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Aktuelle Aufführungen
L’HUOMO
(Andrea Bernasconi)
Besuch am
11. Juni 2023
(Premiere)
Wenn ein König seine Schwester besucht, und wenn es sich, wie hier, um den Besuch von König Friedrich II. von Preußen zu seiner Schwester Wilhelmine von Bayreuth 1754 handelt, dann ist zur Unterhaltung aller etwas Besonderes angesagt. Und so war es auch. Wilhelmine, die selbst hoch gebildet war, hat das Libretto für L’huomo, eine Allegorie von Gut und Böse, eine Azione Teatrale, geschrieben. Dazu hat sie den damals sehr erfolgreichen Komponisten Andrea Bernasconi beauftragt, die Musik zu schreiben, und teilweise auch dazu komponiert. Zur Aufführung kam es in dem gerade fertiggestellten Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth, damals wie heute ein einzigartiges Juwel der Baukunst. Und jetzt wird das Werk im Rahmen der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci im vor kurzem neurenovierten Theater im Neuen Palais gezeigt.
Dabei handelt es sich um das Projekt eines Forschungsteams der Universität Bayreuth, das eine detailgetreue Rekonstruktion der Bühne, den Kostümen und der Regie in jahrelanger Arbeit vorgenommen hat. Danach kann Regisseur Nils Niemann zusammen mit dem Bühnen- und Kostümbildner Johannes Ritter sowie dem Videokünstler Christoph Brech die Azione Teatrale der damaligen Zeit ins 21. Jahrhundert bringen. Das geschieht auch durch den Einsatz von hypermodernen Videoprojektionen auf das hintere Panorama. Das Resultat ist ein fast dreistündiges Fest für Augen und Ohren. Für letzteren Genuss sorgen Dorothee Oberlinger, Intendantin der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, und ihr Ensemble 1700 im sehr kleinen Graben.
Wilhelmine von Bayreuth hat, ganz im Sinne des damals herrschenden Geistes der Aufklärung und Schönheit, eine Geschichte geschrieben, in der die männliche Seele, Anemone, und die weibliche Seele, Animia, von guten und bösen Geistern hin und her gezogen werden. Mal gewinnt Cattivo Genio, der böse Geist, und sein Gefolge, bestehend aus Amor Volubile, der flüchtigen Liebe, Volusia, Wollust, und Incosia, Unbeständigkeit. Am Ende gewinnt dann doch der Buon Genio, gute Geist, mit seinem Gefolge, bestehend aus Negiorea, der Vernunft, und Amor Ragionevole, der vernünftigen Liebe. Drum herum tanzt immer wieder eine fünfköpfige Gruppe, die die Liebesgeister oder Furien darstellt, neben den jeweils agierenden singenden Rollen.
Niemann lässt alle Charaktere sich mit den charakteristischen Handgesten der damaligen Zeit ausdrücken. Dazu gibt es sogar ein Dokument, das die verschiedenen Gesten erklärt. Für die Augen des Publikums scheint das alles sehr stilisiert und artifiziell, aber es passt hier wunderbar hinein und versetzt den Zuschauer in eine längst vergangene Epoche. So entstehen immer wieder tableaux vivants, die sekundenlang gehalten werden, bis sie aufbrechen und es, auch musikalisch, zur nächsten Szene geht.
Foto © Stefan Gloede
Die verschiedenen historischen, gemalten Hänger die hintereinander in den verschiedenen Gassen den Eindruck von Tiefe geben und mal eine idyllische Parklandschaft, mal eine Berggegend mit Tempel oder ein Kristallpallast in der Mittagssonne darstellen, fügen sich fast nahtlos in die von Christoph Brech konzipierten, mit digitaler Hilfe einer Software des Brainlabs München Bilder eines sternbesetzten Hirnes, aufgeteilt in zwei Hälften, etwa in Gut und Böse oder Trieb und Vernunft. Besonders müssen auch die aufwendigen, historischen Kostüme von Johannes Ritter erwähnt werden, von den voluminösen Reifröcken bis hin zu den detailverspielten Kopfputzen und den akkuraten Schuhabsätzen.
Dorothee Oberlinger, selbst Expertin in Sachen Barockmusik, hat ein vortreffliches vokales Ensemble zusammengestellt. Dabei sind die weiblichen Stimmen durchweg von einer erstaunenswerten Homogenität in Klarheit und wohlklingender Klangfarbe: Sopran Maria Ladurner als Animia, Sopran Francesca Benitez als Buon Genio, Mezzo Sopran Alice Lackner als Negiorea, Sopran Anna Herbst als Wolusia und Johanna Rosa Falkinger als Incosia. Die männlichen Stimmen sind auch durchaus ausdrucksstark, aber wesentlich unterschiedlicher. Countenor Philipp Mathmann als Anemone hat zwar eine wunderschöne Höhe, leidet aber an diesem Abend an erheblichen Registerbrüchen, Bariton Florian Götz as Cattivo Genio zeigte seine Bosheit durch besonders lautes Singen, in der Doppelrolle als Amor Ragionevole und Amor Volubile ist Tenor Simon Bode ein Publikumsliebling, auch durch seine perfekt platzierten komischen Pointen.
Das etwa zwanzigköpfige Ensemble 1700, unter der Leitung von Oberlinger, spielt seit 2002 zusammen. Da merkt man, wie gut die Musiker aufeinander hören, miteinander kommunizieren und wie entspannt Oberlinger sie und die Sänger auf der Bühne leitet.
Das Publikum im ausverkauften kleinen Hoftheater tobt vor Begeisterung und Freude, in einem schönen Ambiente für fast drei Stunden die großen und kleinen Probleme der eigenen und der übrigen Welt vergessen und sich nur der visuellen und Klangschönheit hingeben zu können.
Zenaida des Aubris