selten. Umso größer das Lob für die Schauspieler, die sich davon äußerlich nicht beeindrucken lassen, sondern der Herausforderung stellen und sie bravourös meistern. Dafür gibt es am Ende dann tatsächlich den verdienten Applaus.

Am 13. und 14. Mai zeigt das Rotationstheater zwei weitere Vorstellungen. Und man sollte sich nicht von der Anreise abschrecken lassen. Laut einer selbsterhobenen Statistik des Theaters kommen von 20 Besuchern 16 nicht aus Remscheid. Die Fahrt scheint sich also zu lohnen.

Michael S. Zerban