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Aktuelle Aufführungen
PLATÉE
(Jean-Philippe Rameau)
Besuch am
17. Juni 2022
(Premiere)
Wir sind im Jahre 1745, noch im Zeitalter der Barockoper, aber in Frankreich hat sich die Musik, nicht zuletzt durch Rameaus Erneuerungen, von den strengen Riten eines Louis XIV und eines Lully weitgehend gelöst, ist freier geworden.
Darüber hinaus hat Rameau einen sprühenden Humor und kann neben seinen ernsten Tragödien auch Satiriker sein. Und so entsteht basierend auf dem gekonnten Textbuch Adrien-Joseph Le Valois d‘Orvilles diese höchst eigenartige, urkomische, weit über den damals üblichen Rahmen hinausgehende comédie lyrique: Platée. Rameau schöpft in seiner Vertonung alle Möglichkeiten nicht nur der menschlichen Stimme, sondern auch der Instrumente des Orchesters aus, um diese Komik und Groteske musikalisch zu untermalen.
Die Oper erzählt, wie nach einem ausgiebigen Bacchanal Thespis, Thalia und Momus beschließen, eine Satire der Götter und Menschen zu inszenieren. Sie stellen sich dazu die Frage, wie Jupiter es anstellen soll, um die ihn ewig verfolgende Juno von ihrer Eifersucht zu heilen. Und sie kommen zum Schluss, er soll vorgeben, sich in die törichte Platée, eine Sumpf-Nymphe in Froschgestalt zu verlieben, die trotz ihrer Hässlichkeit davon überzeugt ist, dass alle Männer ihr nachstellen. Wenn Juno dann das unwahrscheinliche Liebespaar überrascht, sähe sie sofort ein, wie sinnlos ihre Eifersucht sei, und hörte auf, ihrem Mann nachzuspionieren. Jupiter ist bereit mitzuspielen.
Platée, von Merkur über Jupiters vorgebliche Liebe zu ihr unterrichtet, wartet ungeduldig auf den Göttervater. Der erscheint, umgeben von seinen Freunden, die Platée bewundernd huldigen, sich aber insgeheim über sie belustigen. Auch La Folie erscheint und unterhält die Versammelten mit ihren Narreteien. Platée ist außer sich vor Freude. Gerade als Momus dabei ist, das Brautpaar auf sein „Hochzeitslager“ zu führen, erscheint, wie geplant, Juno und bricht beim Anblick der Braut in helles Gelächter aus. Jupiter und Juno versöhnen sich. In der allgemeinen Heiterkeit bleibt Platée hilflos, enttäuscht und gedemütigt allein zurück. Ein groteskes, grausames Ende.
Die Oper wird für die königliche Hochzeit des Dauphin geschrieben. Es ist wahrscheinlich, dass sie auch eine Zeitkritik sein soll. Daher ist es kaum verwunderlich, dass eine solche Geschichte bei Hof in Versailles als „geschmacklos“ abgelehnt wird. Vier Jahre später hingegen erfährt dieselbe Oper in der Académie Royale de Musique in Paris einen regelrechten Triumph und trägt dazu bei, dass auch komische Opern immer häufiger in diesem strengen Tempel der Tragödie zur Aufführung gelangen.
Es ist vielleicht noch bemerkenswert, dass Platée, nach fast eineinhalb Jahrhunderten Dornröschenschlaf, 1901 in München wiedererweckt wird.
Foto © Guergana Damianova
Laurent Pellys Inszenierung von 1999 hat nichts von ihrem Witz verloren. Er macht aus der Oper, ganz im Sinne Rameaus, einen spritzigen Klamauk mit einer Vielzahl von komischen Ideen und mischt sorglos Kostüme und Dekors verschiedenster Art. Seine Personenregie ist sorgfältig und vor allem in entscheidenden Szenen genauestens mit dem Dirigenten und dem Orchester abgestimmt, und er erzielt dadurch bühnenwirksame, heitere Überraschungseffekte.
Chantal Thomas kreiert mit ihrem Dekor Theater im Theater. Sie beginnt im Prolog mit einem modernen „Schaugerüst“, auf dem und vor dem die Ausführenden jeweils Akteure oder Zuschauer sind. Doch dieses „Schaugerüst“ verfällt im Laufe der folgenden drei Akte immer mehr und wird langsam zur antiken Ruine.
Die Kostüme sind entweder halbwegs zeitgenössische Anzüge und Kleider oder sie sind der blühenden Fantasie des Regisseurs entsprungen.
Keine französische Barockoper ohne Ballett. Und hier gibt es deren viele: das der Kellner und Platzanweiserinnen, der Frösche, der Windfurien, der Narren, und im letzten Akt der Oper noch der erotische Tanz der Liebespaare und das Ballett der sich verprügelnden Ehepaare, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Choreografie ist schwungvoll und fügt sich gut ins Gesamtgeschehen ein. Die sehr bewegliche Truppe von Tänzern erfreut durch ihre fein ausgeklügelte Akrobatik. Überhaupt sind alle ununterbrochen in Bewegung, wobei allerdings nicht klar ist, warum auch der Chor unentwegt wie besessen seinen Platz wechseln muss.
Im Prolog schmieden Mathias Vidal als der Dichter Thespis – Je sens qu’un doux transport me saisit et m‘inspire, Julie Fuchs, hier als die Muse Thalia Non, poursuivez, Thespis und Marc Mauillon als der Gott des Spottes Momus Aux seuls humains bornez-vous la sartire? in heiterem Wechselgesang, immer wieder unterbrochen vom Chor der Satyre und Menaden, das Komplott, das die Geschichte in Bewegung setzt.
Foto © Guergana Damianova
Im ersten Akt erkundigt sich Nahuel di Pierro als König Cithéron beim Götterboten warum die Götter schon wieder erzürnt sind, Mercure, expliquez-nous. Und dieser, geschmeidig gesungen von Reinoud Van Mechelen, der immer versucht, alles allen recht zu machen, verweist auf die Eifersucht Junos, so wie er im zweiten Akt Jupiter versichert, seine Göttergattin beschwichtigt zu haben: Je viens soulager Junon dans sa colère.
Als die Frosch-Nymphe im ersten Akt auftritt, Que le séjour est agréable, versucht sie, zuerst Cithéron und dann Merkur zu verführen. Laurence Brownlee verdeutlicht mit hoher, vielleicht der Rolle angepasster, etwas nasaler Tenorstimme und mit urwüchsiger, etwas tollpatschiger Komik, wie wenig das groteske Aussehen der Nymphe ihrem Verführungs-Ehrgeiz entspricht, wie sehr ihr jeglicher Wirklichkeitssinn abgeht. Brownlees verblüffende stimmliche und schauspielerische Leistung wird immer wieder vom Orchester unterstützt, vor allen durch die quakenden Fagotte und die piepsenden Flöten.
Wer bisher vielleicht noch nicht überzeugt war, weiß dann beim Auftreten der Folie, dass er einem ganz außergewöhnlichen Spektakel beiwohnt. Die Rolle der Folie – auf Deutsch vielleicht am besten als Narretei zu verstehen – ist an sich nichts Neues in der französischen Barockoper, sie taucht schon vorher bei verschiedenen Komponisten auf. Aber was uns Julie Fuchs hier in ihrer Hauptszene im zweiten Akt bietet, C’est moi, c’est La Folie ist nicht nur ganz hohe Barock-Gesangskunst, sondern auch ein unwiderstehlich witziger Schauspiel-Akt, in der Musik und tändelnde Gestik und Mimik so eng ineinander verwoben sind, dass man manchmal fast nicht mehr weiß, ob man noch bei Rameau weilt oder schon bei Offenbach angelangt ist. Besonders gelungen die Idee, dass sie die Leitung des Orchesters übernimmt. Tamara Bounazou ist in leuchtend rotem Bikini jugendlich-frisch der Amor im Prolog und vor allem dann aber mit klarer, reiner Stimmführung Platées Dienerin Clarine in der lyrischen Ariette Soleil, tu luis en vain am Ende des ersten Akts.
Jean Teitgen gibt sich erhaben in dunkelblauem Glitzeranzug und silbern glitzernder Weste als der Blitze schleudernde Jupiter, der mit gediegenem Bass versucht, die eingeschüchterte Platée zu beruhigen: Charmant objet de mes dignes amours. Währenddessen Adriana Bignagni Lesca als Juno in violettem Glitzerkleid in eifersüchtiger Wut entbrennt, Haine, dépit, jalouse rage, bevor sie die Auserwählte zu Gesicht bekommt.
Die Oper endet mit den erbärmlichen Quoi, quoi, quoi? L‘on prétend braver mes coups? der wütenden und gedemütigten Platée.
Marc Minkowski leitet gekonnt und schwungvoll, aber sehr nuanciert die Solisten, les Musiciens du Louvre und den Chor der Pariser Oper durch den tückischen Sumpf der Froschkönigin.
Das Premieren-Publikum im Palais Garnier ist, ganz besonders in dieser trüben Zeit, hell begeistert über den gelungenen Klamauk.
Alexander Jordis-Lohausen