O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Reizvolle Gegensätze

DANIEL MÜLLER-SCHOTT UND STIPENDIATEN
(Ludwig van Beethoven, Dmitry Schostakowitsch)

Besuch am
2. August 2020
(Premiere am 2. Augst 2020)

 

Villa Musica Rheinland-Pfalz, Arp-Museum, Remagen

Als der Galerist Johannes Wasmuth 1964 begann, aus dem sanierungsbedürftigen Bahnhof Rolandseck in Remagen ein Kunstzentrum zu entwickeln, war die Vision klar. Es sollte ein Raum für alle Kunstgattungen werden, um daraus ein einzigartiges neues Kunsterlebnis entstehen zu lassen. Diese Vision hielt das Arp-Museum Bahnhof Rolandseck aufrecht, als es mit der Johannes-Wasmuth-Gesellschaft einen Kooperationsvertrag abschloss, nach dem die Gesellschaft ein Musikprogramm entwickeln sollte, das in enger Verbindung zum Ausstellungsgeschehen stand.

Es war schon ein kleiner Paukenschlag, als das Arp-Museum Bahnhof Rolandseck im Februar vergangenen Jahres verkündete, den Kooperationsvertrag mit der Johannes-Wasmuth-Gesellschaft, der im Dezember 2019 auslief, nicht zu verlängern. Da das Museum das Recht auf seiner Seite hatte, blieb es bei einem kleinen Schlagabtausch, bei dem eine Menge großer Worte fielen, ohne allerdings über die wahren Gründe für die fehlende Verlängerung zu informieren. Im Einvernehmen mit der Landesregierung von Rheinland-Pfalz schloss die eine Landesstiftung also dann einen neuen Kooperationsvertrag mit der anderen Landesstiftung, nämlich der Villa Musica Rheinland-Pfalz, ab. Eine Diskussion über eine solche Staats-Mauschelei fand in der Öffentlichkeit nicht statt. Stattdessen teilte das Museum mit, dass das Rolandseck-Festival, ein bekanntes Kammermusik-Festival, nicht mehr stattfinden werde, sondern die Villa Musica ein neues Format erarbeiten wolle. Das ist wohl nicht ganz richtig. Korrekt müsste es heißen, das Rolandseck-Festival findet nicht mehr im Arp-Museum statt, denn die Wasmuth-Gesellschaft kündigt für diesen Monat ein neues Festival an, nur eben nicht mehr in den Räumen des Museums.

Ursprünglich wollte Villa Musica ihre Arbeit im März dieses Jahres mit einer Konzert-Reihe beginnen, was aus bekannten Gründen entfiel. Nachdem auch das Land Rheinland-Pfalz wieder Konzertaktivitäten erlaubte, findet nun das erste einer ganzen Reihe von Konzerten statt, die bis September in der Lobby des Museums durchgeführt werden sollen. Der Festsaal im alten Bahnhof oder andere Orte im Museum werden, wie eigentlich geplant, nicht genutzt, um die hygienischen Voraussetzungen optimal zu erfüllen.

Annika Treutler und Daniel Müller-Schott – Foto © O-Ton

Fünf Konzerte folgen jetzt Schlag auf Schlag, wobei mit dem Eröffnungskonzert gleich ein kammermusikalischer Höhepunkt gefeiert werden darf. Holpersteine inbegriffen. Der Saal ist, wie auch schon am Vormittag, als das Programm schon einmal aufgeführt wurde, mit 52 Personen vollbesetzt, was nicht an der Größe des Saals, sondern an den Abstandsregeln liegt. Wie es sich für ein Konzert gehört, haben sich hier samt und sonders Angehörige von Risiko-Gruppen versammelt. Und das, obgleich hier der „Spitzen-Nachwuchs“ antritt. Denn die Villa Musica ist eine Stiftung, die sich die „Elitenförderung“ auf die Fahnen geschrieben hat. Da liegt wohl noch ein Haufen Arbeit vor Alexander Hülshoff, dem Künstlerischen Leiter des Musikprogramms im Arp-Museum, um das Durchschnittsalter der Besucher abzusenken. Beim Programmheft – immerhin gibt es eines, in diesen Tagen nicht die Regel – sieht man durchaus schon Verbesserungspotenzial. Eine Pianistin wie Annika Treutler auf dem Titelblatt nicht zu erwähnen, grenzt schon an einen Affront.

Auf dem Programm steht zunächst – was sonst im Jahr 2020 – Ludwig van Beethoven. Mit der Cello-Sonate in C-Dur, opus 102, Nr. 1, ist die Wahl auf ein ausgesprochen interessantes Werk gefallen. Im Sommer 1815 komponierte der bereits ertaubte Beethoven zwei Sonaten für den Cellisten Joseph Linke in persönlich schwieriger Zeit. Zwei von drei finanziellen Förderern entfielen, das Geld reichte hinten und vorne nicht. Die einen sagen, das habe den Komponisten gehemmt, die anderen sagen, an dieser Schwelle vom „mittleren Beethoven“ zum „späten Beethoven“ seien besondere Stücke entstanden. Nach diesem Nachmittag ist man wohl eher geneigt zu sagen, die Cello-Sonate gehört zu den besonders starken Stücken. Vielleicht liegt es auch an der Interpretation. Denn auf der Bühne nimmt ein eindrucksvolles Duo Platz. Mit Daniel Müller-Schott ist einer der weltbesten Cellisten angetreten. Grandios sekundiert ihm Annika Treutler am Klavier. Hier gibt es kein besser oder schlechter, vielmehr ergänzen sich die beiden und lassen das Werk atmen, bauen eine wirkungsvolle Dramaturgie auf und halten die Spannung selbst in kurzen Stille-Momenten. Das Publikum weiß den Genuss zu würdigen.

Früher hätte man das Programm wohl in umgekehrter Reihenfolge aufgestellt, um zu verhindern, dass das Publikum in der Pause davonläuft. Das ist in Corona-Zeiten nicht mehr nötig, wenn die Aufführungen nicht viel mehr als eine Stunde dauern dürfen und ohne Pausen auskommen müssen. Da darf die Wirksamkeit regieren. Und so schließt sich an Beethoven Dmytri Schostakowitsch mit seinem Klavierquintett in g-Moll, opus 57, an. Deshalb kommen zu den bisherigen Akteuren drei Stipendiaten der Villa Musica hinzu. Dmytro Udovychenko und Annika Starc an der Geige und Sào Soulez Larivière an der Bratsche haben sichtlich Spaß an ihrer Aufgabe, das Quintett zu einem ganz besonderen Erlebnis zu machen. Auf Augenhöhe mit Müller-Schott musizieren sie hochkonzentriert, um unmissverständlich klar zu machen, wie aufregend die Musik ist, die 1940 entstand. Einen geschichtlichen Zusammenhang zum Einmarsch der Deutschen in Russland herzustellen, erscheint nach diesem Nachmittag ziemlich gewagt. Ein Schwanengesang klingt anders. Tatsächlich gefallen in der Interpretation die überraschenden Einfälle, gewagten Wendungen und das hochpräzise Spiel aller Beteiligten. Das Publikum weiß es mit frenetischem Applaus zu würdigen. Ein gelungener Auftakt zu einer Konzertreihe, für die man ganz entschieden auch jüngere Menschen begeistern können sollte.

Michael S. Zerban