O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Vincent Pontet

Aktuelle Aufführungen

Sänger als Operndirigent

GIULIO CESARE IN EGITTO
(Georg Friedrich Händel)

Besuch am
16. Mai 2022
(Premiere am 11. Mai 2022)

 

Théâtre des Champs Elysées, Paris

Zu der Zeit, als Bach seine Johannes-Passion und Vivaldi seine Vier Jahreszeiten schreibt, komponiert Händel seinen Guilio Cesare in Egitto. Es ist die fünfte der vierzehn Opern, die Händel für seine erste vom englischen König subventionierte Royal Academy of Music im Hay Market Theater in London komponierte, Solo-Opern im neapolitanischen Stil ohne Chor. Guilio Cesare wird zu einem seiner größten, bis heute anhaltenden Opern-Erfolg. Das Werk begeistert nicht nur durch seinen musikalischen Einfallsreichtum, sondern erreicht auch in der Subtilität und Tiefe der Charakterdarstellung einen Höhepunkt. Bewundernswert zum Beispiel der emotionale Wandel in den Arien der Cleopatra von Verführungskunst über Leidenschaft, Angst und Verzweiflung bis hin zum erlösenden happy end. In der Cäsar-Rolle beeindruckt vor allem die Tiefe und der Ernst seiner Gedanken über das Schicksal vor der Urne seines ermordeten Rivalen Pompeius. Auch die übrigen Rollen sind musikalisch überaus fein gezeichnet.

Diese Aufführung ist vom Théâtre des Champs Elysées in Koproduktion unter anderem mit der Oper Leipzig vorbereitet worden.

Damiano Michielettos Inszenierung der Oper ist zu uneinheitlich, als dass man global darüber urteilen könnte. Die Dekors sind ganz einfach: Im ersten Teil eine hell erleuchtete, weiße Schachtel, in der sich alles abspielt, im zweiten Teil ist es eine dunkle Bühne mit einem korallenroten Geflecht von Parzenfäden als Hintergrund.

Vor allem hat man das Gefühl, der Regisseur versucht, da es sich ja um eine Nummernoper handelt, in der eine Arie nur durch ein Rezitativ unterbrochen der anderen folgt, nicht für jeden Akt oder jede Szene, sondern auch für jede Arie, zumindest für die wichtigsten Arien, eine eigene Inszenierung zu kreieren, mit eigenen Requisiten, Kostümen und einer eigenen statischen Atmosphäre. Einige dieser Mini-Inszenierungen sind sehr gelungen, wie die Verführungsszene Kleopatra und Cäsar, nur erhellt von unzähligen Kerzenleuchtern, andere weniger. Natürlich besteht dabei immer die Gefahr, dass die Gesamtinszenierung auseinanderfällt, dass die Kontinuität der Handlung durch zu viel Statik ins Stocken gerät.

Michielettos Personenregie ist zum Teil subtil und feinfühlig, und dann wieder grobschlächtig und unschön. Einige Regie-Einfälle sind gut, so die Parzen mit ihren Lebensfäden, die auf einer Bühne hinter der Bühne die Handlung von Zeit zu Zeit begleiten. Leider erinnern uns diese nackten Gestalten mit ihrem gebückt-schleichenden Gang und den hängenden Armen eher an Höhlenbewohner des Neolithikums als an die mythischen Figuren des klassischen Altertums. Andere Einfälle wie der Plastik-Vorhang am Ende der Oper wirken störend. Dass Sextus den heimtückischen Ptolomeus am Schluss der Oper nun gerade mit einer Pistole totschießt, passt auch nicht ins Gesamtbild.  Es gehört zu den Neuerungen Michielettos dass der Geist des Pompeius immer wieder als stumme Komtur-Figur auf der Bühne erscheint, zuletzt steigt er splitterfasernackt und ganz weiß gepudert auf einen Sockel und wird zur Marmorstatue. Cäsar wird von prämonitorischen Visionen der Iden des März geplagt.

Auch die Kostümierung Agostino Cavalcas ist völlig uneinheitlich. Zumindest hat der Kostümier keine Angst vor Anachronismen. Cleopatra allein durchläuft ein Jugendstil-, ein modernes und ein griechisches Gewand, alle stehen ihr sehr gut. Dagegen ist Cornelia in ihrem Bürokostüm nicht sehr vorteilhaft gekleidet, und Achilla wirkt in seinem Regenmantel wie ein schmieriger Privatdetektiv. Dagegen trägt Cäsar durchweg einen modischen Savile-Row-three-piece-Anzug und steht darin manchmal römischen Senatoren in Toga gegenüber.

Die Aufführung enthält auch sonst eine Überraschung für das Pariser Publikum: Der wohl berühmteste französische Kontratenor Philippe Jaroussky setzt zwar seine Karriere als Sänger fort, aber wird von nun an zeitweise als Operndirigent dem Publikum den Rücken zuwenden. Und diese Oper ist sein erster gut gelungener Versuch dafür. Er hat als Violinist angefangen, ist Sänger geworden, hat schon vor vielen Jahren seine eigene ausgezeichnete Instrumental-Gruppe Artaserse gegründet, die hier den Orchesterpart übernimmt. Er kennt die Barock-Opern-Szene gut, vor allem auch diese Oper, in der er seit Jahren vielmals mitgewirkt hat. Schon 2010 sang er den Sextus in einer konzertanten Aufführung in Paris mit Andreas Scholl und Cecilia Bartoli als Cäsar und Kleopatra unter der Leitung von William Christie. Nun steht er selbst am Dirigentenpult und bringt all diese Erfahrungen in eine sehr reichhaltige Aufführung ein, die ihm auch diese neue Karriere erfolgversprechend macht. Man könnte höchstens einwenden, dass er bewusst den Sängern sehr viel Freiheit gelassen hat, ihre Rollen zu gestalten, was hier manchmal zu einem solchen musikalischen Feuerwerk der Koloraturen und Melismen führt, dass die melodische Linie Händels bisweilen in den Hintergrund gedrängt wird.

Die Besetzung ist ein Ensemble von jungen Sängern, die alle ihre Rollen in dieser Oper zum ersten Mal singen und spielen, was eine besondere Dynamik entstehen lässt. Dennoch ist Sabine Devieilhe als Kleopatra der entschiedene Star in diesem Ensemble. Hinreißend schelmisch-eulenspieglerisch-leicht – fast schon opera buffa – in Non disperar, qui sa? im ersten Akt mit fast nur getupften Koloraturpunkten, während sie diverse Kleider und Perücken ausprobiert und sich schließlich für eine langes, schulterfreies Abendkleid und eine rote Perücke à la Rita Hayworth entscheidet. Bis hin zu den lyrisch-tragischen Szenen wie Se pietà im zweiten Akt, in dem vor einem Hintergrund von korallenroten Parzenfäden Gespenster ihrer Todesangst sie wie Goya-Ungeheuer einkreisen. In dieser Szene spielt der Regisseur recht bühnenwirksam Dr. Freud. Und schließlich sehr bewegend das Piangero im dritten Akt, das im Mittelteil in ein sich aufbäumendes furioso umschlägt.

Die Titelrolle wird hier nicht von einem Kontratenor gesungen, sondern von einem Mezzosopran. Obwohl die Tonlage der Rolle etwas unter ihrem hauptsächlichen Stimmniveau liegt, stellt sich Gaëlle Arquez mit Talent und Entschlossenheit erfolgreich dieser Herausforderung, wie schon im März im selben Haus der ähnlich tiefen Dorabella-Rolle. Sehr menschlich besinnlich singt sie das Gedenken vor Pompeius Urne Alma del gran Pompeo, während im Hintergrund die drei Parzen den Lebensfaden des Ermordeten durchschneiden. Und dann strahlt sie in der triumphierenden Arie mit Hörnerbegleitung Va tacito, als Cäsar die Vergiftungsabsicht Ptolomeos durchschaut. Sie beglückt durch ihre Virtuosität im Duett mit einer Solo-Violine in Se in fiorito ameno prato, dem Jubelgesang des verliebten Feldherrn, während der Regisseur die Bühne mit bunten Karnevalstreifen überschütten lässt.

Die vielleicht virtuoseste Rolle der Oper, die des unglücklichen Sextus, hat, wie schon so oft, mit bewährtem Brio der Kontratenor Franco Facioli übernommen. Seine Koloraturen sind akrobatisch and seine Fähigkeit, ganz mühelos zwischen Kopf- und Bruststimme hin und her zu gleiten, ist verblüffend. Sehr dramatisch in Filio non è im zweiten Akt. Stimmlich sehr eindrucksvoll, aber von der Regie eher benachteiligt ist Lucile Richardot als Cornelia, die Witwe des Pompeius und Mutter des Sextus. Sie ist die große Tragödin dieser opera seria und singt ihr Priva son d‘ogni conforto mit überzeugender Trauer und Verzweiflung. Der Kontratenor Carlo Vistoli gibt nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch eine höchst überzeugende Interpretation des grausamen, heimtückischen und sadistischen Ptolomeus. Mitreißend durch seine Melismen in L’empio, sleale in ersten Akt. Mit klangreichem Bariton singt und spielt Francesco Salvatori den windigen Achilla, sonor, aber erfolglos polternd in Tu sei il cor di questo core. Paul-Antoine Bénos-Dijan und Adrien Fournaison als Nireno und Curio vervollständigen das ausgezeichnete Sängerensemble.

Das Publikum ist nicht überzeugt von der Inszenierung, feiert aber die Akteure und ganz besonders den neuen Dirigenten begeistert.

Alexander Jordis-Lohausen