O-Ton

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Foto © Stefan Brion

Aktuelle Aufführungen

Zauberoper zum Saisonabschluss

ZÉMIRE ET AZOR
(André-Ernest-Modeste Grétry)

Besuch am
1. Juli 2023
(Premiere am 23. Juni 2023)

 

Opéra Comique, Paris

André-Ernest-Modeste Grétry gehört mit über 60 Opern zu den produktivsten, und durch eine ausgeprägte dramatische Fantasie bei dennoch sehr einfachen, natürlichen Ausdrucksformen auch zu den beliebtesten Opern-Komponisten des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa. Seinen ersten großen Erfolg erlebt er in Paris 1771 mit der Märchenoper Zémire et Azor, von seinen Revolutionsopern ist besonders Guillaume Tell von 1791 in Erinnerung geblieben. Als Freund Voltaires, von Rousseau beeinflusst und durch seine Textdichter Marmontel und Sedaine gefördert, geben Gétrys Werke der französischen Oper eine breitere Basis, erweitern den Stoffkreis auf romantisch-exotische Zauberopern sowie in der Folge auf Schreckens- und Freiheitsdramen. Seine Werke haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das deutsche Singspiel und die deutsche romantische Oper.

Dennoch gehört sein Name heute nicht mehr zu den bekanntesten Opernkomponisten der Musikgeschichte und nur noch selten werden seine Opern aufgeführt. Wie Arnold Feil es ausdrückt: „Gétry gehört zu jenen in der Geschichte der Künste nicht seltenen Wegbereitern, die für die Nachwelt in den Schatten derer geraten, denen sie den Weg gebahnt haben.“

Die Musik dieser Oper ist noch im höfischen Stil des Ancien Régime gehalten, aber von einer fast volkstümlichen Frische und Lebendigkeit. Auch hört man hin und wieder Gluck heraus oder lässt in Grétrys Musik schon Mozart-Opern ahnen. Ganz in der Tradition der französischen komischen Oper wechseln sich gesprochene mit gesungenen Partien ab. Zu Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail ist es nicht mehr weit. Mag sein, dass Mozart die Oper schon bei seinem unseligen Besuch in Paris 1778 sah, sicherlich aber in Wien, denn dort sang seine Schwägerin Aloisia Weber 1784 die Zémire. Auch fand sich eine Partitur der Oper in seinem Nachlass.

Jean-Francois Marmontels Textbuch beruht auf dem Märchen La Belle et la Bête. Die Handlung ist nach Persien verlegt. Der persische Kaufmann Sander wird mit seinem Diener Ali bei einem Sturm auf See an einen unbekannten Strand verschlagen, wo sie in einem prunkvollen Schloss von unsichtbaren Händen aufgenommen und bewirtet werden. Erst als Sander eine Rose pflückt, um sie, wie versprochen, seiner Tochter Zémir als Geschenk mitzubringen, erscheint Azor, ein von einer Fee in ein schreckliches Ungeheuer verwandelter Prinz.  Als Strafe für die gestohlene Rose, verlangt Azor von Sander, ihm eine seiner Töchter zu überlassen. Nach Hause zu seinen drei Töchtern Lisbé, Fatmé und Zémire zurückgekehrt, erpresst Zémire den Diener Ali, ihr zu erzählen, was der Vater ihnen verschweigt, und begibt sich dann heimlich ins Schloss Azors, um seines Vaters Versprechen einzulösen. Azor verliebt sich sofort in das junge Mädchen und gewährt ihm, in einem Zauberspiegel seinen Vater und seine Schwestern zu sehen und zu belauschen. Als Zémire sieht, wie sehr die um sie jammern, gewährt er ihr auch, noch einmal ihren Vater zu besuchen, gegen das Versprechen in 24 Stunden zurückzukommen. Die ganze Familie versucht Zémire zu überreden, nicht wieder zu Azor zurückzukehren, aber sie liebt ihn inzwischen, weil sie gemerkt hat, dass er gut und unglücklich ist. Als sie ihm bei ihrer Rückkehr ihre Liebe gesteht, verwandelt sie das Ungeheuer wieder in einen schönen Prinzen. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch in Glück und Freude.

Foto © Stefan Brion

Der Regisseur Michel Fau hat die Oper verspielt und manchmal mit grotesk-komischen Zügen als Märchen inszeniert. Leider fehlt Hubert Barrères und Citronelle Dufays Bühnenbildern, einfach, abstrakt-geometrisch, in anderen Worten minimalistisch, die märchenhafte Fantasie. Barrères Kostüme sind teils orientalisch, teils Rokoko mit einem Einschlag von 1950 New Look und imposanten Frisuren à la Marie-Antoinette für die Damen. Zèmirs Prunkkleid ist ein Meisterwerk voller kunstvoll gestickter Glitzerrosen, das je nach Beleuchtung grell-weiß, rosa oder hellgrün leuchtet. Azor als schwarzes Ungeheuer wird, wie Fau es nennt, zu einer horreur esthétique, einer Art Nosferatu mit Insektenkopf. Joël Fabing bedient sich bei seiner sehr diskreten Beleuchtung geschickt des Rampenlichts, um immer wieder mal die Darsteller in reizvollen Schattenspielen auf den Hintergrund zu projizieren.

Musikalisch und schauspielerisch steht die Aufführung auf hohem Niveau. Die Diktion der Darsteller ist, sowohl in den gesprochenen wie in den gesungenen Partien, ausgezeichnet. Allen voran ist Julie Roset eine bezaubernde Zémire, sensibel und bedächtig. Ihr Sopran ist jugendlich-frisch, bei sehr beweglicher, gut kontrollierter Virtuosität, was ganz besonders in den Melismen der Arie La fauvette avec ses petits im dritten Akt, mit der Solo-Flötenbegleitung im Orchester, zum Ausdruck kommt, mit der sie Azor betört, und dann in der viel dramatischeren Arie Azor, Azor! im vierten Akt, als sie fürchtet, ihn verloren zu haben, diesmal mit Hornbegleitung. Philippe Talbot stellt mit vielen Verrenkungen, und mit schneidendem Tenor das Ungeheuer dar, das sich dann, wie in der Arie Du moment qu’on aime im zweiten Akt als sehr menschlich entpuppt. Marc Mauillon ist der vom Schicksal gequälte Sander, vor allem in seiner Sorge um seine Tochter Zémire, die er mit hell timbriertem Bariton sehr glaubhaft und dramatisch kundtut in der Arie La pauvre enfant im ersten Akt. Ihm zur Seite, in einer fast italienischen Opera-buffa-Figur, in der immer wieder mal Leporello oder auch Monostatos anklingen, steht Sahy Ratia als sein quirliger, ständig ängstlicher und zum Weglaufen bereiter Diener Ali. Die beiden Schwestern Magot Genet als Lisbé und Séraphine Cotrez als Fatmé treten sehr reizvoll mit ihrem Vater im Terzett des Zauberspiegels hervor, der aber visuell etwas enttäuscht, weil das Zauberhafte fehlt. Last but not least, sei Michael Fau als extravagante Transvestit-Fee zu nennen, der mit seinen Ungeistern, Alexandre Lacoste und Antoine Lafon, die wie unheimliche, schwarze Spinnen um ihn herumwirbeln, in grotesk-komischen Ausdruckstänzen die Balletteinlagen bestreitet.

Für diese letzte Aufführung der Saison hat Louis Langrée das Dirigentenpult seinem Assistenten Théotime Langlois de Swarte überlassen, der mit jugendlichem Eifer und bewährter Präzision die Solisten und das Orchester Les Ambassadeurs ~ La Grande Écurie leitet.

Das Publikum ist umso beifallsfreudiger, als es nach einer solchen Vorstellung bester Laune in die Ferien fahren kann.

Alexander Jordis- Lohausen