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DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
Besuch am
13. September 2023
(Premiere)
Kaum ist Mozarts Le Nozze di Figaro im Jahre 1786 in Wien uraufgeführt worden, als Mozart schon im folgenden Jahr in Prag eine weitere Oper auf die Bühne bringt, den Don Giovanni. Ebenso genial, aber dennoch sehr verschieden! Hat der Komponist, bewusst oder unbewusst, über der neuen Oper die alte Oper verdrängt? Was man im Figaro bewundert, die geniale Verschmelzung von geistreicher Konversation and Bewegung, ist im Don Giovanni eher einem derben Humor gewichen. Und das gewaltige Schicksals-Walten, das latent Antik-Tragödienhafte, lässt nichts von der leicht-sprudelnden Konversation des Figaro aufkommen. Auch verzichtet Mozart dabei auf eine Neuerung: Er gibt damit wieder auf, was er eben erst errungen: den Beginn einer Verschmelzung von Rezitativ und Arie. Sie sind im Don Giovanni wieder streng getrennt. Was bleibt ist die Bewegung, das ewig Drängende.
Mag sein, dass sich Claus Guth durch diesen Gegensatz hat inspirieren lassen. Im Jahre 2006 hatte er für die Salzburger Festspiele den Figaro inszeniert und zwei Jahre später ist dann dortselbst, die nun zum ersten Mal in Paris aufgeführte Inszenierung des Don Giovanni entstanden. Er erklärte damals, sein Figaro sei eng mit der Architektur und der Kultur verknüpft, sein Don Giovanni hingegen sei das genaue Gegenteil davon, es sei von der Natur bestimmt. Und tatsächlich verlegt er die Jagdgründe des Titelhelden aus dem lichtdurchfluteten höfischen Süden in einen dunklen Tannenwald des Nordens, an einen Ort der Gruselfantasie, der menschlichen Urängste. Hier jedoch hört auch der Mythos auf. Denn der mythische Verführer wird bei Guth banalisiert und zur Hauptfigur eines modernen, obskuren, blutigen Dramas vermenschlicht. Guth scheut sich nicht, die Geschichte zu verändern und seine Antwort zu geben auf die so oft diskutierte zwiespältige Beziehung Donna Annas zu Don Giovanni und damit auch zu ihrem Verlobten Don Octavio. In seiner Version spielt sich zu Beginn der Oper in dem dunklen Wald, noch während Leporello sich in seiner Antrittsarie über sein Hundeleben beklagt, in den Büschen gleich daneben eine wilde Liebesszene ab. Und sie lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Donna Anna Don Giovanni ganz verfallen ist, sosehr sie sich auch dagegen wehren mag. Sie stellt ihm in leidenschaftlichem Begehren viel mehr nach als er ihr. Und mitten in diese sehr offensichtliche Sexualszene platzt plötzlich der Komtur hinein. Es kommt zum Kampf zwischen Don Giovanni und dem alten Herrn, der von Don Giovanni mit einem Ast erschlagen wird. Aber bevor er stirbt, schießt der Komtur Don Giovanni noch eine Kugel in den Bauch. Durch Leporellos Drogenspritze etwas aufgeputscht, will der Verführer sein bisheriges Leben weiterführen, und schleppt sich, nun tödlich verwundet, mit Hilfe seines Dieners durch die ganze Oper. So entspringt Zerlinas berühmter Schrei im zweiten Akt – ein unheimlicher Moment – auch nicht einer plötzlichen Angst vor einer Vergewaltigung, sondern dem Entsetzen über den riesigen Blutfleck auf ihrem weißen Hochzeitskleid, der aus Don Giovannis Wunde durchgesickert ist. Donna Anna ist mehr und mehr verzweifelt über ihren inneren Zwiespalt, kämpft mit sich selbst und mit ihrem Liebhaber, aber kommt von Don Giovanni nicht los. Wie fast immer in solchen Situationen, verträgt sie sich auch mit ihren braven Verlobten Don Octavio nicht mehr, ja, sie gibt ihm sogar auf offener Bühne eine Ohrfeige. Kurz vor Schluss der Oper legt sie dann nach ihrer letzten tragischen Arie ihr Festkleid und all ihren Schmuck ab, nimmt eine Pistole und sucht im Dunkel des Waldes das Weite. Was mit ihr geschieht, ist der Fantasie des Publikums überlassen. Ganz überzeugend ist Guths Version der Donna Anna damit nicht geworden.
In der Schlussszene, bei Schneefall im dunklen Wald, entpuppt sich der steinerne Gast als der Totengräber, der dem Frevler ins Gewissen reden will. Aber der Frevler verweigert sich und erliegt schließlich seiner tödlichen Wunde. Durch das nächtliche Picknick am Lagerfeuer im Walde fällt zwar die reizvolle Festmahl-Szene der Oper völlig flach, doch der eigentliche Schluss der Oper ist sehr eindrucksvoll. Und das umso mehr so, als Guth für seine Inszenierung nicht die Prager, sondern die darauffolgende Wiener Fassung der Oper gewählt hat, in der Mozart das letzte Erscheinen und erleichterte Aufatmen der sechs Überlebenden weggelassen hat. Die Oper endet somit mit dem dramatischen Tod Don Giovannis.
Guths Personenregie ist in sich stimmig und bis auf den letzten Kaugummi auf dem Sitz der Bushaltestelle mitten im Wald, in den sich Donna Elvira fast hineingesetzt hätte, genau und manchmal sogar sehr komisch. Aber müssen es bei der Champagner-Arie ausgerechnet Bierdosen sein?
Christian Schmidts sich von Szene zu Szene drehender Tannenwald ist sehr gelungen und durch Olaf Winters Beleuchtung vielfältig geheimnis- und stimmungsvoll. Der Choreograf Ramses Sigl hat sich mit Erfolg sehr viel Mühe gegeben und offensichtlich viel geprobt, denn es erscheint wie ein Wunder, dass sich noch keiner der Sänger bei der steten Wanderung durch das finstere Gelände ein Bein gebrochen hat. Glücklicherweise haben sie meist Taschenlampen dabei! Die Kostüme sind zeitlos modern und wenig inspirierend.
Musikalisch führt uns Peter Mattei überzeugend, stimmlich wie schauspielerisch souverän, diesmal einen sehr menschlichen Don Giovanni vor, der statt wie der Jäger eher wie das verwundete, gehetzte Wild wirkt, zuerst sich noch aufbäumend, zuletzt resigniert. Ein reifer, illusionsloser Mann, der wie ein Aussätziger im Wald lebt. Auch Adela Zaharias verwöhnte Donna Anna aus reichem Hause mit vulkanisch-dramatischem Sopran und leidenschaftlicher Gestik wirkt fragil, unfähig, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Ben Bliss‘ schön timbrierter Tenor erscheint in der Rolle des Don Octavio fast wie eine überflüssige Verschwendung. Und er hat wirklich kein Glück, sogar seine schwarze Luxus-Limousine hat mitten im dunklen Wald eine Motorpanne! Gäelle Arquez singt und spielt die unglücklich liebende Donna Elvira mit klangvollem, etwas herbem Mezzosopran eher zurückhaltend. Quirlig-heiter und quecksilbrig sprunghaft hingegen und darüber hinaus auch drogensüchtig, aber voller Ideen ist Alex Espositos Leporello. Seine schön gesungene Registerarie ist gleichzeitig urkomisch. Eine wahre Entdeckung mit glockenklarer, sehr beweglicher und gut kontrollierter Stimme ist Ying Fang als Zerlina. John Relyea als Komtur und Guilhem Worms beschließen das ausgezeichnete Ensemble.
Antonello Manacorda dirigiert die Oper mit Schwung, wenn ihm auch hin und wieder die Kontrolle etwas zu entgleiten scheint. Nicht alle Einsätze sind einwandfrei.
Doch das Publikum ist sichtlich sehr zufrieden mit dieser denkwürdigen Interpretation des Don Giovanni als Auftakt der neuen Saison.
Alexander Jordis-Lohausen