O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Marie Pétry

Aktuelle Aufführungen

Farben sprühendes Feuerwerk

LA VIE PARISIENNE
(Jacques Offenbach)

Besuch am
21. Dezember 2021
(Premiere)

 

Théâtre des Champs-Élysées, Paris

Obwohl Jacques Offenbach, unterstützt von seinen Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy, in seinen satirischen Operetten, oder Opéras-bouffes, wie er sie nennt, allen den Narrenspiegel vorhält – keiner im zweiten Kaiserreich ist vor ihrem Spott sicher – nimmt man es ihm nicht übel, im Gegenteil, es amüsiert. Nur die staatliche Zensur ist wachsam. Dennoch feiert der Komponist gerade in dieser kurzen Periode der Herrschaft Napoleon III. seine größten Triumphe. Der unfehlbare Instinkt fürs Theatralische, die Fähigkeit, hinter Würde versteckte Lüge zu entlarven, die Leichtigkeit und Fröhlichkeit der Melodien, aber auch die Fähigkeit, vom Oberflächlichen ins Tiefere und von der Ironie ins Zärtliche überzuwechseln, machen den anhaltenden Erfolg dieser Bühnenwerke aus.

La Vie Parisienne ist für die Pariser Weltausstellung 1867 geschrieben und wird zu einem der größten Erfolge Offenbachs. Paris, „diese Stadt voller Vergnügungen, Freude und Liebe“, ersteht darin wie ein großes Fest, in dem ein Liebesabenteuer das nächste jagt, wie ein mitreißendes, hinreißendes Chaos, in dem alle in entsprechender Verkleidung ihren Platz finden – Adelige ebenso wie reiche Bürger, Hausangestellte oder Handwerker. Die Partitur ist voller Melodien, die zu Gassenhauern geworden sind. Doch da Offenbach bei der Uraufführung mit den stimmlichen Fähigkeiten seiner Ausführenden und vor allem auch mit der Zensur einige Schwierigkeiten hatte, musste er im letzten Moment viele Passagen umschreiben oder streichen. So ist diese Aufführung im Théâtre des Champs-Élysées szenisch wie auch musikalisch in enger Zusammenarbeit mit dem Palazzetto Zane Bru, dem Musikzentrum für romantische französische Musik in Venedig, zustande gekommen. Denn der Palazzetto hat in zweijähriger mühsamer Archiv-Forschungsarbeit die ursprünglich geplante Fassung rekonstruiert, und sie ist es, die hier zum ersten Mal auf die Bühne gebracht wird.

Und noch eine Premiere bietet die Aufführung: Es ist die erste Bühneninszenierung Christian Lacroix‘, den man Jahrzehnte lang als einen der führenden Pariser Modeschöpfer, später des Öfteren schon als custumier von Opernaufführungen gefeiert hatte.

Foto © Marie Pétry

Nach eigener Aussage will er mit dieser Inszenierung nicht einmal andeutungsweise einen Spiegel des heutigen Paris erstellen. „Ich glaube es wäre unnatürlich, um nicht zu sagen unehrlich, aus La Vie Parisienne irgendwelche sozialen oder politischen Besorgnisse herauszufiltern, in denen die unseren anklingen.“ Er will aber auch nicht die Belle Époque nachbilden. Er sieht daher seine erste Aufführung als ein Hin-und-Zurück zwischen dem 19. Jahrhundert und der heutigen Zeit.  Dabei ist sein Dekor etwas weniger gelungen als seine Kostüme. Der feststehende Teil der Kulisse, eine etwas klobige „Eiffel-Struktur“, in Anspielung auf die Modernität der Belle Époque, unter anderem auf die ersten, großen Eisenbahnhöfe, in einem von denen der erste Akt der Operette spielt. Diese Struktur mit dem roten Aufzug bleibt in Varianten in allen fünf Akten bestehen. Daneben entstehen in der Folge die Junggesellenwohnung des Monsieurs de Gardefeu, der überladene Salon der Madame de Quimper-Karadec und schließlich das Rendezvous-Restaurant des Schlussakts. Die Kostüme und die extravaganten Frisuren und Hüte sind selbstverständlich der Belle Époque nachempfunden, aber sie sind verkürzt und mit Kostümen aus unserer Zeit vermischt. Dabei hat Lacroix seiner Fantasie freien Lauf gelassen und sich von Napoleons Armeeuniformen, aber auch im Orient, auf dem Balkan, in Bayern, in Mexiko, und wer weiß, wo sonst noch inspirieren lassen. Daneben sind auch Transvestiten in Tütü-Röckchen vertreten, und andere Trans-Personen defilieren in Mode. Die Clownerie und Situationskomik der Personenregie ist, wie er selbst sagt, „im Stil etwas burlesk, zwischen Zirkus und Berliner Kabarett,“ aber bühnenwirksam. Der gesungene oder gesprochene Wortwitz hingegen ist nicht immer nachvollziehbar, zumal er sich oft auf gewisse Begebenheiten der damaligen Zeit bezieht, die wir heute nicht mehr kennen. Auf jeden Fall ist es im Ganzen, wie zu erwarten bei Lacroix, ein in allen Farben sprühendes Feuerwerk. Unterstützt wird es durch Bertrand Coudercs Beleuchtung, die bei gewissen Arien vorübergehend vom Hell in Dunkel wechselt und umgekehrt, um die jeweilige Aussage zu unterstreichen. Unterstützt auch durch eine spritzige, perpetuum-mobile-Choreografie von Glysleïn Lefever. Und getragen natürlich von den mitreißend-euphorischen Rhythmen Offenbachs.

Das Théâtre des Champs-Élysées hat für diese Aufführung ein ausgezeichnetes, blendend aufeinander abgestimmtes vielköpfiges Ensemble zusammengestellt. Alles läuft wie am Schnürchen – man kann nur ahnen, wie viel Probenarbeit dahintersteckt!

Foto © Marie Pétry

Im Mittelpunkt der Intrige stehen zwei Frauen. Jodie Devos ist mit leicht dahin perlendem Sopran die kokette Handschuhmacherin Gabrielle, die sich im ersten Akt sehr verführerisch mit Autrefois plus d’un amant einführt, um dann im zweiten Akt, verkleidet als Madame de Amaranthe, scheinheilig die trauernde Witwe zu spielen: Je suis veuve d’un colonel. Als die mit allen Wässerchen gewaschene Kokotte Métella tritt uns Aude Extrémo entgegen, die im fünften Akt mit tiefer und unheimlicher Stimme in Vous êtes ici … Parlons bas … Vous êtes, ô femmes honnêtes die „sittenstrengen“, aber faszinierten Damen der Gesellschaft darüber aufklärt, in was für ein verrufenes Restaurant sie da hineingeraten sind. Die männlichen Helden der verwickelten Geschichte sind die beiden unzertrennlichen Freunde, doch um die Gunst Métellas erbitterte Rivalen Raoul de Gardefeu und Bobinet, sehr lebendig interpretiert von Rodolphe Briand und Marc Mauillon. Enttäuscht von der Untreue Métellas, entschließen beide, der Halbwelt den Rücken zu kehren und in der guten Gesellschaft auf Jagd zu gehen: Repeuplons les salons du faubourg Saint Germain. Da läuft dem Schürzenjäger Gardefeu die eben am Bahnhof angekommene dänische Baronin Gondremark über den Weg und, als Fremdenführer verkleidet, bietet er ihr an, sie mit „Paris bekannt zu machen“. Währenddessen organisiert sein Freund Bobinet, als Schweizer Admiral verkleidet, mit Gabrielles und Fricks Freunden ein großes Fest, um den Baron anderweitig zu „beschäftigen“. Franck Leguérinel spielt und singt den etwas tolpatschigen Wikinger, elegant im Frack, bis man auch ihm ein Tütü-Röckchen angezogen hat. Sandrine Buendia als Baronin erzählt im vierten Akt charmant und sehr naiv, was sie während ihrer Kutschenfahrt durch den Park alles beobachtet hat: Hier au bois, j’ai vu. Eric Huchet singt mit Temperament den reichen Brasilianer Je suis Brésilien, j’ai de l’or, ist aber ebenso überzeugend in der Rolle des Schuhmachers Flick. Elena Galiskaya als Pauline bezirzt mit Charme und Witz den Baron Gondremark. Ähnlich wie im Finale von Mozarts Figaro, wird am Ende auch hier die Intrige aufgedeckt, und alle vergeben allen. Wohl dessen eingedenk macht Offenbach im fünften Akt bei Mozart kleine Anleihen aus dem Don Giovanni und lässt dazu  Madame de Quimper-Karadec sagen: „Ah, ein bisschen Mozart, das kann nie schaden!“ Nicht zu vergessen seien Carl Ghazarossian, Ingrid Perruche, Louise Pingeot, Marie Kalinine, Caroline Meng und die akrobatische, sich Glieder verrenkende Tanz-Gruppe.

Der Choeur de Chambre de Namur ist ausgezeichnet und allgegenwärtig, wie auch im Galopp Feu partout, lâchez tout am Schluss des dritten Akts, der dann später als French Cancan durch die ganze Welt gehen sollte.

Romain Dumas leitet mit Energie und voll elektrisierendem Schwung das vielköpfige Ensemble, den Chor und Les Musiciens du Louvre et leur Académie.

Ganz im Sinne der Belle Époque ist die Aufführung „sowohl ein Ohrenschmaus als auch eine Augenweide.“ Das Premieren-Publikum nimmt diesen sehr gelungenen End-Jahres-Feuerzauber des Théâtre des Champs-Élysées mit großer Freude entgegen und bedenkt alle Ausführenden mit entsprechendem Applaus.

Alexander Jordis-Lohausen