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Der Ein-Akter Salome, nach dem vom Komponisten selbst bearbeiteten gleichnamigen Theaterstück von Oscar Wilde, ist der Auftakt zu Richard Strauss‘ langer Reihe von Literaturopern, die in der Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannsthal ihren Höhepunkt gefunden haben. Musikalisch betritt er mit dieser Oper Neuland durch, wie Willi Schuh es ausdrückt „die erregende Neuheit ihrer Klangatmosphäre wie durch das Raffinement einer Instrumentation, die diese meisterlich klar disponierte Partitur in unerhörter Farben-Sinnlichkeit aufsprühen lässt.“ Dazu kommt eine kühne Vermischung oft schroff aufeinanderprallender Stilelemente. Entgegen aller Erwartungen wird die Oper bei ihrer Uraufführung 1905 in der Dresdener Semperoper ein Riesenerfolg.
Die Dirigentin Simone Young vergleicht die Musik der Oper mit den Farbtupfen eines Klimt-Gemäldes, die Regisseurin Lydia Steier vergleicht das Textbuch mit der Welt, in der wir heute leben: unerfreulich, post-industriell, korrupt, dekadent und hässlich. Und sie möchte daraus ein Revolutions-Drama machen. Daher sieht sie Salome nicht als verlorenes, junges Mädchen, sondern als eine starke, eindrucksvolle, junge Frau, die genau weiß, was sie will. Sie will den korrupten, dekadenten und immoralischen Hof ihrer Eltern „mit einer Bombe zerstören und diese Bombe ist der Kopf des Jochanaan“. Steier sagt den Zuschauern auch voraus, dass diese Aufführung sie nicht indifferent lassen wird: „It will change you and make you move inside!“
Das sind die Vorsätze. Die Realität auf der Bühne sieht etwas anders aus. Wer heutzutage Aufsehen erregen will, muss schockieren, und da sind Orgasmen auf offener Bühne vielleicht ein wirksames Mittel. Man warnt übrigens vor der Aufführung sensible Seelen vor möglichen Schockwirkungen. Denn Salome ist hier nicht nur eine verkappte Umstürzlerin, sondern lebt auch ihre unerfüllten sexuellen Fantasien auf der Bühne aus, choreografisch immer sehr geschickt auf die Musik abgestimmt: Zuerst onaniert sie haltlos, nachdem Jochanaan, also Johannes der Täufer, sich nicht von ihr küssen lassen will und sie als Tochter Babylons und Sodoms zurückweist. Später wird aus dem berühmten Tanz der sieben Schleier kein Tanz, sondern ein Striptease mit anschließendem Coitus Salome-Herodes, der bei guter Choreografie in eine Kollektiv-Orgie übergeht, aus der die Titelheldin blutüberströmt, aber sichtlich zufrieden hervorgeht. Denn nun wird man ihr das Haupt des Jochanaan bringen und sie wird ihn endlich küssen können.
All das lässt Momme Hinrichs in einem Beton-Innenhof ablaufen, der in der ersten Etage durch eine Glaswand den Blick auf eine Dauer-Sex-Drogen-Party frei gibt, für die man immer wieder nackte Sklavinnen hinaufliefert, die dann kurz darauf als Blut überströmte Leichname wieder heruntergetragen und in einen Abgrund geworfen werden. Später öffnet sich auch unten eine Wand, um auf breiten Stufen weitere Gelage-Orgien zuzulassen. Die ganze Anlage wird von schwer bewaffneten, schwarz uniformierten Sturmtruppen bewacht.
Foto © Agathe Poupeney
Andy Besuchs Kostüme sind extravagant und fantasievoll, Herodes bekommt einen bunten Federschmuck auf den Kopf wie ein Indianerhäuptling und Herodias eine blonde Prachtperücke über den allzeit entblößten Brüsten. Nur das einfache, lange, weiße Hemd, die schwarzen Stiefel und die strähnigen schwarzen Haare der Salome fallen aus dem Rahmen. Aber wir vergessen, Salome ist ja Revolutionärin und da muss sie wohl auch wie Ulrike Meinhof aussehen. Dennoch hätte eine etwas schillerndere Salome besser ins Bild gepasst.
Elza van den Heever als Salome hat eine Sopranstimme mit wunderschönem, vollem Klang. Ihre hohen Lagen sind ungemein wirkungsvoll, man kann nur ein wenig bedauern, dass sich ihr Sopran in den mittleren und unteren Lagen nicht immer gegen das stürmische Orchester durchsetzen kann. Fast verklärt ist ihr lyrischer Schlussgesang Ah! Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan. John Daszak singt mit schneidendem Tenor und spielt gekonnt den willkürlich wilden und dann wieder verstört-irren Tyrannen Herodes. Er wird dabei unterstützt von seiner hinreißend frivolen, kapriziösen und dekadenten Königin Herodias. Stimmlich wie schauspielerisch gibt Karita Mattila in dieser Rolle ihr Bestes. Iain Paterson, den man oft nur aus der Versenkung mit warmem, wohlklingendem Bass singen hört, ist der gefangene Prophet Jochanaan. Mit metallischem Tenor klagt Tanzel Alzeybek als Narraboth sein Leid und seine unglückliche Liebe zu Salome, die ihn in den Tod treibt. Alle anderen Ausführenden ergänzen in den Nebenrollen sehr erfolgreich die provokante Aufführung.
Die scheinbar gegensätzliche Sicht von Dirigentin und Regisseurin, ästhetisch-brav auf der einen Seite, revolutionär und hässlich auf der anderen, ficht die Dirigentin nicht an. Im Gegenteil, sie ist nach eigener Aussage sehr daran interessiert und sieht sich durch diese ungewohnte Sicht inspiriert, die Musik „noch aufregender, noch romantischer, noch blendender“ zu dirigieren. Und an Wucht fehlt es dann auch nicht, besonders wenn sich die sechs Hörner, vier Posaunen und eine Kontrabass-Tuba zusammenballen. Doch auch die zarteren Instrumente kommen zur Geltung wie die beiden Harfen, das Glockenspiel oder das Heckelphon. Man merkt, Simone Young kennt die Partitur seit Jahren in- und auswendig.
Das Premierenpublikum nimmt die Aufführung sehr wohlwollend, aber doch mit gemischten Gefühlen auf. Doch dass sie den einen oder den anderen im Publikum innerlich verändert hat, wie die Regisseurin es voraussagte, darf bezweifelt werden.
Alexander Jordis-Lohausen